Die beiden Menschen drehten sich scharf um und betrachteten mit finsterem Blick die Maschine, die gelassen an der Tür stand, groß und gutaussehend, in silberner Rüstung, jeder Zoll ein Held. Eine Mordmaschine mit dem Gesicht eines Helden, ohne Gnade oder Mitgefühl oder Ehre. Sie lächelte Tallon und Jacks charmant an.
»Tut mir leid, Euch bei der Mahlzeit zu stören, meine Herren, aber ich dachte, Ihr solltet erfahren, daß die Pläne geändert wurden und wir bald abmarschieren. Ihr solltet lieber Eure Leute zusammentrommeln und richtig motivieren. Keine heimtückischen Angriffe mehr – wir treten in offener Schlacht gegen die Kolonisten an. Unsere Armee gegen ihre, und der Sieger erhält alles.«
»Was hat denn zu diesem plötzlichen Entschluß geführt?« fragte Tallon und stand auf. »Von solch offener Taktik haben wir nichts zu gewinnen, wohl aber alles zu verlieren. Was hat sich verändert?«
»Jakob Ohnesorg und Ruby Reise befehligen die Truppen der Stadt. Und Shub möchte dieser beiden unbedingt habhaft werden, tot oder lebendig.«
Auch Jacks stand auf. »Ihr wollt sie so sehr, daß Ihr bereit seid, unser aller Leben und unsere Sache zu riskieren für die bloße Chance, die beiden in die Hand zu bekommen?«
»Kurz und präzise«, antwortete Jung Jakob Ohnesorg.
»Nein«, sagte Tallon. »Ich kann das nicht akzeptieren. Meine Leute sind noch vom letzten Überfall erschöpft. Ihr könnt sie nicht auffordern, wieder loszumarschieren.«
»Ich fordere sie nicht auf«, versetzte Jung Jakob Ohnesorg lächelnd. »Jeder, der nicht mit uns marschiert, stirbt gleich hier.«
»Ihr braucht uns!« warnte Jacks.
»Was hat Euch nur auf diese Idee gebracht?« fragte die Furie. »Ihr seid nützlich, nichts weiter. Betet darum, daß diese Nützlichkeit nicht Geschichte wird!«
»Wir können nicht gegen Ohnesorg und Reise kämpfen!« beschwerte sich Tallon. »Es sind Monster! Sie haben Kräfte, über die niemand verfügen sollte.«
»Keine Sorge«, sagte der immer noch lächelnde junge Jakob Ohnesorg. »Wir haben immer damit gerechnet, daß Überlebende des Labyrinths mal hier auftauchen. Deshalb haben wir etwas speziell für sie mitgebracht, so daß Ihr sie mühelos dingfest machen könnt.«
»Nein«, sagte Tallon, »so funktioniert das nicht. Diese beiden haben unsere Sache pervertiert und korrumpiert, haben ein Abkommen mit den Familien getroffen, statt sie auszulöschen.
Dieselben Bastarde sind immer noch an der Macht. Zur Hölle mit Jakob Ohnesorg und diesem irren Miststück Reise!«
»Wir sind verraten worden«, meinte Jacks. »Nach allem, was wir für Loki getan haben, nach allem Blut und Leid, nach den guten Leuten, die wir verloren haben – es war alles für nichts.«
Die beiden Menschen sahen sich gegenseitig an und entdeckten wieder die Wunden der Vergangenheit. Nur, indem sie das immer wieder taten, konnten sie die Scheußlichkeiten rechtfertigen, die sie im Bündnis mit Shub miterlebt und vollbracht hatten.
»Wir konnten nur wieder rebellieren«, sagte Jacks. »Und diesmal sicherstellen, daß wir genug Macht auf unserer Seite hatten. Deshalb wandten wir uns an Shub, und dort hat man Euch geschickt, Jung Jakob Ohnesorg. Euch und Eure Mordmaschinen.«
»Und haben wir nicht ausgezeichnete Arbeit geleistet?« fragte die Furie. »Unsere Streitkräfte haben noch nie einen einzigen Feldzug verloren.«
»Feldzug? Ihr nennt das Abschlachten schutzloser Dorfbewohner einen Feldzug?« Tallon funkelte Jung Jakob Ohnesorg an. »Das muß aufhören! Ich nehme das nicht mehr hin! Hört sofort mit den Massakern auf, solange wir noch einen Rest öffentlicher Unterstützung genießen!«
»Wir tun nur, was nötig ist«, sagte Jung Jakob Ohnesorg ruhig. »Wir müssen die Moral des Feindes zerstören, damit er, wenn wir schließlich vor Vidar stehen, lieber kapituliert, als ausgerottet zu werden. So wird eine langwierige Belagerung mit großen Verlusten auf beiden Seiten vermieden. Ihr habt in diese Taktik eingewilligt, ehe wir starteten.«
»Ja«, sagte Jacks, »wir haben eingewilligt. Wir haben jedoch nie erwartet, daß sich alles so lange hinzieht – daß uns soviel Blut an den Händen kleben würde.«
»Besser, wenn einige Hunderte in ein paar Dörfern sterben, als Tausende in der Stadt«, sagte Tallon. »So habt ihr es uns verkauft. Aber Vidar läßt nach wie vor nicht erkennen, daß man dort an Kapitulation denkt, und jetzt verfügen sie dort über den echten Jakob Ohnesorg und Ruby Reise. Sie haben Monster auf ihrer Seite.«
»Kein Grund zur Sorge«, fand Jung Jakob Ohnesorg. »Ihr habt mich.« Und er lächelte sie beide an, drehte sich um und ging.
