»So«, sagte Hazel brüsk. Irgendwie spürte sie, ohne sich auch nur umzudrehen, daß er sie anschaute. »Wo geht es als nächstes hin? Hast du irgendwelche Pläne?«
»Warum bleibt das immer an mir hängen?« protestierte Owen zurückhaltend. Sie hatten dieses Gespräch schon oft.
»Wie kommt es, daß Ihr nie irgendwelche Ideen habt?«
»Ich habe jede Menge Ideen«, erwiderte Hazel. »Aber du bist immer zu feige, sie aufzugreifen.«
»Nur, weil Eure Ideen eine bestürzende Tendenz zu Gewalt, Mord und blutigem Gemetzel aufweisen sowie dazu, alles zu stehlen, was nicht festgenagelt ist. Mit dergleichen kommen wir heute nicht mehr durch. Wir sind keine Rebellen und Gesetzlosen mehr; wir gehören zum Status quo. Verdammt, rein technisch gesehen sind wir Polizeikräfte.«
»Langweilig«, meinte Hazel. »Du bist inzwischen richtig langweilig, Todtsteltzer.«
»Tatsächlich ist mir klar, was ich als nächstes in Angriff nehmen möchte«, sagte Owen und ignorierte die Beleidigung mit einer Leichtigkeit, die aus langer Übung resultierte. »Sobald wir gelandet sind und dem Parlament Bericht erstattet haben, ziehe ich schnurstracks wieder los, um Valentin Wolf zu jagen. Die Spur ist noch warm. Er wird nicht weit kommen.«
»Das hast du früher schon gesagt, Owen, und er ist immer wieder davongekommen. Schon immer war der Wolf woanders, als man ihn vermutete. Deshalb ist er trotz vieler Feinde so lange am Leben geblieben. Hat mal ausgespannt, sich ausgeruht, die Batterien wieder aufgeladen. Er wird früh genug wieder auftauchen und irgendwas Schlimmes anstellen, und dann können wir erneut probieren, ihn zu fassen.«
Owen mußte lächeln. »Wir sind weit gekommen, wenn Ihr schon die Stimme der Vernunft seid, die meine Hitzköpfigkeit zügelt.«
Hazel schniefte. »Denk bloß nicht, das wäre mir noch nicht aufgefallen. Es zeigt nur, wie mitgenommen wir sind. Wir brauchen Zeit, um uns auszuruhen, Todtsteltzer. Virimonde hat uns schwer getroffen.«
»Wahrhaftig. Keine großartige Heimkehr, alles in allem.«
Eine Pause trat ein, und Hazel blickte zu ihm hinüber, Gesicht und Tonfall sorgsam ruhig und gelassen. »Owen, wie kommt es, daß du mir nie zuvor etwas von Katie erzählt hast?
Ich meine, sie war deine Geliebte. Sie muß dir wichtig gewesen sein.«
»Das war sie«, bestätigte Owen. »Ich habe sie nicht erwähnt, weil sie Euch nichts anging. Ihr könntet nie die Art Beziehung verstehen, die uns verband.«
»Du härtest mit mir reden können«, fand Hazel. »Ich hätte mich bemüht, es zu verstehen. Erzähle mir von dieser Katie.
Wie war sie? Wie hast du sie kennengelernt?«
Owen schwieg so lange, daß Hazel beinahe schon vermutete, er würde überhaupt nicht antworten, aber endlich tat er es doch – mit einer ruhigen, fast emotionslosen Stimme, als wäre es die einzige Möglichkeit für ihn, sich auf solch schmerzliche Erinnerungen einzulassen. Er sah Hazel dabei nicht ein einziges Mal an.
»Ihr Name war Katie DeVries, und sie war sehr schön. Ihr ganzes Erwachsenenleben hindurch war sie eine Kurtisane der einen oder anderen Art gewesen, vom Hau s der Freuden besonders ausgebildet und angepaßt, um jeden Wunsch zu erfüllen und dabei zu helfen, daß man neue Wünsche entwickelte.
Sie diente als Überraschungsgast bei einem Winterball auf Golgatha, und als sie mir zum ersten Mal vorgestellt wurde, hielt ich sie für das Wundervollste, was ich je gesehen hatte.
Wir tanzten und redeten miteinander, und sie hörte mir zu, schien zu verstehen, was ich sagte, und sich etwas daraus zu machen – was so viele andere nicht taten. Sie fand sogar meine Witze lustig. Sie war vollkommen. Also erwarb ich ihren Kontrakt zu einem absoluten Wucherpreis, und sie wurde meine Geliebte.
Natürlich stellte sich heraus, daß sie nicht vollkommen war.
