»Du bist hier in Sicherheit. Niemand kann hier zu dir vordringen, nicht am Sicherheitsdienst der Arena vorbei. Ich muß gehen. Es ist wichtig.«
»Und ich bin es nicht?«
»Das habe ich nicht behauptet!«
»Falls es so wichtig ist, komme ich mit.«
»Evie, das geht nicht. Du bist nicht in der Verfassung, um irgendwohin mitzukommen. Und ich denke, Julian und ich müssen das allein besprechen. Ruhe du dich lieber aus. Ich bin bald zurück, versprochen.«
»Finlay, falls du mich jetzt im Stich läßt, bin ich nicht mehr hier, wenn du zurückkehrst. Ich meine es ernst, Finlay!«
Er ging trotzdem, was ihnen beiden von Anfang an klar gewesen war. Finlay Feldglöck konnte niemals einem Aufruf zur Tat widerstehen.
Julian Skye, der wieder in seinem alten Haus zurück war, wandte sich vom leeren Bildschirm ab. Er fühlte sich kalt und leer und sehr müde. Vor gerade mal ein paar Tagen hatte sein Leben noch Sinn ergeben. Es war geordnet gewesen, abgesichert, gar der Routine anheimgefallen. Jetzt war alles dahin, was ihm je etwas bedeutet hatte. Alles außer SB Chojiro. Aber ihm blieb keine Zeit für Trauer oder Bedauern. Er hatte das eine oder andere zu tun, mußte ein paar Dinge in die Wege leiten, ehe Finlay eintraf.
Julian ging zu dem niedrigen Holztisch am Kamin hinüber und nahm die kleine Silberschatulle zur Hand, die dort stand.
Der Deckel zeigte das Familienwappen. Sein Vater hatte sie als Schnupftabakdose benutzt. Julian hatte sie in seiner Zeit bei den Rebellen anderen Zwecken zugeführt. Er öffnete sie jetzt und holte eine einzelne schwarze Kapsel heraus, fast so groß wie ein Fingernagel. Er wog sie für einen Moment ab und machte sich dann auf die Suche nach einem Glas Wein. Etwas von dieser Größe würde schwer zu schlucken sein, und er hatte sowieso immer Probleme mit Tabletten gehabt. Schließlich schaffte er es doch, unterstützt von einem Halben und mit etwas Anstrengung. Die Kapsel bereitete ihm entschieden Unbehagen, als er sie schluckte, aber er war darüber hinaus, sich noch um solche Dinge zu scheren.
Eine einzelne schwarze Kapsel. Nur ein bißchen, das ihn zusammenhielt, während er mit SB Chojiro sprach. Er hoffte, daß er sie nicht brauchen würde, aber es bestand immer die Gefahr, daß das doch der Fall sein würde.
Er setzte sich in den Salon und wartete darauf, daß Finlay eintraf. Es dauerte etwas weniger als eine Stunde, und als die Türglocke läutete, saß Julian immer noch dort. Er hatte sich nicht vom Fleck bewegt. Er ging selbst zur Tür. Den Dienern hatte er für den restlichen Abend freigegeben. Er wollte keine Zeugen. Er öffnete die Tür für Finlay, und sie beide nickten sich verlegen zu. Julian führte seinen Gast in den Salon. Sie setzten sich vor dem Kamin einander gegenüber.
»Ich wollte nie, daß du es herausfindest«, sagte Finlay. »Ich wußte, daß es dir weh tun würde.«
»Du hast meinen Bruder Auric umgebracht.«
»Ja, das habe ich. Ich habe viele Leute in der Arena umgebracht.«
»Er hat gut gekämpft. Du hättest dich damit begnügen können, ihn zu verletzen. Die Menge hätte für ihn den aufgerichteten Daumen gezeigt.«
»Er hat zu gut gekämpft. Er hatte Panzerplatten unter der Haut implantiert und Servomechanismen in den Muskeln. Ich dachte wirklich, er würde mich töten. Also stoppte ich ihn mit einem Schwertstoß gegen seine einzige ungeschützte Stelle: die Augen.«
»Du warst der Maskierte Gladiator. Unbesiegter Meister der Arena. Falls du nur gewollt hättest, dann wäre dir eine Möglichkeit eingefallen, ihn zu besiegen, ohne ihn dabei zu töten.«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. In der Arena findet man keine Zeit, um über solche Fragen nachzudenken. Es heißt töten oder getötet werden. Dein Bruder wußte das.«
»Auric. Er hieß Auric.«
»Was soll ich deiner Meinung nach sagen, Julian? Daß es mir leid tut? In Ordnung, es tut mir leid, daß ich deinen Bruder Auric umgebracht habe. Aber du und ich, wir haben während der Rebellion viele Menschen getötet, manche davon einfach nur Soldaten oder Wachtposten, die ihren Job taten, die ihre Pflicht erfüllten, wie sie sie verstanden. Jeder von ihnen war irgend jemandes Bruder. Mir tut der Schmerz leid, den ich dir zugefügt habe, Julian. Ich kann es jedoch nicht mehr ändern.«
»Ich weiß«, sagte Julian. »Mir tut es auch leid. Aber manchmal ist das nicht genug.«
Er griff mit seiner ESP hinaus und schaltete Finlays Verstand aus. Der Feldglöck kippte vom Stuhl und blieb reglos auf dem Teppich liegen. Julian stand auf, blickte auf den alten Freund hinunter und gab sich Mühe, keine Gefühle aufsteigen zu lassen. Die Tür ging auf, und drei Einsatzleute des Schwarzen Blocks kamen aus dem angrenzenden Raum, in dem sie gewartet hatten. Der Anführer sah Finlays reglose Gestalt an.
