»Noch irgendwas, was ich deiner Meinung nach wissen sollte?«
»Noch eines«, antwortete Adrienne widerstrebend. »Es betrifft Finlay. Du wirst vielleicht etwas unternehmen müssen, was ihn angeht.«
»Du hast gerade gesagt, er hätte nicht den Wunsch, selbst der Feldglöck zu sein.«
»Tut er auch nicht. Aber… er verhält sich in jüngster Zeit noch verrückter als sonst. Bedroht Menschen. Er hat sich eine Menge Feinde gemacht, viele davon bedeutende Gestalten des gesellschaftlichen Lebens. Sie könnten dich auffordern, dich mit ihm zu befassen, als Preis für ihre Unterstützung.«
»Mit Finlay befassen? Was zum Teufel könnte ich da ausrichten? Er wird auf nichts hören, was ich ihm sage, und selbst falls er mich als Familienoberhaupt akzeptierte, bezweifle ich sehr, daß er meine Autorität über sich anerkennen würde. Und ich bin sicherlich nicht dumm genug, um ihn persönlich zu konfrontieren. Owen Todtsteltzer wird vielleicht mit ihm fertig, oder Kid Death, aber ich hielte ihm keine fünf Minuten stand.«
»Es gibt andere Möglichkeiten«, sagte Adrienne , ohne ihn anzublicken. »Letztlich ist nur das Wohl des Clans von Bedeutung. Man darf nicht einem Mann erlauben, alles zu untergraben, was wir zu erreichen hoffen.«
»Um Gottes willen, Adrienne, er ist dein Mann! Der Vater deiner Kinder! Hegst du keine Gefühle für ihn?«
»Ich kenne ihn nicht mehr. Manchmal frage ich mich, ob ich es überhaupt je getan habe.«
Robert Feldglöck saß streng aufrecht auf einem antiken Stuhl, hielt eine volle Tasse Tee in einer Hand und ein großes Stück Schokoladenkuchen auf einem Teller in der anderen und fragte sich, wie zum Teufel er eins von beiden auch nur in die Nähe des Mundes führen sollte, ohne des anderen verlustig zu gehen.
Außerdem saß das neue Jackett an den Schultern ungemütlich eng, erwürgte ihn die Krawatte beinahe und zwickte ihn die Hose an Stellen, von denen er bislang gar nichts gewußt hatte.
Alles in allem entwickelte sich das zu einem fürchterlichen Start der gesellschaftlichen Anlässe.
Seine Gastgeberin Konstanze Wolf verfügte allein über das oberste Stockwerk des Wolf-Turms und hatte es entsprechend ganz nach eigenem Geschmack ausgestattet. Das lief auf dicke Teppiche hinaus, den allerletzten modischen Schrei an Mobiliar sowie auf kuschelige Stofftiere, die überall herumlagen, wo sich nur Platz bot. Robert fand, daß er mit all dem hätte fertig werden können. Die eindeutig pornographischen Wandgemälde jedoch waren es, die ihn die Fassung kosteten. Er hatte noch nie etwas Derartiges gesehen, und das nach Jahren in der Raumflotte. Auch hegte er den fürchterlichen Verdacht, daß Konstanze selbst für wenigstens drei davon Modell gestanden hatte. Was bedeuten würde, daß sie nicht nur sehr schön, sondern auch unglaublich gelenkig war. Sie wirkte sehr flott im Schwarz der Trauer um ihren Gatten und sah vom Scheitel bis zur Sohle ganz nach dem Familienoberhaupt aus. Robert starrte entschlossen auf Tee und Schokoladenkuchen und versuchte, telepathische Hilferufe an Baxter zu übermitteln, ehe ihm wieder einfiel, daß Konstanze ihn aus dem Raum verbannt hatte, zusammen mit all ihren Dienern, damit sie unter vier Augen mit Robert sprechen konnte.
Er hoffte nur, daß sie ihn nicht ansprang. In solchen Dingen war er immer ziemlich schüchtern gewesen.
Eine Menge Wachleute waren zunächst auch präsent gewesen, aber Konstanze hatte sie zum Zeichen des Vertrauens weggeschickt. Jetzt waren sie beide unter sich. Robert überlegte, daß er sich selbst ein paar Wachleute zulegen sollte, und sei es nur zur Schau. Konstanze, die ihm auf einem Stuhl gegenüber saß, beugte sich zu ihm vor, und er zuckte unwillkürlich zusammen. Tee schwappte auf die Untertasse.
