»In einem Schiff dieser Größe? Heh, warte mal eine Minute… O Scheiße! « Ruby sah ihn scharf an. »Mir hat der Tonfall wirklich nicht gefallen, in dem du das gesagt hast. Was ist los?«
»Die Hälfte der Lenksysteme haben sich gerade abgeschaltet.
Splitter des Fensters haben die Hauptlektronen durchsiebt. Wir fliegen jetzt gänzlich mit Reservesystemen. Sollte ich versuchen, die Handsteuerung einzuschalten, stürzt dieser Haufen Scheiße wie ein Stein ab. Nur die wenigen automatischen Systeme, die noch laufen, halten die Triebwerke in Gang.«
»O Scheiße!«
»Genau. Wir stürzen zur Zeit mit einem zerstörten Schiff, das wir nicht lenken können, auf die Oberfläche eines unbekannten Planeten, und das mit den Gleitflugeigenschaften eines Backsteins, aus dem noch ein Nagel ragt. Tue dir keinen Zwang an und melde dich, falls du irgendwelche cleveren Ideen hast, die keinen himmlischen Eingriff voraussetzen.«
»Also was unternehmen wir? Komm schon, Ohnesorg, du bist doch der Experte fürs Strategische. Überleg dir einen Ausweg aus diesem Schlamassel.«
»Strategien setzen Wahlmöglichkeiten voraus, und die haben wir anscheinend nicht mehr. Wir müssen uns einfach darauf verlassen, daß die verbliebenen Bordlektronen einen möglichst sanften Aufprall herbeiführen.«
»Wir können doch nicht so hilflos sein! Wir sind Überlebende des Labyrinths, verdammt noch mal! Übermenschen!«
»Leider nützt uns keine unserer Fähigkeiten etwas in dieser Lage. Wir müßten jedoch in der Lage sein, einen Absturz zu überleben, der jeden anderen umbringen würde. Verdammt, als ich auf Golgatha die Pastelltürme angegriffen habe, haben sie meinen Gravschlitten vom Himmel geschossen und mich dann in Brand gesetzt, und ich habe es trotzdem überstanden.«
Ruby starrte die nutzlose Steuerung an. »Es muß einfach etwas geben, was wir tun können. Etwas, was unsere Chancen erhöht.«
»Gibt es auch«, sagte Ohnesorg plötzlich. »Hilf mir mal.«
Er drückte heftig auf den Gurtknopf und sprang vom Sitz auf, und sein Gesicht leuchtete förmlich vor Inspiration. Er stolperte den schrägstehenden Zwischengang des zitternden Schiffs hinauf und machte sich daran, alle verbliebenen Sitze und Schließfächer loszureißen. Ruby beeilte sich, ihm zu folgen, von frischer Hoffnung bewegt.
»Was ist? Was hast du dir überlegt, Jakob?«
»Einen Kokon. Wir errichten eine Barrikade rings um uns, mehrere Schichten aus Stahl und Polsterung, und hoffen, daß sie den größten Teil des Aufpralls abfedert. Hilf mir mal. Wir haben nur noch ein paar Minuten.«
Ruby packte mit an und riß Halterungen los. Alles, was nicht direkter Bestandteil von Deck oder Rumpf war, endete als Teil der vielschichtigen Barrikade, die sie am vorderen Ende der Kabine auftürmten. Schließlich gingen ihnen Schrott und Zeit aus, und sie verkrochen sich in dem Kokon. Sie hatte gerade genug Platz gelassen, um sich hineinzuzwängen, und hockten dort nun und umklammerten einander. Sie waren so fest eingekeilt, daß sie kaum Luft bekamen. Das Geheul diverser Alarmsirenen lief inzwischen zu einem einzigen hysterischen Ton ineinander, und die rote Notbeleuchtung überzog alles mit der Farbe des Blutes. Der Sturm tobte nach wie vor draußen und prügelte das Boot hin und her.
»Ich hätte nie gedacht, daß ich mal so sterben würde«, bekannte Ruby Reise. »Einfach nur hilflos dasitzen und auf das Ende warten. Ich habe den Tod einer Kriegerin verdient. Eine Chance, im Kampf zu sterben, auf den Beinen, und dabei ein paar Feinde mitzunehmen.«
»Noch sind wir nicht tot«, wandte Jakob Ohnesorg ein. »Gib nie die Hoffnung auf, Ruby. Sie ist alles, was uns aufrecht hält.«
»Ich habe dich immer geliebt, Jakob. Werde ich auch immer.
Ich bin vielleicht nicht sehr gut darin, es zu zeigen, aber…«
»Ist schon in Ordnung. Ich weiß. Ich liebe dich auch, Ruby.
Falls wir das lebend überstehen, sollen wir es dann noch mal mit Zusammenleben probieren?«
»Verdammt, nein! So sehr liebe ich dich nun auch wieder nicht.«
Beide lachten leise.
