»Warum ich?« fragte er schließlich, und es klang doch ein bißchen wehleidig.
Konstanze zuckte die Achseln. »Es ist klar, daß ich jemanden heiraten muß, und nach reiflicher Überlegung habe ich entschieden, daß Ihr die beste Wahl seid. Wir beide haben viel gemeinsam und entstammen alten, etablierten Linien. Und ich brauche jemanden, der unberührt geblieben ist von dem Bösen und der Korruption, die soviel von unserer gesellschaftlichen Schicht verschluckt haben. Ich brauche jemanden, dem ich trauen kann. Meine Stellung als Oberhaupt des Clans Wolf ist… prekär, und ohne Jakob hält mich sonst nichts in dieser Familie. Es wäre keine Liebesheirat, soviel ist mir klar, aber wir sind beide verpflichtet, standesgemäß zu heiraten und unsere Linien fortzusetzen. Wir würden ein starkes Bündnis bilden, Owen. Ihr habt Euren Familiennamen wieder zu Ehre geführt.
Ich wäre stolz, eine Todtsteltzer zu sein.«
Sie hörte auf zu reden und musterte ihn erwartungsvoll. Dieses eine Mal hatte Owen nicht die leiseste Idee, was er sagen sollte. Er dachte angestrengt nach. »Ich habe Jakob Wolf gekannt«, stellte er schließlich fest. »Mein Vater… hatte mit ihm zu tun. Soweit ich mich entsinne, hielt Jakob Wolf nicht viel von mir.«
Konstanze lächelte. »Jakob hat von niemandem viel gehalten.
Er war ein harter Mann. Er mußte es sein. Aber ich habe noch einen anderen Jakob gekannt, die Seite von ihm, die er nie jemandem zu zeigen wagte, nicht mal seinen Kindern. Vielleicht besonders nicht ihnen. Er war stark und standhaft und setzte sich für das ein, woran er glaubte. Euch sehr ähnlich, Owen.«
»Jetzt wartet mal«, sagte Owen und hob abwehrend beide Hände. »Falls es eine Sache gibt, derer wir beide absolut gewiß sein sollten, dann die, daß ich Jakob Wolf in keinerlei Hinsicht ähnlich bin. Ich habe nie gewünscht, Krieger zu werden. Ich war ein stiller Gelehrter und vollkommen glücklich damit, bis Löwenstein mich zum Gesetzlosen erklärte. Ich wurde in die Rebellion hineingezerrt und habe dabei die ganze Zeit gestrampelt und geschrien.«
»Dann macht es Euch umso mehr Ehre, daß Ihr auf diesem Gebiet soviel erreicht habt«, sagte Konstanze ernst. »Aber was wollt Ihr jetzt, da die Rebellion vorüber ist, mit Eurem Leben anfangen? Ihr könnt nicht wieder zum bloßen Gelehrten werden, nach allem, was Ihr gesehen und getan habt. Der Schmetterling kann nicht wieder zur Raupe werden. Und obwohl die Kopfgeldjagd zweifelsohne ein Bedürfnis stillt, das Ihr zur Zeit empfindet, ist es kein Beruf, auf dem man ein Leben aufbauen kann. Ob es Euch gefällt oder nicht, Ihr seid für viele Menschen zum Symbol geworden, von dem sie Anleitung erwarten.
Was bedeutet, daß Ihr in die Politik gehen müßt. Andernfalls könntet Ihr zwar die Schlacht gewonnen, den Krieg hingegen verloren haben. Sicherlich habt Ihr nicht all das durchgemacht, was Euch widerfuhr, nur um dann zu erleben, wie Löwenstein durch jemand noch Schlimmeren ersetzt wird?«
»Nein«, antwortete Owen, »das habe ich nicht. Aber ich bin nicht an Macht um ihrer selbst willen interessiert. Ich war es nie.«
»Das sind die besten. Politiker«, fand Konstanze. »Die nach Macht streben, auf die muß man achtgeben. Hier geht es um die Pflicht, Owen. Nicht um persönliche Wünsche. Das Imperium braucht Euch.«
»Das habe ich schon so oft gehört«, sagte Owen. »Und von so vielen Leuten. Sie hatten jedoch alle ganz unterschiedliche Vorstellungen von dem, was ich tun sollte, falls ich an die Macht käme. Ich habe immer erwartet, von all dem frei zu sein, sobald die Rebellion erst mal vorüber wäre und ich deutlich gemacht hätte, daß ich weder an der Krone noch dem Thron interessiert bin. Ich dachte, ich könnte mich dann von all dem Blut und Tod abwenden und wieder ein eigenes Leben führen.