»Ihr braucht die Schokolade nicht zu essen, wenn Ihr sie nicht mögt«, sagte Konstanze lächelnd. »Oder auch den Tee trinken. Eines der ersten Dinge, die man im Hinblick auf gesellschaftliche Anlässe meistern muß, ist die Kunst, etwas charmant abzulehnen. Ansonsten lädt man Euch mit Eßwaren voll, bis Euch die Arme schmerzen. Die Leute zeigen nun mal so gern, was sie für tolle Chefköche haben.«
Robert lächelte dankbar, sah sich nach einem Tisch oder einer Freifläche um, stellte fest, daß dergleichen nicht vorhanden war, und stellte Tasse und Teller schließlich neben sich auf den Boden. Er richtete sich auf und versuchte verstohlen, Jackett und Hose zu lockern, hatte aber nicht viel Erfolg dabei. Er bedachte Konstanze mit einem etwas verzweifelten Lächeln.
»Mir gefällt es hier. Es ist sehr… bequem.«
»Eine der Freuden, wenn man allein lebt, besteht darin, keine Kompromisse bei den eigenen Vorstellungen von Komfort eingehen zu müssen«, erklärte ihm Konstanze. »Jakob hätte einen Anfall bekommen, hätte ich zu seinen Lebzeiten sein Wohnzimmer in diesem Stil gestaltet. Nach seinem Tod habe ich so schnell, wie es der Anstand erlaubte, dafür gesorgt, die meisten seiner Sachen loszuwerden. Andernfalls hätten sie mich weiterhin ständig an ihn erinnert. Also legte ich mir neue Sachen zu, um mich daran zu erinnern, daß ich fortan ohne ihn ein neues Leben führen mußte. Ich habe nur ein paar Portraits von ihm behalten. Ich bewahre sie im Schlafzimmer neben dem Bett auf, damit ich sein Gesicht abends als letztes sehe, ehe ich einschlafe. So kann ich manchmal von ihm träumen. Seht Ihr, er war der einzige Mann, den ich je geliebt habe, und wir hatten nur so wenig Zeit zusammen. Sicher versteht Ihr das. Ihr habt selbst jemanden verloren, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Robert, »ich verstehe das.«
»Sein Gespenst hat mich einmal besucht«, erzählte Konstanze mit ruhiger und gleichmäßiger Stimme. »Bei Hofe. Aber es war nur ein Geistkrieger. Nur seine Leiche. Nicht mein Jakob.
Der arme Daniel hat sich auf die Suche nach dem Geistkrieger gemacht, überzeugt davon, daß sein Vater noch irgendwo darinsteckt. Daniel strebte immer verzweifelt nach der Anerkennung durch seinen Vater. Jakob hat seine Kinder wirklich geliebt, auf seine eigene Art, sogar Valentin, aber sie waren für ihn allesamt eine Enttäuschung. Ich wollte ihm neue Kinder schenken, aber wir fanden keine Gelegenheit mehr dazu, bis er mir genommen wurde. Nur ein weiterer Verlust, der zu betrauern bleibt.«
»Er muß Euch sehr geliebt haben«, sagte Robert, bemüht um die richtigen Worte.
»Das hoffe ich, aber ich war mir nie ganz sicher. Ich war als Gattin eine Trophäe, wißt Ihr, jung und schön, jemand, den man bei Hofe und auf Parties vorzeigt. Es war eine arrangierte Hochzeit, obwohl ich ihn allmählich lieben gelernt habe. Er war immer so freundlich zu mir, aber… Es fiel ihm nie leicht, über seine Gefühle zu reden, nicht einmal mit mir. Also wußte ich es nie so recht.«
»Es muß Euch sehr schwer fallen, als Frau allein dazustehen und einen so großen Clan zu leiten«, sagte Robert, nur um überhaupt etwas zu äußern.
»Ihr habt ja keine Ahnung«, antwortete Konstanze trocken.
»Die Position ist mir nur zugefallen, weil niemand sonst verfügbar war. Und ich behalte sie, indem ich meine zahlreichen Feinde gegeneinander ausspiele und morgens, mittags und abends Intrigen spinne. Aus diesem Grunde werden jedes Wort, das ich von mir gebe, und auch die kleinste meiner Handlungen endlos von allen Beteiligten analysiert, um mal zu sehen, ob darin nicht Brocken an wertvollen Informationen enthalten sind. Manchmal sage ich aufs Geratewohl irgendwas, nur damit die Leute etwas zu knabbern haben. Ständig umgeben mich heutzutage Menschen. Private Augenblicke wie der jetzige sind selten geworden. Jeder möchte mich sehen, jeder möchte etwas von mir. Das werdet Ihr selbst auch erleben, jetzt, wo Ihr der Feldglöck geworden seid.«
»Warum laßt Ihr nicht einfach alles zurück?« fragte Robert.
»Ihr sitzt nicht in der Falle wie ich. Ihr seid nur eine eingeheiratete Wolf. Ihr könntet alles aufgeben, und niemand wäre in der Lage, es Euch zu verwehren.«
»Aber der Clan ist alles, was mir von Jakob geblieben ist.
Das letzte Bindeglied zu der glücklichen Zeit an seiner Seite.