»Ich werde ihn umbringen«, erklärte Finlay. »Auf der ganzen Welt findet man nicht genug Wachleute, die mich davon abhalten könnten. Du bleibst hier und schließt die Tür hinter mir ab.
Mach sie nicht auf, ehe ich zurückkehre. Und vielleicht bringe ich dir Gregors Kopf mit, eingewickelt in ein Bettlaken.«
»Nein, Finlay! Deshalb hat er ja angerufen und dir das alles gesagt. Es muß eine Falle sein!«
»Natürlich ist es das. Aber das hält mich auch nicht auf.«
»Du kannst ihn nicht töten, Finlay. Es ist nicht mehr wie früher während der Rebellion, als du den Schutz der Untergrundbewegung genossen hast. Der Krieg ist vorbei; man würde es als Mord bezeichnen, und niemand würde deine Partei ergreifen. Man würde dich als gewöhnlichen Mörder aufhängen.«
»Sollen sie es nur versuchen!« drohte Finlay. »Evie, wie konntest du etwas Derartiges vor mir geheimhalten? Wir hatten uns doch geschworen, keine Geheimnisse voreinander zu haben. Wie konntest du nur so etwas Wichtiges für dich behalten? Hattest du kein Vertrauen zu mir?«
»Oh, du bist vielleicht der Richtige, um über Geheimnisse zu reden, Finlay Feldglöck! Wirst du jemals Julian Skye die Wahrheit sagen? Daß der Mann, den er so sehr bewundert, derselbe Maskierte Gladiator ist, der seinen Bruder Auric umbrachte?«
»Das ist etwas anderes!« erwiderte Finlay. Und dann hielt er inne, denn er hörte einen angespannten Laut hinter sich. Er blickte sich um, und dort stand in der offenen Tür Julian Skye.
Das Gesicht des jungen Espers war totenbleich, aber seine dunklen Augen bohrten sich in die Finlays.
»Julian…«
»Du hättest es mir sagen sollen, Finlay. Du hättest es mir bei unserer ersten Begegnung sagen sollen. Wie konntest du nur so etwas tun?«
»Ich habe eine Menge Leute in der Arena umgebracht«, sagte Finlay. »Damals, als ich als der zweite Maskierte Gladiator auftrat. Auric war nur irgendeiner von ihnen. Ich habe erst erfahren, daß er dein Bruder war, als wir schon Freunde geworden waren. Und ich habe es dir nie erzählt, weil ich wußte, wie sehr es dich schmerzen würde.«
»Und wer war der Maskierte Gladiator, den ich während der Rebellion getötet habe?«
»Das war Georg McCrackin, der erste Mann unter der Maske. Er war mein Lehrer. Ich habe die Rolle von ihm übernommen.«
»Ich habe also einen Unschuldigen getötet.«
»Er stand auf der Seite der Imperatorin! Er hätte sich nie ergeben. Er hätte dich umgebracht.«
»Ein Unschuldiger. Du verdammter Mistkerl! Hieltest du das vielleicht für komisch? Hast du dich richtig abgelacht, als der Bruder des Mannes, den du ermordet hast, dir wie ein Hündchen nachlief?«
»Nein, Julian! So war es nie!«
»Ich gehe für eine Zeitlang fort. Ich möchte nicht, daß du mich anrufst. Ich nehme Kontakt zu dir auf, wenn ich entschieden habe, was ich tun werde. Wenn ich entschieden habe, ob ich dich umbringe oder nicht.«
Er drehte sich um und ging, und Finlay wäre ihm am liebsten nachgerannt, verzichtete aber darauf. Im Moment konnte er nichts sagen, was die Sache nicht noch schlimmer gemacht hätte. Er stand schweigend mitten im Zimmer, zwischen den Trümmern seiner Welt. Innerhalb weniger Minuten hatte er seinen Freund verloren und vielleicht auch seine Geliebte, beide das einzige, was ihm etwas bedeutete. Er wollte losziehen und Gregor umbringen und im Gemetzel Trost suchen, brachte es aber nicht über sich. Nicht jetzt, während so viele Probleme ungelöst waren. Also ging er zum Bett zurück, setzte sich neben die schluchzende Evangeline, nahm sie in die Arme und tröstete sie, so gut er konnte. Und ließ den blutroten Zorn im Herzen schwelen.
In der besten Suite, die das beste Hotel in Parade der Endlosen zu bieten hatte, lag SB Chojiro friedlich auf dem riesigen Bett, während Kardinal Brendan sie über die neuesten Entwicklungen ins Bild setzte. SB genoß es, hin und wieder ein wenig Luxus zu haben, und sah keinen Grund, warum sie sich etwas versagen sollte, nur um ihrem Clan ein paar Pennies zu sparen.