Ihre Tischmanieren konnte man nur als grauenhaft beschreiben.
Schon früh morgens zeigte sie sich viel zu froh und munter, und obendrein war sie eine Agentin des Imperiums und hatte die Aufgabe, mich auszuspionieren. Alles, was ich sagte und tat, meldete sie einem Kontakt auf Golgatha. Oz fand es heraus und berichtete mir davon, aber mir war es egal. Ich war damals nur ein kleiner Gelehrter, ohne Interesse an Politik. Ihre Berichte mußten eine sehr langweilige Lektüre gewesen sein. Gelegentlich gab ich etwas Kontroverses zum besten, damit niemand auf die Idee kam, Katie von mir abzuziehen. Wir waren so glücklich. Ich denke nicht, daß wir je einen Streit hatten.
Sieben Jahre blieben wir zusammen. Manchmal denke ich, daß ich damals zum letzten Mal glücklich war. Daß ich es so hoch schätzte, weil ich irgendwo tief im Herzen wußte, daß mir eines Tages alles genommen würde.
Ich habe sie so sehr geliebt. Ich hätte nie erwartet, sie einmal töten zu müssen. Ihr ein Messer zwischen die Rippen zu stecken, es herumzudrehen und sie dann in den Armen zu halten, während sie verblutete.«
»Jesus, Owen…«
»Ich hätte sie gerettet, wäre es mir möglich gewesen.«
»Sie hat versucht, dich umzubringen.«
»Manchmal denke ich, daß es so war. Ich habe sie nie gefragt, ob sie mich liebte. Ich fürchtete mich vor der Antwort.
Wenn ich sie gekannt hätte, dann hätte Katie vielleicht nicht so viel von mir mitgenommen, als sie starb.«
»Hör sofort auf damit, Todtsteltzer! Wenn du mir rührselig kommst, dann stehe ich noch auf und haue dir ein paar auf die Ohren!«
Owen lächelte kurz. »Das würdet Ihr, nicht wahr?«
»Verdammt richtig! Zieh dich nie selbst runter, Owen; es gibt immer reichlich andere Leute, die nur auf eine Gelegenheit warten, es zu tun. Katie gehört zur Vergangenheit. Laß sie auf sich beruhen und geh weiter deinen Weg.«
»Ihr wart es, die das Thema zur Sprache brachte«, gab Owen nachsichtig zu bedenken. »Und ich weiß gar nicht, warum Ihr Euch auf einmal so für meine romantische Vergangenheit interessiert. Ihr seid diejenige, die in dieser Hinsicht mit den ganzen Überraschungen aufwarten kann. Ich bin immer noch nicht darüber hinweg, daß sich in Nebelhafen dieser Wampyr namens Abbott als einer Eurer Ehemaligen entpuppte.«
»Er war ein Fehler.«
»Und nicht annähernd der erste oder der letzte – nach allem, was man hört.« Hazel funkelte ihn an. »Wer hat da geplaudert?« »Praktisch jeder. Die Klatschkolumnisten lieben Euch.
Ihr habt Euer eigenes Magazin im Matrix-Internet. Wird täglich aktualisiert.«
»Du hast diesen Müll doch nicht gelesen, oder?«
»Nee. Ich sehe mir immer nur die Bilder an.«
Als sie endlich in der großen Stadt, die Parade der Endlosen genannt wurde und Sitz der Restregierung von Golgatha war, von Bord gingen, fanden sich Owen und Hazel durch eine Menge Reporter bedrängt. Die meisten größeren Nachrichtenunternehmen waren vertreten und auch alle kleineren, die Korrespondenten auf Golgatha unterhielten. Owens und Hazels Abenteuer waren stets nachrichtenwürdig, und die Meldungen, die schon von ihren Entdeckungen und Taten auf Virimonde durchgesickert waren, hatten die Erwartungshaltung der Journalisten bis zum Siedepunkt angeheizt. Sie drängten sich um Owen und Hazel, brüllten Fragen, während über ihnen Kameras auf der Suche nach dem besten Blickwinkel herumschwebten. Die Journalisten versuchten, sich gegenseitig mit den Ellbogen aus dem Weg zu schubsen, und weiter hinten kam es zu Schlägereien. Aber selbst in diesem Tumult kam niemand den beiden Helden zu nahe. Sie hatten die entsprechende Lektion gelernt, normalerweise auf die harte Tour. Hazel hatte zwar noch keinen Reporter wirklich umgebracht, aber die Cleveren wetteten lieber auf das Wann als das Ob. Was einige der widerwärtigeren Boulevardreporter anging, so hatten sich schon Wettgemeinschaften gebildet.