Wo bleibt da das Recht? Wo die Ehre? Früher war ich ein Mann der Ehre. Ich war berühmt dafür. Ich frage mich, wann ich meine Ehre verloren habe.«
»Die Aufständischen waren vielleicht anfänglich im Recht«, wandte Wild ein, »aber sie verloren jeden moralischen Anspruch, als sie sich an Shub wandten. Was nützt es, die Welt zu retten, wenn man dabei seine Seele aufgibt? Sie sind nicht zu entschuldigen. Jeder weiß, wie Absprachen mit dem Teufel enden. Ich habe zu keinem Zeitpunkt die ersten Aufnahmen vergessen, die ich von Jung Jakob Ohnesorg und seinen Geistkriegern in Aktion gesehen habe. Endlose Reihen von Männern, Frauen und Kindern, die man an Metallgerüsten gekreuzigt hatte. Ich weiß, wo ich stehe, Sir Ohnesorg, und das gilt für jeden anderen in Vidar ebenfalls. Selbst diese Mistkerle, die rings um uns ein paar letzte verzweifelte Geschäfte unter Dach und Fach bringen, stehen uns morgen zur Seite, Schwert und Schußwaffe in der Hand, um den Krieg Mensch gegen Maschine auszutragen. Sogar sie.«
»Ich wette, daß de Lisle und seine Spießgesellen nicht auftauchen.«
»Es ist nicht ihr Planet. Niemand hat damals, als wir uns hier ansiedelten, damit gerechnet, daß wir überleben würden – geschweige denn damit, daß wir Loki zu einer lebensfähigen Kolonie entwickeln würden, aber wir haben es geschafft. Weil wir so hart waren, haben sich die Stürme dieser Welt nur an uns gebrochen. Wenn uns schon ein ganzer Planet nicht besiegen konnte, werden es auch ein paar Zinnsoldaten und wandelnde Leichen nicht schaffen. Selbst wenn sie der junge Jakob Ohnesorg anführt.«
»Macht Euch seinetwegen keine Sorgen«, sagte Ohnesorg.
»Ich befasse mich mit ihm. Und dann komme ich zurück und befasse mich mit de Lisle. Darauf habt Ihr mein Wort.«
»Und Jakob Ohnesorgs Wort reicht mir«, sagte Peter Wild.
Ohnesorg lächelte zum ersten Mal, streckte die Hand nach Wilds Glas aus und probierte den Wein. Ihn schauderte, und er setzte es mit Nachdruck wieder ab. »Gott, Ihr müßt härter sein, als Ihr ausseht, wenn Ihr dieses Zeug freiwillig trinkt!« Das Lächeln hielt jedoch nicht lange, und sein Gesicht nahm wieder einen nachdenklichen Ausdruck an. »Ich war schon einmal hier, wißt Ihr? Und auf ähnlichen Welten. Eisfels. Nebelwelt.
Aber woran Loki mich am meisten erinnert, das ist Virimonde.
Das war früher Owen Todtsteltzers Planet.«
»Die Welt, die Valentin Wolf für Shub vernichtet hat«, nickte Wild. »Ich habe die Holodokumentation gesehen. Das haben wir alle. Hier wird sowas jedoch nicht geschehen. Wir haben eine Armee.«
»Ja. Ich bin nur froh, daß Owen nicht hier ist. Es würde ihm das Herz brechen, einen weiteren Planeten zu erleben, der mit solcher Verwüstung bedroht ist.«
Wild beugte sich mit glänzenden Augen vor. »Wie ist er denn wirklich, der Todtsteltzer? Hat er tatsächlich all das vollbracht, was man ihm nachsagt?«
»Das meiste schon. Ihr wärt erstaunt. Falls aus der Rebellion ein einzelner echter Held hervorgegangen ist, dann er, nicht ich. Er ist nie einen Kompromiß eingegangen, hat nie geschwankt, was die Dinge angeht, an die er glaubt. Ein Krieger der besten Sorte… Jemand, der nie ein Krieger zu sein wünschte, aber trotzdem zu den Waffen gegriffen hat, weil er daran glaubte, der gerechten Sache zu dienen. Ich hatte aufgegeben. Das Imperium hatte mich gebrochen. Der Todtsteltzer hat mich jedoch zurückgeholt. Was er wirklich ist? Ein guter Mann in schlechten Zeiten. Der einzige wirklich ehrenhafte Mann, dem ich je begegnet bin.«
»Würde er uns zur Hilfe kommen, wenn wir ihn bäten?«
»Wahrscheinlich. Ich habe jedoch keine Ahnung, wo er sich zur Zeit aufhält. Früher mal… hätte ich es sofort gewußt, sobald ich nur daran dachte. So nahe standen wir uns. Seitdem haben wir uns allerdings auseinanderentwickelt, da ich zu einem anderen Menschen geworden bin, nur weil es von mir erwartet wurde. Ihr habt keine Ahnung, wovon ich hier schwatze, nicht wahr, Wild? Ihr seid jedoch zu höflich, um mich zu unterbrechen. Ist auch egal. Morgen ziehen wir hinaus und stellen uns der Armee der Hölle, und darin liegt die Entscheidung über alle Probleme.«
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte Wild und hob das Weinglas zu einem Trinkspruch auf Ohnesorg. »Es ist mir eine Ehre und ein Privileg, Seite an Seite mit dem legendären Berufsrebellen zu kämpfen!«
Ohnesorg sah ihn traurig an und schwieg.