Außerdem erwarteten die Leute, mit denen sie zu tun hatte, daß sie sie in einer Umgebung empfing, die ihnen gefiel. Es war unumgänglich, daß diese Leute SB als zumindest ebenbürtig betrachteten, andernfalls hätten sie keine Abkommen mit ihr getroffen. Sie bemerkte, daß Brendan nicht mehr sprach, und wandte träge den Kopf auf dem Kissen, um ihn anzusehen.
»Ja? Habt Ihr ein Problem?«
»Nein. Ich frage mich nur… wie habt Ihr es nur geschafft, offizielle Sprecherin des Schwarzen Blocks zu werden? Vor der Rebellion hatte ich von Euch nie etwas gehört.«
SB Chojiro lächelte. »Ich bin die Sprecherin, weil der Schwarze Block es so möchte. Das ist auch alles, was Ihr zu erfahren braucht. Aber o Eitelkeit, dein Name ist Frau, und deshalb gefällt es mir, Euch darüber zu informieren, daß ich das Ergebnis umfangreicher Planung und Programmierung bin, genau für diese Aufgabe gestaltet. Ich bin die Stimme des Schwarzen Blocks. Ich denke die Gedanken, die der Schwarze Block mir eingibt.«
»Aber… wieviel von Euch ist noch übrig?« fragte Brendan.
»Ich meine, von Eurem wirklichen Selbst. Der ursprünglichen SB Chojiro.«
»Ah«, sagte SB. »Ihr wärt erstaunt! Sagen wir einfach: mehr als Ihr denkt. Aber es ist auch egal. Die Interessen der Organisation sind meine, und umgekehrt.«
»Aber warum…«
»Warum man mich ausgesucht hat, unter allen Personen, auf die der Schwarze Block Zugriff hatte? Man hat es mir nie erklärt. Vermutlich genetische Kriterien. Man ließ meine Eltern töten, als ich noch ganz klein war, und nahm mich dem Clan weg, damit ich keine Bindungen mehr hatte außer dem Schwarzen Block, und damit ich niemandem sonst gegenüber loyal war. Ich habe nie eine Familie gehabt oder erfahren, wie das sein könnte, also kann ich nicht ehrlich behaupten, ich hätte etwas verloren. Der Schwarze Block ist mein Vater und meine Mutter und alle meine Geschwister. Er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.«
»Und wer ist dieser ›er‹?« wollte Brendan wissen. »Ich bin nie über die Peripherie hinausgekommen. Die Mysterien sind mir verschlossen geblieben. Wer sind diese Leute, die alles entscheiden?«
»Ah«, sagte SB und lächelte zur Decke hinauf. »Das wüßtet Ihr gern, nicht wahr?«
Kardinal Brendan seufzte leise. Er hätte es besser wissen müssen, als eine direkte Antwort von SB Chojiro zu erwarten.
»Was kommt nun an die Reihe?« fragte er und kehrte damit auf den besser abgesicherten Boden der Tagesgeschäfte zurück.
»Wir haben meine komplette Liste abgearbeitet, aber Ihr habt mich angewiesen, mir für den restlichen Abend freizunehmen.«
»Das habe ich«, bekräftigte SB. »Ich weiß nicht genau, was jetzt passieren wird. Verschiedene Ereignisketten wurden in Gang gesetzt. Als einziges ist gewiß, daß irgendwann heute abend mehrere wichtige Mitglieder des Schwarzen Blocks hier eintreffen werden, um über ein Bündnis mit Jakob Ohnesorg zu beraten.«
»Was? Ihr macht wohl Witze! Was könnte er mit uns gemeinsam haben?«
»Ganz einfach. Er ist ein Chojiro.«
Brendan starrte sie einen Moment lang nur an. »Jakob Ohnesorg ist ein Chojiro?«
»Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, er hieße Ohnesorg, oder? Seine Mutter entstammte meinem Clan. Sein Vater war unwichtig. Es kommt nur darauf an, daß Jakob mit einer führenden Familie blutsverwandt ist, und es kommt vor allem zu einem Zeitpunkt darauf an, an dem er sich stärker isoliert fühlt als je zuvor in seinem Leben. Und egal, wie weit wir uns von ihr entfernen, die Familie bleibt die Familie. Falls wir ihn, den legendären Berufsrebellen und -helden, überreden könnten, sich uns anzuschließen, den Mann, der das Abkommen mit dem Schwarzen Block geschlossen hat…«