Der Haftbefehl gegen ihn gehörte zu den ersten, die ich unterzeichnete, nachdem wir Löwenstein und ihre Leute gestürzt hatten. Ich sorgte dafür, daß er dieselbe Zelle erhielt, in der ich gesessen hatte – der alten Zeiten wegen. Ich wollte, daß man auch ihn hängte, aber er hatte einen richtig guten Anwalt und eine Menge Verbindungen. Das haben solche Leute immer.
Trotzdem konnte ich sicherstellen, daß er lebenslänglich Einzelhaft erhielt. Keine Bewährung, keinerlei Luxusgüter, keinen Strafnachlaß aufgrund guter Führung. Aber jetzt finde ich ihn hier, wieder an den Schalthebeln der Macht auf einem Planeten. Und ich möchte erfahren, warum.«
»Bitte setzt den Ratsherrn wieder ab, Sir Ohnesorg«, forderte ihn Wild zaghaft auf. »Bewaffnete Gardisten sind unterwegs, und ich möchte ihnen wirklich nicht den Befehl geben, Euch niederzustrecken.«
»Das ist gut«, fand Ruby. »Das möchtest du wirklich nicht.
Es wäre unklug.«
Wild dachte darüber nach. »Dann möchte ich wenigstens darauf hinweisen, daß Ratsherr de Lisle keine Fragen beantworten kann, solange man ihn würgt.«
Ohnesorg nickte widerstrebend und setzte de Lisle auf dem Tisch ab. Wild stieß einen hörbaren Seufzer der Erleichterung aus. De Lisle lag auf dem Rücken, massierte sich den gequetschten Hals und schnappte nach Luft. Ohnesorg sprang vom Tisch herunter und wandte sich den übrigen Ratsherren zu.
»Ich kenne Euch nicht, aber ich könnte Euch trotzdem gut alle umbringen, weil Ihr Euch mit de Lisle an einen Tisch gesetzt habt. Also bleibt ruhig. Oder ich bitte Ruby, Euch gut zuzureden.«
»Jawohl«, bekräftigte diese. »Ich kann sehr vernünftig sein, wenn ich es mir vornehme.«
De Lisle setzte sich wieder auf seinen Stuhl am Tisch. Keiner der übrigen Ratsherren traf Anstalten, ihm zu helfen. De Lisle war ausgesprochen bleich im Gesicht, als er sich bemühte, die Reste seiner Würde zusammenzuklauben.
»Also«, sagte Ohnesorg fast ruhig. »Erklärt es mir, de Lisle.
Erzählt mir alles. Wie es möglich ist, daß Ihr hier wieder eine Machtposition bekleidet. Wobei Ihr eins nicht vergessen solltet: Falls Eure Antwort nicht äußerst überzeugend ausfällt, hänge ich Euch an der Stadtmauer auf. In Einzelteilen.«
Niemand im Raum glaubte, daß er gescherzt hatte. De Lisle räusperte sich schmerzlich.
»Ich wurde begnadigt«, erklärte er rundweg. »Das Imperium brauchte jemanden mit Erfahrung im Bergbau, der die Leitung dieses Höllenlochs übernahm, und Kandidaten waren begreiflicherweise etwas schwer zu finden. Ich erhielt die Stellung mit der Auflage, den Planeten nie wieder zu verlassen. Ich habe akzeptiert. Ich hätte es besser wissen müssen. Dieser Planet ist ein einziges großes Gefängnis.«
»Mir blutet das Herz«, sagte Ohnesorg. »Ich kann nicht glauben, daß ein Mistkerl wie Ihr begnadigt wurde.«
»Als Gegenleistung für lebenslangen Dienst hier«, entgegnete de Lisle. »Was ist nur los, Sir Ohnesorg? Glaubt der große Rebellenheld nicht an Wiedergutmachung durch Sühne?«
»Nicht in Eurem Fall. Aber so sehr mir das Eingeständnis zuwider ist, ich benötige Euren ortskundigen Rat. Ihr werdet also als mein Stellvertreter agieren und alles arrangieren, was ich brauche. Ich nehme unseren Peter Wild hier als Verbindungsmann, sei es auch nur deshalb, weil es mir zweifellos den Magen umdrehen würde, Euch regelmäßig gegenüberzutreten.
