»Oh, das tun wir!« versicherte ihm Ohnesorg, ohne die Miene zu verziehen. »Und wir haben vor, das Kompliment so schnell wie möglich zu erwidern.«
Wild grinste. »Ich muß schon sagen, ich freue mich wirklich darauf, mit Euch zusammenzuarbeiten, Sir Ohnesorg! Ihr wart immer schon mein Held. Ich habe mir alle Eure Holofilme angesehen.«
Der junge Wachmann sprudelte förmlich über vor Aufrichtigkeit, die von einer Art war, wie Ohnesorg sie seit den Tagen seines Ruhms nicht mehr erlebt hatte damals, als er noch die einzige Hoffnung gewesen war, die Löwensteins Imperium entgegenstand. Viel hatte sich seitdem verändert. Wenn eine solche Heldenverehrung überhaupt noch Eindruck auf ihn machte, dann fühlte er sich dabei alt. Er wußte nicht recht, ob er noch der Mann war, an den sich Wild erinnerte. Er war ein wenig verlegen, und Rubys eindeutige Erheiterung half ihm nicht im mindesten. Er beeilte sich, das Thema zu wechseln.
»Wo stecken alle? Ich hatte erwartet, in einer Stadt dieser Größe viel mehr Leute anzutreffen.«
»Da die Hälfte der äußeren Siedlungen von Truppen der Aufständischen überrannt wurde, steuern wir den Großteil der Bergbauanlagen heute von Vidar aus, was bedeutet, daß die meisten Menschen Überstunden machen, um die Anlagen in Betrieb zu halten. Und… viele Leute hier wissen nicht recht, wie sie zu Euch stehen sollen, Sir Ohnesorg. Da draußen führt jemand, der Euer Gesicht zeigt, die Streitkräfte von Shub und zieht dabei eine Spur des Blutes, des Todes und der Greueltaten. Euer Name ist zum Fluch geworden. Deshalb wurde Euch eine bewaffnete Wache zugeteilt. Nur für den Fall, daß es zu…
Schwierigkeiten kommt.«
»Sollen sie nur irgendwas anfangen«, sagte Ruby gelassen.
»Soll nur irgend jemand was anfangen.«
»Jedenfalls«, fuhr Wild eilig fort, »sind die Aufständischen mit Unterstützung von Shub systematisch dabei, die äußeren Siedlungen zu vernichten, die Bergbauanlagen zu zerstören und alles Lebendige zu töten, ehe sie zum nächsten Ziel weiterziehen. Sie haben uns umzingelt und rücken allmählich auf Vidar vor. Denn wer diese Stadt beherrscht, hat zugleich den einzigen Raumhafen des Planeten in der Hand und den ganzen Bergbau.
Falls wir fallen, fällt die ganze Kolonie. Wir haben keine nennenswerte Armee, nur Sicherheitsleute und einen ganzen Haufen Freiwillige, meist Flüchtlinge aus schon gefallenen Siedlungen. Wir können nicht mal alle bewaffnen. Wir haben noch nie eine Armee benötigt. Das Wetter hat uns immer zu sehr auf Trab gehalten, als daß wir noch gegeneinander hätten kämpfen können.«
»Wie hat sich Eure Armee im Feld geschlagen?« erkundigte sich Ohnesorg. »Wenn ich es richtig verstanden habe, gab es einige direkte Zusammenstöße, Armee gegen Armee.«
»Einige«, bestätigte Wild. »Wir machen Ausfälle, wenn ruhigere Wetterphasen eintreten. Menschen sterben, aber geregelt wird nichts. Wir haben die Übermacht und die Ausbildung, aber der Gegner hat Shub. Bislang war alles… ergebnislos.«
»Warum hat Golgatha keine Verstärkungen geschickt?« fragte Ohnesorg stirnrunzelnd.
»Wir haben darum gebeten«, antwortete Wild, »und man hat Euch beide geschickt. Anscheinend genießen wir keine sehr hohe Priorität. Zur Zeit schreit alles nach Verstärkungen, und wir sind nur irgendein Bergbauplanet mit relativ kleiner Bevölkerung.«
»Nur wir beide gegen eine Armee von Geistkriegern«, sagte Ruby. »Genau die Chancenverteilung, wie sie mir gefällt.«
»Das Problem dabei ist: Sie meint das ernst«, sagte Ohnesorg. »Ignoriert sie. Ich tue es, soweit möglich. Wie weit noch bis zum Ratssaal?«
»Wir sind fast da, Sir Ohnesorg.«
»Noch irgendwas, was ich wissen sollte?«
Wild zögerte und senkte die Stimme. »Seid vorsichtig! Der Stadtrat tut sei eh und je immer das, was er für das beste hält… für sein Bestes.«
Die nächsten paar Blocks legten sie schweigend zurück, wobei jeder den eigenen Gedanken nachhing. Endlich blieb Wild vor einem häßlichen, gedrungenen Haus stehen, das sich äußerlich nicht von den übrigen unterschied, und führte sie durch eine Reihe überraschend strenger Sicherheitsvorkehrungen.
