»Tyrann«, beschwerte sich Flynn.
»Ihr seht wirklich schick aus, Toby«, warf Owen rasch ein, ehe die beiden ihr übliches Gezänk fortsetzen konnten. »An vorderster Front der Mode.«
»Fangt bloß nicht damit an«, entgegnete Toby. »Ich weiß genau, wie ich aussehe. Wieso, denkt Ihr, habe ich früher immer eine Kampfuniform getragen? Jedesmal, wenn ich gute Sachen anziehe, sehe ich so aus, als hätte ich sie gestohlen.«
»Und was sucht das Management hier?« fragte Hazel. »Das Parlament plant etwas Besonderes, nicht wahr? Vielleicht etwas, wovon wir erfahren sollten?«
»Richtig«, sagte Owen. »Was könnt Ihr uns Neues erzählen?«
»Bände«, antwortete Toby blasiert. »Dieses eine Mal tappe ich jedoch genauso im Dunkeln wie Ihr. Ich bin eigentlich nur gekommen, weil ich das dringende Bedürfnis hatte, mal eine Zeitlang in die wirkliche Welt hinauszugehen. Ich habe mich in letzter Zeit richtig gelangweilt, um die Wahrheit zu sagen. Alles hat sich verändert. Meine Arbeit mit Flynn aus der Zeit der Rebellion wird schon als klassisch gefeiert, und man kann sich darauf verlassen, daß die Aufnahmen zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt auf irgendeinem Sender laufen. Die Öffentlichkeit bekommt nicht genug davon. Die Tantiemen rollen schneller an, als ich sie ausgeben kann. Soviel Geld, daß nicht mal die Buchhalter der Firma alles verstecken können. Flynn und ich müssen nie wieder arbeiten, wenn wir nicht möchten. Aber…«
»Ja?« hakte Hazel nach.
»Wir sind zu jung für den Ruhestand«, sagte Flynn. »Ich wüßte nicht, was ich mit mir anfangen sollte.«
»Richtig«, pflichtete Toby ihm bei. »Und ich werde irgendwie den schrecklichen Verdacht nicht los, daß ich die beste Arbeit meines Lebens womöglich schon erbracht habe. Daß alles, was ich jetzt noch tue, zwangsläufig in die zweitbeste Kategorie fällt. Für mein Alter ein scheußliches Gefühl! Ich brauche eine richtige Story, etwas, woran ich mich festbeißen kann. Etwas, was zählt! «
»Wir bauen zur Zeit ein komplettes Imperium neu auf, praktisch von Grund auf«, sagte Owen. »Unsere ganze politische und soziale Ordnung ändert sich täglich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß da keine Story auf Euch wartet, die es wert wäre, gebracht zu werden.«
»Oh, es herrscht kein Mangel an Nachrichten! Zeugen der Geschichte und all sowas. Aber das ist alles so verdammt achtbar und offen und ehrlich und langweilig. Wo bleibt der Spaß?
Wo das Drama? Sogar die Schurken sind heutzutage zweitklassig.«
»Nein«, erwiderte Owen. »Das finde ich nicht. Valentin Wolf treibt sich immer noch irgendwo herum.«
»Ah ja«, sagte Toby. »Ich habe schon gehört, daß Ihr eine weitere Auseinandersetzung mit ihm hattet. Ich freue mich schon auf Euren Bericht darüber. Wenigstens seid Ihr beide noch da und schlagt Wellen. Alle anderen sind weitgehend abgetaucht. Jakob Ohnesorg befaßt sich zu intensiv mit Politik, um noch in echte Schwierigkeiten zu geraten, und Ruby Reise verläßt nur noch selten ihr Haus. Obwohl geflüstert wird, daß beide womöglich heute hier auftreten. Vielleicht ist ihnen etwas zu Ohren gekommen. Gott, ich habe tolle Aufnahmen von Euch vieren im Einsatz während der Rebellion, Bilder, die noch nicht das Tageslicht erblickt haben! Vielleicht, wenn wir alle gestorben und in Sicherheit sind…«
»Ja«, sagte Hazel. »Vielleicht. Ich denke jedoch, daß bis dahin manche Dinge geheim bleiben sollten. Die Leute müssen nicht alles erfahren, was passiert ist.«
Alle nickten dazu. Niemand sprach von dem falschen Jungen Jakob Ohnesorg, der sich als Kyborg im Dienst der abtrünnigen KIs von Shub entpuppt hatte. Alle wußten jedoch, daß sie gerade gemeinsam an den Augenblick dachten, in dem Flynns Kamera die Demaskierung der Maschine aufzeichnete. Und noch weitere, dunklere Geheimnisse lagen vor. Die Rebellion war nicht annähernd so einfach verlaufen, wie die meisten Leute dachten.
»Also«, sagte Toby forsch und beendete damit den Augenblick der Verlegenheit, »hat jemand von Euch noch mal über mein Angebot nachgedacht, offizielle Dokumentationen von Eurem Leben anzufertigen? Über die Texte braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen; dafür haben wir Leute. Sprecht einfach in einen Recorder, und wir arrangieren das Material und graben Aufnahmen aus, die wir dazu einspielen. Wir können auch Verbindungen fälschen, um Dinge zu überbrücken, über die Ihr nicht sprechen wollt. Ihr braucht nicht mehr zu tun, als die abschließenden Aufnahmen zu kommentieren. Leichtverdientes Geld. Verdient es Euch, solange das Eisen heiß ist.