Und legt Euch nicht mit mir an, de Lisle! Ich dulde nicht, daß man mich erneut verrät!« De Lisle nickte ruckhaft. Ohnesorg musterte die übrigen Ratsherren. »Jemand sollte mir jetzt die politische Lage hier erklären. Wer genau sind die Aufständischen, wogegen stehen sie auf und was in Gottes Namen hat sie nur bewogen, sich mit Shub zu verbünden?«
»Ich heiße Bentley«, meldete sich einer der Ratsherren zu Wort, nachdem jeder von ihnen eine Zeitlang gewartet hatte, ob nicht ein anderer sprechen wollte. Bentley war ein großer, schlanker Mann mit rasiertem Schädel und Augen, so blaßblau, daß sie beinahe farblos wirkten. »Ich bin für den Sicherheitsdienst zuständig. Unsere Lage hier ist im Grunde ganz einfach zu erklären. Die Anführer der Aufständischen sind der frühere planetare Intendant Matthew Tallon und der ehemalige Bürgermeister dieser Stadt, Terrence Jacks. Sie führten schon damals die hiesige Rebellion gegen Löwensteins Ordnung, waren Eure Kameraden in der großen Rebellion, Sir Ohnesorg. Nachdem sie Löwensteins Leute vertrieben oder hingerichtet hatten, übernahmen sie selbst das Kommando.
Allerdings hatten sie keine echte Erfahrung damit, eine planetare Wirtschaft zu leiten, und hatten sich bald in eine Sackgasse manövriert, obwohl sie nicht bereit waren, das zuzugeben. Sie gaben den Menschen auf Loki das Wahlrecht, und nach einer Serie von Patzern und Fehlentscheidungen, die beinahe zum wirtschaftlichen Bankrott führten, wählte man sie ab.
Tal-Ion und Jacks nahmen uns das übel und gaben versteckten Elementen der alten Ordnung die Schuld. Sie zogen sich in die Außensiedlungen zurück und sammelten eine aufständische Truppe um sich, meist Leute, die darüber enttäuscht waren, daß die neue Ordnung sie nicht auf der Stelle reich und mächtig gemacht hatte. Es war keine nennenswerte Truppe, und sie stellte kein nennenswertes Problem dar. Bis die Streitkräfte von Shub eintrafen, um sie zu unterstützen. Anscheinend hatten Tallon und Jacks in den letzten Tagen ihrer Macht insgeheim ein Bündnis mit den Feinden der Menschheit geschlossen. Und jetzt führt der junge Jakob Ohnesorg die Aufständischen. Tallon und Jacks halten sich heutzutage weitgehend im Hintergrund.«
»So«, sagte Ohnesorg. »Man hat mich also hergeschickt, um die etablierte Ordnung gegen alte Rebellenkameraden zu verteidigen.«
»Kurz und präzise«, fand de Lisle, obwohl er Verstand genug zeigte, wenigstens nicht zu lächeln, als er das sagte. »Komisch, wie sich die Dinge entwickeln, nicht wahr?«
»Strapaziert meine Geduld nicht!« warnte ihn Ohnesorg.
»Zumindest weiß ich jetzt, warum das Parlament mich geschickt hat. Man denkt dort, die Berichterstattung, wie ich gegen Rebellenkräfte kämpfe, würde mich stärker ans Parlament binden und mich auf Distanz zu Gruppierungen bringen, die sich vielleicht seiner Autorität widersetzen. Na ja, wir werden sehen. Im Moment benötigen Ruby und ich erst mal Ruhe.
Zweifellos ist Eure Unterkunft die bequemste, de Lisle, so daß wir sie nehmen. Ihr werdet Eure eigenen Arrangements treffen müssen. Solltet Ihr irgendwelche Probleme haben, wendet Euch dieserhalb an meinen Verbindungsmann Wild, der sie in meinem Namen offiziell ignorieren wird. Wild, wir gehen.«
»Ja, Sir Ohnesorg. Bitte folgt mir.«
Ohnesorg ruckte den Ratsherren zu, Ruby nickte den Wachleuten zu, die sie mit der Pistole in Schach hielt, und beide stolzierten hinter Wild hinaus. Und noch lange danach sagte niemand im Ratssaal irgend etwas.
Einige Zeit später lag alle Welt, abgesehen von der Nachtschicht, im Bett, während Wild, Ohnesorg und Ruby leise durch die schmalen Straßen gingen, in Tarnmänteln versteckt.
Wild hatte bereits Vorkehrung getroffen, daß die Wachleute, die in der Lektronenzentrale Dienst taten, Freunde von ihm waren, und sie wandten sich betont ab, als er Ohnesorg und Ruby durch den Haupteingang hineinführte und dabei die Sicherheitssysteme mit seiner neuen Einstufung überwand. Als sie erst mal drinnen waren, suchte Wild das richtige Terminal heraus und begann damit, alle Arten von Dateien aufzurufen, von denen er eigentlich nichts wissen sollte. Falls es ihn nervös machte, daß ihm Ohnesorg über die Schulter blickte, so tat er sein Bestes, es nicht zu zeigen. Ruby bewachte mit gezogener Pistole die Tür, nur für alle Fälle.