Ohnesorg war beeindruckt. Trotzdem weigerte er sich, auf Aufforderung Schwert und Pistole herzugeben, und Ruby tat es ihm gleich. Niemand war dumm genug, um stur zu bleiben.
Wild klopfte zurückhaltend an eine Tür, vor der zwei bewaffnete Wachtposten standen, und eine Stimme von innen forderte sie auf einzutreten. Wild öffnete die Tür und trat zurück, damit Ohnesorg und Ruby zuerst hineingehen konnten. Ohnesorg marschierte mit einer Haltung hinein, als gehörte ihm hier alles. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, sich örtlichen Politikern gegenüber niemals höflich oder eingeschüchtert zu geben.
Das hätten sie nur ausgenutzt. Ruby ging in gleicher Haltung an seiner Seite, aber in ihrem Fall war es nur natürliche Arroganz.
Sie fanden sich in einem einigermaßen großen Saal wieder, gestaltet von jemandem, der über ein umfangreiches Budget und absolut keinen Geschmack verfügte. Ruby fühlte sich gleich ganz wie zu Hause. Ohnesorg war an der Umgebung nicht interessiert. Er warf nur einen Blick auf die fünf Männer, die am hinteren Ende des Zimmers ziemlich pompös hinter dem langen Tisch aus Hartholz saßen, und blieb abrupt stehen.
Ruby blieb sofort ebenfalls stehen und senkte mechanisch die Hand auf die Pistole. Ohnesorg funkelte den Mann in der Mitte der Gruppe an, und als er sprach, war seine Stimme so kalt wie der Tod.
»Andre de Lisle! Was zum Teufel tut Ihr denn hier, Ihr Mistkerl? Als ich zuletzt von Euch hörte, verfaultet Ihr in einer Gefängniszelle!«
»Ich finde es auch schön, Euch zu sehen, Ohnesorg«, sagte de Lisle ruhig. »Es ist eine Weile her seit Eisfels, nicht wahr?«
Ein tiefes, wütendes Knurren entfuhr Ohnesorg, und plötzlich stürmte er vor, auf den Mann zu. Die Wachleute, die ihm gefolgt waren, griffen nach den Waffen, aber Ruby hatte sich schon zu ihnen umgedreht und hielt die Pistole in der Hand.
Die Gardisten hielten inne. De Lisle fand kaum Zeit, auf seinem Stuhl zurückzuschrecken, da hatte Ohnesorg den Raum bereits durchquert, zerrte ihn vom Stuhl hoch und hielt den großen, muskulösen Mann vor sich in die Luft. De Lisle strampelte hilflos mit den Beinen. Die übrigen Ratsherren gaben erschrockene Laute von sich, mischten sich jedoch nicht ein.
Sie waren nicht dumm. Ruby wies die Wachleute an, ihre Waffen hinzulegen und sich entlang einer Wand aufzureihen, während Ohnesorg de Lisle mühelos hochhielt und kalt sein allmählich rot anlaufendes Gesucht musterte.
»Also«, sagte Ruby trocken und warf einen kurzen Blick über die Schulter. »Ihr kennt euch also, wenn ich es richtig verstehe.«
»O ja!« sagte Ohnesorg kalt und gelassen und sehr gefährlich. »Dieses Stück Abschaum hatte einmal die Bergbauanteile auf einem Planeten namens Eisfels in der Tasche. Hat seine Leute wie Scheiße behandelt. Zahlte die niedrigsten Löhne im Sektor und reagierte auf jeden Protest nur mit Auspeitschung, mit Brandzeichen und gelegentlichen Massenhinrichtungen. Er führte ein schönes Leben, während Kinder hungerten. Als ich meine Rebellion nach Eisfels brachte, bezahlte er die Armee, die sich mir entgegenstellte. Kaum erstaunlich. Er war in jeder Beziehung, außer der Form nach, Herrscher von Eisfels. Nachdem man mich verraten und gefangengenommen hatte und meine Rebellion zusammenbrach, sorgte er dafür, daß meine Zelle ein Holovid erhielt, damit ich zusehen konnte, wie er jeden hinrichten ließ, der meine Partei ergriffen hatte, und darüber hinaus aufs Geratewohl jeden zehnten, als Strafe für seine Leute, die es gewagt hatten, gegen ihn aufzumucken. Männer, Frauen und Kinder starben auf seinen Befehl hin. Manchmal ist er hingegangen und hat zugeschaut. Und gelacht.