»Ist er tot?«
»Nein«, sagte Julian. »Er schläft nur. Hebt ihn auf und tragt ihn hinaus. Und behandelt ihn höflich. Er war einmal ein großer Mann.«
Die drei Agenten des Schwarzen Blocks warfen den bewußtlosen Finlay SB Chojiro vor die Füße. Er lag reglos da und atmete kaum. Schwertgurt und Halfter hatte man ihm abgenommen.
Ein Arm lag schlaff neben dem Körper ausgestreckt und war SB wie in einer bittenden Geste zugewandt. Sie betrachtete Finlay einen Augenblick lang und hob schließlich die Augen lächelnd zu Julian Skye, der ein kleines Stück abseits stand. Er erwiderte das Lächeln nicht, nickte ihr jedoch zu.
»Hallo SB. Ist eine Weile her, nicht wahr? Mir gefällt deine Suite. Sehr luftig. Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht. Eine kleine Aufmerksamkeit.«
»Hallo Julian. Schön, dich wiederzusehen. Du warst schon immer sehr großzügig zu mir. Ich hoffe, du hattest keine Schwierigkeiten, mich zu erreichen.«
»Ich hätte ohne die Durchsuchung, das komplette Ausziehen und die tastenden Finger auskommen können, aber ich verstehe, daß du auf Sicherheit bedacht bist. Du hast heutzutage viele Feinde, SB.«
»So geht es erfolgreichen Leuten immer. Du bist ja ganz blaß, Julian. Hast du auch gut für dich selbst gesorgt?«
»Es geht mir in letzter Zeit nicht gut. Die Rebellion hat mich viel gekostet. Es geht wieder vorüber.«
»Gut. Ich habe mir alle deine Holoauftritte angesehen. Sehr dramatisch. Soweit ich gehört habe, bist du heute ein richtiger Frauenschwarm.«
»Oh, sicher doch. Ich habe sogar einen offiziellen Fanclub.
Ich kann dir ein Bild mit Autogramm geben, falls du möchtest.«
»Und?« fragte SB. »Gibt es in deinem Leben zur Zeit jemand besonderes?«
»Nein«, antwortete Julian. »Das weißt du ganz gut. Es hat immer nur dich gegeben, SB. Nach dir hatte ich keinen Blick mehr für sonst jemanden. Deshalb bin ich ja auch hier. Deshalb habe ich dir Finlay mitgebracht. Um die Tiefe der Gefühle zu demonstrieren, die ich für dich hege.«
»Lieber Julian! Auch in meinem Leben hat es niemals jemand anderen als dich gegeben. Ich wollte nie einen anderen.
Wir gehören zusammen.«
»Schicke deine Schatten weg«, sagte Julian und deutete auf die drei Agenten des Schwarzen Blocks, die sich schweigend im Hintergrund hielten. »Wir brauchen kein Publikum.«
SB gab den drei gesichtslosen Männern einen Wink, und sie nickten, gingen hinaus und schlossen die Tür lautlos hinter sich. SB und Julian standen einander über Finlays bewußtloser Gestalt gegenüber, und beide Gesichter zeigten einen sehnsüchtigen Ausdruck, der vielleicht real war, vielleicht aber auch nicht.
»Du bist so schön«, sagte Julian. »Du bist alles, was ich mir je gewünscht habe. Ich hätte mein Leben für dich geopfert.«
»Warum bist du hier, Julian?« wollte SB mit ganz dünner und ganz leiser Stimme wissen. »Nach all den schrecklichen Dingen, die ich dir angetan habe?«