»Wenigstens haben sie aufgehört zu schießen«, sagte Ohnesorg. »Entweder hat uns der Sturm über ihre Reichweite hinausgetrieben, oder sie halten uns schon alle für tot.«
»Seien wir dankbar für kleine Gunstbeweise«, schlug Ruby vor. »Weißt du, dieser Angriff ist nicht zufällig geschehen.
Jemand da unten wußte, daß wir kamen.«
»Ja. Was das angeht, müssen wir später noch ein paar gezielte Fragen stellen. Und sei es auch vor einem Ausschuß von Geistern.«
»Ich werde nicht sterben«, sagte Ruby. »Dafür bin ich noch nicht bereit. Ich habe immer noch so viel vor.«
»Ich schätze, daß es jedem so geht. Ich bin… mehr oder weniger zufrieden. Ich habe mehr erreicht, als ich jemals erwartet hatte. Und schließlich bin ich dir begegnet. Damit gebe ich mich zufrieden.«
»Du hast dich schon immer mit zu wenig zufriedengegeben, Jakob.«
Sie lachten erneut, und dann wurde ihnen die Luft aus den Leibern gerammt, als sich die Lande-Lektronen einschalteten und die Triebwerksleistung regulierten, im Bemühen, die letzte Etappe des Absturzes in eine Landung zu verwandeln. Die Geschwindigkeit der Pinasse sank drastisch. Der Rumpf ächzte und bog sich durch, und Lampen gingen flackernd an und aus.
Das Heulen der überforderten Triebwerke überschrie sogar den Sturm draußen. Ohnesorg und Ruby klammerten sich aneinander, den Kopf jeweils an der Schulter des anderen vergraben.
Und dann schrammte die Pinasse an einem schwarzen Berg entlang, und die gesamte rechte Bordwand wurde nach innen gedrückt. Das Boot rammte im Niedergehen ein Hindernis nach dem anderen. Der schwer gepanzerte Rumpf absorbierte die meisten Schläge, aber trotzdem wurden auch Ohnesorg und Ruby kräftig durchgeschüttelt. Feuer brach im Heck aus. Rauch trieb durch die Kabine, dick und schwarz und erstickend. Und dann schlug das Fahrzeug schließlich am Boden auf.
Der Aufprall schien kein Ende mehr zu nehmen. Die Pinasse rutschte über eine unnachgiebige Fläche, umwogt von Funken und Flammen, und verlor nur langsam an Geschwindigkeit, bis sie mit der Nase schließlich in eine dunkle Klippe krachte und zum Halten kam. Die Triebwerke schalteten automatisch ab, und für eine ganze Weile hörte man nur das Brüllen von Sturmwinden, die die Brände ausbliesen und das aufgebrochene Wrack der Pinasse hin und her wiegten.
Das erste, was Jakob Ohnesorg spürte, war ein angenehmes Hin- und Herschaukeln, wie es ein Säugling in seiner Wiege erlebte. Es fühlte sich wundervoll an, behaglich, und er wünschte sich nichts weiter, als dazuliegen und es zu genießen.
In einem tiefen Winkel wußte er jedoch, daß das nicht ging.
Widerstrebend öffnete er die Augen und wurde vom höllenroten Schein der Notbeleuchtung begrüßt. Wenigstens waren die verdammten Alarmsirenen endlich verstummt. Er wußte nicht, wie lange er bewußtlos gewesen war, aber er hörte, wie Brände am Heck der Pinasse fraßen. Kein gutes Zeichen. Er schmeckte Blut. Er versuchte die Arme zu bewegen und bekam heftige Seitenschmerzen. Mehrere vorsichtige Bewegungen später hatte er sich darüber vergewissert, daß die meisten seiner Rippen gebrochen waren, und genügend Blut sammelte sich im Mund, um es fortwährend ausspucken zu müssen. Definitiv kein gutes Zeichen. Er knirschte vor Schmerzen mit den Zähnen und wollte aufstehen, aber beim Absturz war die Barrikade ringsherum zusammengedrückt worden, so daß kein Spielraum mehr blieb.
Rubys Augen waren immer noch geschlossen, und sie atmete schwer durch den Mund.
»Ruby! Wach auf, verdammt! Ich schaffe das nicht allein!«
»Hör auf zu schreien«, nuschelte Ruby, ohne die Augen zu öffnen. »Ich habe Kopfschmerzen.«
Sie hob langsam den Kopf, und Ohnesorg zuckte zusammen, als Licht auf ihr Gesicht fiel. Sie hatte eine tiefe, häßliche Stirnwunde, und Blut floß seitlich herunter. Als sie jedoch die Augen öffnete, wirkte ihr Blick klar und vernünftig.