»Es ist riskant«, fand Brendan. »Zu riskant. Er ist im Augenblick vielleicht politisch isoliert, aber er bleibt ein Mann von Macht und Einfluß. Und zu allem Überfluß ist er einer der Überlebenden des Labyrinths. Was immer das für Leute sind.«
»Sie sind die Zukunft«, sagte SB. »Wer immer sie steuert oder notfalls vom Spielfeld nehmen kann, bestimmt das Schicksal der Menschheit. Wie auch immer – die Überlebenden des Labyrinths sind vielleicht mächtig, aber sie haben weiterhin ihre Schwächen. Jakob Ohnesorg würde sich den Tröstungen einer Familie, des Dazugehörens, anheimgeben. Ruby Reise braucht den Kampf und eine Richtung, wenn nicht eine besondere Aufgabe; sie ist unfähig, ein eigenes Leben zu führen, und benötigt das Gefühl, daß man sie braucht. Owen Todtsteltzer und Hazel D’Ark… sind ein Problem. Zusammen sind sie größer als die Summe ihrer Teile, so daß es am ehesten unseren Interessen entspricht, wenn wir sie trennen. Wenn wir sie gegeneinander ausspielen, Owens Idealismus gegen Hazels praktische Gesinnung setzen. Es könnte gut sein, daß sie sich dann gegenseitig vernichten.«
»Was auch immer geschieht, wir müssen die bevorstehende Eheschließung zwischen Owen und Konstanze Wolf verhindern«, meinte Brendan. »Owen als Imperator, selbst als konstitutioneller Imperator, wäre undenkbar!«
»Nicht unbedingt«, wandte SB ein und streckte sich träge.
»Falls wir ihn nicht vernichten können, bleibt uns immer noch, ihn zu manipulieren. Wichtiger ist, daß wir Finlay Feldglöck aus dem Spiel nehmen. Es kommt darauf an, daß Robert als der Feldglöck eingesetzt werden kann, ohne daß sich dem jemand widersetzt.«
»Ich habe einiges in Bewegung gesetzt«, sagte Brendan.
»Jetzt brauchen wir nur noch zu warten. Ich kann jedoch nicht erkennen, daß Robert als der Feldglöck irgendeine Verbesserung darstellen würde. Es heißt, er hege keine Zuneigung zu Aristokraten im allgemeinen und dem Schwarzen Block im besonderen.«
»Aber er gehörte eine Zeitlang dem Schwarzen Block an, und wer uns einmal gehört hat, der gehört uns für immer. Wenn der Zeitpunkt kommt, wird er das Richtige tun. Er wird gar nicht anders können.«
Der Bildschirm an der Wand läutete höflich, und Brendan ging hinüber, um das Gespräch anzunehmen. Julian Skyes ausgemergeltes Gesicht erschien, und SB legte sich rasch zurück, damit Julian sie nicht sehen konnte. Er wirkte müde, und er funkelte Brendan aus verdächtig verschwollenen Augen an.
»Ich möchte mit SB sprechen. Sofort.«
»Tut mir leid, Julian. Sie möchte nicht mit Euch reden. Nicht, bis Ihr Eure Liebe und Loyalität zu ihr unter Beweis gestellt habt.«
»Ich kann ihr Finlay Feldglöck liefern. Falls es das ist, was sie möchte.«
»Das sind… gute Nachrichten, Julian. Ich bin sicher, daß SB sich sehr freuen wird, das zu hören. Wie schnell…«
»Sehr schnell. Aber ich übergebe ihn nur SB. Persönlich.«
»Ich bin überzeugt, daß wir das arrangieren können. Informiert mich, sobald Ihr die Lieferung vornehmen könnt, und ich nenne Euch Zeit und Ort. SB wird Euch dort erwarten.«
»Sagt ihr… sagt ihr, daß ich sie liebe.«
»Selbstverständlich. Ihr tut das Richtige, Julian. Seid vorsichtig mit Finlay; er ist…«
Aber Julian hatte die Verbindung schon getrennt. Brendan starrte auf den leeren Bildschirm und drehte sich dann zu SB um, die aufgestanden war und auf ihn zukam.
»Na«, sagte Brendan, »das war überraschend. Ich hatte mit seiner totalen Kapitulation noch auf Tage hinaus nicht gerechnet.«
»Er liebt mich«, gab SB zu bedenken. »Mein lieber, süßer, verletzlicher Julian. Er hat immer gesagt, er würde alles für mich tun.«
»Sogar seine Freunde verraten?«
»Natürlich. Wozu sind Freunde da?«
»Aber können wir uns darauf verlassen, daß er sein Wort hält? Ihr habt ihn an die Folterknechte verraten. Ihr steht für alles, was er verabscheut.«
»Das spielt keine Rolle. Er gehört mir. Eigentlich hätte es sein leichter formbarer, älterer Bruder Auric werden sollen. Er wäre uns viel nützlicher gewesen. Er bestand jedoch auf diesem dummen Duell in der Arena und ging uns dabei verloren.