Die Armee der Menschen, Lokis letzte Hoffnung, versammelte sich lautstark auf dem großen Platz vor dem in die riesige Außenmauer eingelassenen Haupttor der Stadt. Jeder führte ein Schwert mit und einige auch Schußwaffen. Männer und Frauen trugen ihre Waffen mit grimmiger Entschlossenheit und warfen sich für die schwebenden Holokameras kühn in Positur. Die Kameras sollten sie in die Schlacht begleiten. Der Krieg wurde live gesendet, ein Programm für die Unglücklichen, die zurückblieben, die zu jung oder zu alt waren, die krank oder lahm waren oder für die Sicherheit der Stadt benötigt wurden. Wie de Lisle und seine Leute, die nicht auftauchten. Weder Flugschweber noch Bodenfahrzeuge waren verfügbar; zwar nahte eine Flaute im Sturm, aber in der oberen Atmosphäre blieb der Wind stark genug, um Gravschlitten wie Spielzeug herumzuschleudern, und der nach wie vor in der Luft schwebende Staub hätte die Motoren aller Bodenfahrzeuge kurzgeschlossen. Vidars Armee würde zu Fuß zum Sieg oder in den Untergang marschieren.
Jakob Ohnesorg und Ruby Reise standen mit dem Rücken zur großen Luftschleuse und betrachteten das aufgeregte Durcheinander, wohl wissend, daß Enthusiasmus nicht ausreichte, um die Schlacht zu gewinnen. Sobald Vidars Armee erst auf Shub und die Rebellen stieß, würden einige unausweichlich die Nerven verlieren und die Flucht ergreifen, einfach deshalb, weil nicht jeder einen Killer in sich trug. Und niemand weiß das mit Sicherheit, solange er nicht auf die Probe gestellt wird. Die meisten würden jedoch standhalten und kämpfen und tapfer sterben, weil sie wußten, daß sie für etwas stritten, das größer war als sie selbst.
Peter Wild lief hin und her, bemüht, überall zugleich zu sein.
Er zwang oder beschwatzte die verschiedenen Gruppen, eine Art Ordnung anzunehmen, war verzweifelt darauf erpicht, daß seine Truppe vor seinem Helden Jakob Ohnesorg eine gute Figur machte. Die Menge ließ ihn gutmütig gewähren.
Schnapsflaschen wanderten freizügig von Hand zu Hand, und Wild entschied, daß er seine Armee möglichst schnell in Marsch setzen sollte. Noch wartete ein sechsstündiger Marsch bis zum gewählten Schlachtfeld auf sie, und dabei war reichlich Gelegenheit, den Schnaps wieder auszuschwitzen. Also duldete er, daß sie vor dem Aufbruch ein wenig tranken. Ungeachtet aller Begeisterung und Verpflichtung waren diese Leute einander im Grunde fremd, waren zusammengeführt durch Not und Pflicht und Verzweiflung. Sie mußten die Schlacht gewinnen, um nicht alles zu verlieren. Sie konnten nicht zurückweichen, falls es schlecht lief, hatten keine zweite Chance. Falls sie zurückfielen, würden die Geistkrieger ihnen unermüdlich nachsetzen, bis zur Mauer von Vidar und darüber hinaus.
Wild näherte sich Ohnesorg, der beifällig nickte. »Ihr leistet gute Arbeit, Wild. Sie sehen langsam tatsächlich nach einer Armee aus.«
»Gut«, sagte Wild. »Weil ich gerade Nachrichten erhalten habe, und nur schlechte. Das Imperium macht sich inzwischen größere Sorgen und schickt zwei Sternenkreuzer, aber nur welche der D-Klasse, so daß sie frühestens in einer Woche eintreffen. Ihre Befehle lauten, in Verhandlungen einzutreten mit jedem, der die Bergbaubetriebe kontrolliert – den Kolonisten, de Lisle und seinen Leuten oder den… Aufständischen.«
»Können sie das tun?« fragte Ruby. »Ein Abkommen mit Verbündeten Shubs schließen?«
»Sicher können sie«, antwortete Ohnesorg. »Politiker denken praktisch, wenn überhaupt. Sie benötigen das Kobalt, das auf diesem Planeten gefördert wird, und sie werden mit jedem Geschäfte machen, der es ihnen liefern kann. Harte Zeiten erfordern harte Entscheidungen; zumindest werden sie es der Öffentlichkeit so verkaufen. Sollten die Aufständischen gewinnen und den Anschein erwecken, auf Distanz zu Shub zu halten, wird das Parlament mit ihnen Geschäfte machen. Ist auch egal. Nur ein weiterer Grund, warum wir diese Schlacht gewinnen müssen.