Wer weiß, wie lange sich die Leute noch für Euch interessieren?«
»Je früher alle das Interesse an uns verlieren, desto besser«, fand Hazel. »Keine Biographien, Toby. Wir haben ohnehin schon wenig genug Privatsphäre. Außerdem ist viel von meiner Lebensgeschichte ohnehin nicht für ein Massenpublikum geeignet.«
»Das glaube ich gern«, sagte Owen. »Wechseln wir doch lieber rasch das Thema. Wie steht es um Euer Leben, Toby? Tut Ihr irgendwas Interessantes?«
»Er?« Flynn schniefte laut. »Er hat außer seinem Beruf gar kein Leben. Kommt als erster, geht als letzter und nimmt noch Arbeit mit nach Hause. Typisch Manager. Ich bleibe immer nur für die tarifliche Stundenzahl, und sobald ich mich erst ausgestempelt habe, denke ich nicht mal mehr an die Arbeit, bis ich mich morgens wieder einstemple. Du hättest einfacher Arbeiter wie ich bleiben sollen, Boß. Viel weniger Druck.«
»Du warst nie ehrgeizig«, sagte Toby.
»Verdammt richtig, und ich bin stolz darauf. Mit Ehrgeiz bringt man sich nur in Schwierigkeiten, und er frißt das ganze Leben auf. Wie kommt es, daß du Säcke unter den Augen und beginnende Magengeschwüre hast, während ein wundervoller neuer Liebhaber in mein Leben getreten ist?« Flynn strahlte Owen und Hazel an. »Ihr müßt wirklich mal zu Besuch kommen und ihn kennenlernen! Er heißt Reinhold, Reinhold Vomwalde. Betreibt Recherchen für den Abgeordneten Johann Avon, eines der wenigen ansatzweise ehrlichen Parlamentsmitglieder. Mein Reinhold leistet natürlich die ganze wirkliche Arbeit, damit Avon im Plenarsaal gut dasteht, aber so ist nun mal der Lauf der Dinge. Reinhold sieht sehr gut aus und ist ein wundervoller Koch. Was er mit einem frischen Braten und ein paar Sorten Gemüse alles anstellt! Problematisch ist nur seine Schuhgröße von fünfundvierzig. Ihr glaubt ja nicht, wie schwierig es ist, Stöckelschuhe zu finden, die ihm passen!«
»Die Liebe scheint dir zu bekommen«, sagte Hazel. »Sie hat dich eindeutig schwatzhaft gemacht.«
»Als ob ich das nicht wüßte«, sagte Toby. »Mir liegt er mit diesem verdammten Reinhold seit Wochen in den Ohren.« Er lächelte Owen und Hazel boshaft an. »Und wie kommt Ihr zwei Turteltauben miteinander klar, hm?«
»Falls Ihr es herausfindet, sagt es mir«, antwortete Owen.
»Wir nehmen jeden Tag, wie er kommt«, versetzte Hazel entschieden. »Wie sieht es mit dir aus, Toby? Jemand Besonderes in Sicht?«
»Ich denke in jüngster Zeit über eine Clanheirat nach«, räumte Toby widerstrebend ein. »Weil ich nicht jünger werde und die Familie mir Druck macht, woher wohl die nächste Generation des Hauses kommen soll. Da sich Onkel Gregor versteckt, Grace eine erklärte alte Jungfer ist und Evangeline die Familie leugnet, endet die Linie so ziemlich bei mir. Aber wer würde schon einen Shreck heiraten? Onkel Gregor hat mit seiner entsetzlichen Art unseren Familiennamen für alle Kreise, auf die es ankommt, in den Dreck gezogen.«
»Aber, aber, Schluß damit, Boß!« sagte Flynn entschieden.
»Du bist Toby der Troubadour, reicher, berühmter und bedeutender Journalist, nicht nur ein Shreck. Arbeit ist ja schön und gut, aber letztlich geht nichts darüber, sich umzutun und ein nettes Mädchen kennenzulernen. Oder einen Jungen. Oder was auch immer.«
Owen war so sehr in den Anblick vertieft, wie Toby vor Verlegenheit hellrot wurde, daß er den näherkommenden jungen Aristo erst bemerkte, als dieser ihn fast schon umrannte. Hazel entdeckte ihn. Es erforderte schon eine Menge, Hazel abzulenken. Sie tippte Owen verstohlen auf den Arm, während sie die andere Hand auf die Pistole an der Hüfte senkte. Owen drehte sich ohne Eile um und hielt den Aristo mit festem Blick und hochgezogener Braue an. Der junge Mann verbeugte sich formgerecht und hielt die Hand ein gutes Stück von dem Schwert an seiner Seite entfernt. Er war gut, aber phantasielos gekleidet, das lange Haar in metallischem Glanz längst aus der Mode. Auf dem gutaussehenden Dutzendgesicht sorgte er für einen bemüht undeutbaren Ausdruck.