Tallon und Jacks nahmen wieder Platz, aber jeder wich dem Blick des anderen aus. Tallon hatte die Hände auf dem Tisch zu Fäusten geballt. Jacks schien schlecht zu sein.
»Monster«, sagte Tallon leise. »Wohin ich blicke, sehe ich Monster.«
»Was haben wir getan, Matt?« fragte Jacks. »Wir haben etwas entfesselt, das zu beherrschen wir nie die Chance hatten.«
»Wir müssen weitermachen«, fand Tallon. »Wir müssen nach Vidar ziehen und diesen Krieg gewinnen, oder all die Menschen sind umsonst gestorben.«
»Aber… mal vorausgesetzt, wir siegen. Mal vorausgesetzt, wir übernehmen die Macht in Vidar und auf ganz Loki. Denkt ihr, Shub wird dann seine Streitkräfte abziehen und uns in Ruhe regieren lassen? Was sollte es daran hindern, uns alle zu massakrieren und aus Loki ein zweites Shub zu machen?«
»Wir sind Verbündete«, sagte Tallon.
»Tatsächlich? Es ist verdammt sicher, daß wir keine gleichrangigen Partner sind. Welche Entscheidung Shub auch fällt, wir haben keine andere Wahl, als mitzumachen. Wir sind verdammt, Matt, was auch immer passiert.«
»Dann sind wir halt verdammt!« schimpfte Tallon. »Und es ist mir egal. Solange nur unsere Feinde zuerst dran glauben.
Wenn ich nur lange genug lebe, um sie alle sterben zu sehen, bin ich glücklich.«
Jakob Ohnesorg und Ruby Reise schritten durch die dicht bevölkerten Korridore des Rathauses, und die Leute beeilten sich, ihnen den Weg freizugeben. Schlechte Nachrichten lagen in der Luft. Jeder konnte es riechen, aber noch wußte niemand, worum es ging oder wo das Unheil womöglich einschlug. Also zogen alle die Köpfe ein und hofften, unbemerkt zu bleiben. Es war noch kaum Morgen, als Ohnesorg und Ruby einen Anruf vom Stadtrat erhalten hatten, mit der Aufforderung, sich unverzüglich einzufinden. Normalerweise hätte Ohnesorg ihnen gesagt, was sie mit einer solchen Forderung tun konnten, aber die kaum beherrschte Panik in der Stimme des Funkvermittlers überzeugte ihn, daß er und Ruby sich selbst über die Lage ins Bild setzen sollten.
Vier Bewaffnete standen vor der Tür zum Ratssaal, aber sie wichen rasch aus, als Ohnesorg und Ruby erschienen. Einer öffnete sogar die Tür für sie. Dahinter standen de Lisle und seine Kollegen zusammen und starrten unglücklich auf zwei Holzkisten, die vor ihnen auf dem Boden standen. Die Kisten machten einen ganz normalen Eindruck, aber die Ratsherren bedachten sie mit Blicken, als erwarteten sie, jeden Augenblick könne ein Grendel daraus hervorspringen. Daß sie Ohnesorg und Ruby mit erkennbarer Erleichterung empfinden, das war schon ein gutes Maß für ihre Nervosität. De Lisle tupfte sich die schwitzende Stirn mit einem Taschentuch ab und deutete auf die Kisten, wobei seine Hand nicht ganz so ruhig war, wie sie hätte sein können.
»Die haben schon auf uns gewartet, als wir heute morgen zur Arbeit kamen. Eine höfliche kleine Notiz war beigelegt, die sie als Kleines Geschenk von Shub auswies. Nichts weiter. Wir haben keine Ahnung, wie sie hereingebracht worden sein könnten. Ich kann mir nur denken, daß es unter meinen Leuten Verräter gibt, Sympathisanten der Aufständischen. Wir haben uns nicht getraut, die Kisten zu öffnen. Sie geben bedrohliche Geräusche von sich, wenn man sie anfaßt. Sie machen gleichermaßen bedrohliche Geräusche, wenn wir Anstalten treffen, uns zu entfernen. Wir sind jetzt seit fast einer Stunde mit ihnen hier in der Falle.«