Julian war nur die zweite Wahl, aber um fair zu sein: Er hat aus eigener Kraft viel mehr erreicht, als ich erwartet hätte. Ein weiterer offizieller Held der Rebellion könnte sich für uns als sehr nützlich erweisen…«
»Denkt Ihr wirklich, daß er seinen besten Freund umbringt?
Seinen Retter? Sei es auch Euch zuliebe?«
»Wahrscheinlich nicht. Eher rechne ich damit, daß er mir Finlay lebend und hilflos ausliefert und vorher alle möglichen Bedingungen aushandelt, bis sein Gewissen ihm erlaubt, Finlay zu übergeben. Aber das ist egal. Auf die eine oder andere Art erhalten wir, was wir möchten.«
»Der arme Julian«, sagte Brendan lächelnd. »Schon ins Schwimmen geraten und im Begriff, rasch zu sinken. Er könnte einem fast leid tun, nicht wahr?«
SB musterte ihn kühl. »Wollt Ihr damit fragen, ob ich Gefühle für ihn hege? Natürlich tue ich das. Ich bin letztlich auch nur ein Mensch.«
»Wirklich?« fragte Brendan. »Ich dachte, Ihr wärt ganz Schwarzer Block.«
Evangeline saß in Finlays Quartier steif auf der Bettkante und war nach wie vor in ihr Bettlaken gewickelt. Finlay saß ihr gegenüber auf einem Stuhl und machte ein ausgesprochen finsteres Gesicht. Sie hatten es mit einem Gespräch probiert, aber damit nichts erreicht. Reden war nie Finlays starke Seite gewesen. Der Reservemonitor läutete plötzlich, und Finlay mußte für einen Augenblick angestrengt nachdenken, ehe ihm wieder einfiel, wo er das Gerät fand. Bislang hatte er es noch nie benutzen müssen. Endlich entdeckte er den kleinen Bildschirm im Kopfteil des Bettes und nahm den Anruf entgegen. Julian Skyes Gesicht tauchte auf, und Finlay stieß einen leisen, erleichterten Seufzer aus.
»Julian! Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Wie geht es dir? Bist du in Ordnung? Hör mal…«
»Wir müssen reden, Finlay.«
»Natürlich müssen wir das! Sieh mal, ich kann Evie im Moment nicht allein lassen. Wieso…«
»Wir müssen sofort miteinander reden, Finlay. Komm herüber in mein Stadthaus. Ich kann nicht weg. Ich kann nicht riskieren, daß mich jemand sieht. Du mußt herkommen! Es ist wichtig. Meine alten Verbindungsleute unter den Espern sind einer Verbindung zwischen Gregor Shreck und den Chojiros auf die Schliche gekommen. Da läuft zusammen mit dem Schwarzen Block irgendeine Intrige. Ich habe versucht, Jakob Ohnesorg zu erreichen, aber niemand weiß, wo er sich aufhält.
Du bist der einzige andere Mensch, mit dem ich darüber reden kann.«
»Ja, richtig. Scheiße! An manchen Tagen überstürzt sich einfach alles. In Ordnung, bleibe, wo du bist. Ich bin bei dir, sobald ich kann.«
»Sicher, Finlay. Bis später.«
Der Bildschirm wurde dunkel. Finlay drehte sich um und stellte fest, daß Evangeline ihn ungläubig musterte. »Du denkst doch nicht ernsthaft daran, dorthin zu gehen, oder?«
»Ich muß«, sagte Finlay. »Ich muß mit ihm reden, ihm erklären… Du hast ja gesehen, in welcher Verfassung er gegangen ist. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, er könnte etwas…
Törichtes tun. Ich bleibe nicht lange weg.«
»Was ist mit mir? Bedeute ich nichts? Ich möchte nicht, daß du mich allein läßt, Finlay!«
»Ich komme zurück, so schnell ich kann.«
»Finlay!«
»Evie, ich muß das tun! Vielleicht steckt nichts hinter dieser Chojiro-Sache; vielleicht ist es nur eine Ausrede, um sich an mich zu wenden. Ich kann es mir aber nicht erlauben, das einfach vorauszusetzen. Falls er recht hat, muß ich mit einem ganzen Haufen Leute Kontakt aufnehmen… Evie, du weißt, daß ich dich nicht allein lassen würde, wenn ich nicht dazu gezwungen wäre.«
»Du läßt mich immer allein, Finlay, und rennst weg, um irgend jemanden umzubringen und ein weiteres Mal den Helden zu spielen. Immer geht es darum, was du für nötig hältst. Was ist mit meinen Bedürfnissen?«