Ich hätte es besser wissen sollen. Die Pflicht wird mir im Nacken sitzen, bis ich sterbe, wie der Alte vom Meer, den man nicht wieder absetzen kann, sobald man ihn erst huckepack genommen hat.«
»Oder die Zauberschuhe«, ergänzte Konstanze nickend.
»Man wird zum phantastischen Tänzer, aber sobald man sie angezogen hat, kann man sie nicht wieder ausziehen und nicht wieder aufhören zu tanzen. Als ich diese Geschichte zum ersten Mal hörte, entschied ich, daß ich einfach so schön tanzen müßte, wie ich nur kann, falls mir dergleichen einmal widerfahren sollte. Damit man sich eher daran erinnert, was ich vollbrachte, als an den Fluch, der mich trieb. Geht in die Politik, Owen. Werdet zum Staatsmann. Macht etwas Neues und Wunderbares aus Euch. Ich kann Euch Rat geben, Euch anleiten, Euch den richtigen Persönlichkeiten vorstellen. Wir wären gute Partner.«
»Dahinter steckt mehr als Eure Bewunderung für mich oder Euer Bedürfnis, Euch vom Clan Wolf zu befreien«, sagte Owen plötzlich. »Ihr fürchtet etwas. Etwas ganz Bestimmtes.
Was?«
»Sehr gut, Owen! Ihr seid so scharfsinnig, wie alle behaupten. Der Schwarze Block ist zur wahren Macht geworden, der die Clans folgen. Der Schwarze Block sagt etwas, und alle hören zu. Er unterbreitet Vorschläge, und alle beeilen sich, sie umzusetzen. Ich traue dem Schwarzen Block jedoch nicht. Ich traue seinen Motiven nicht. Ich möchte frei von ihm sein. Ich möchte, daß die Familien von ihm frei sind. Aber dank Euch sind sie verschreckt und gespalten. Die Clans brauchen einen Helden, hinter dem sie sich sammeln können. Selbst nach allem, was Ihr getan habt, würden sie Euch akzeptieren. Sie wissen, daß Ihr stets eher mit Löwenstein Streit hattet als mit den Clans. Sie respektieren die Idee der Vendetta. Und sie hatten schon immer Verständnis für Ehrgeiz. Schließlich wurdet Ihr als Aristokrat geboren und aufgezogen, genau wie sie.«
»Nein!« erwiderte Owen scharf. »Ich bin ihnen in keiner Weise ähnlich! Ich habe nicht nur für den Sturz Löwensteins gekämpft, sondern auch der Ordnung, die sie trug. Ich wurde Zeuge der Greuel und Übeltaten, für die die Familien verantwortlich waren. Ich habe gesehen, was für ein schauderhaftes Leben die vielen führen mußten, damit es sich die wenigen im Luxus bequem machen konnten.«
»Ihr habt Euch verändert. Das können die übrigen Aristokraten auch. Helft ihnen. Verwandelt sie ihn das, was sie sein könnten, sein sollten… Eine Führungsmacht, die das Imperium fair regiert und wieder stark und sicher macht.«
»Ich weiß nicht recht, Konstanze. So einfach ist es nicht.
Heute findet man eine Menge Leute in Amt und Würden, die der Meinung sind, nur ein toter Aristo wäre ein guter Aristo.«
»Ihr könntet das ändern. Owen, die Aristokratie verfügt über zuviel Potential des Guten, um einfach zuzusehen, wie es verlorengeht! Wir verkörpern ein Erbe der Besten, das Jahrhunderte zurückreicht. Generationen der Partnerwahl und Gentechnik, um Perfektion zu erzielen. Ihr seid der letzte Todtsteltzer. Möchtet Ihr, daß Eure Abstammungslinie mit Euch endet?
Falls nicht, müßt Ihr eine Aristokratin heiraten, um das Erbe Eurer Familie weiterzugeben. Alles andere wäre Verrat an Eurem Clan.« Sie brach ab und musterte Owen forschend. »Getrennt sind wir beide Personen mit großen Fähigkeiten. Wenn wir uns zusammenschließen, könnte unsere Familie unschlagbar werden.«
Owen schüttelte langsam den Kopf. »Konstanze… Ich kenne Euch nicht. Ich liebe Euch nicht.«
Sie lächelte. »Wir werden einander kennenlernen. Mir gefällt, was ich von Euch gehört habe. Ich denke, wir würden uns… vertragen.«
»Konstanze, ich bin stets davon ausgegangen, daß ich zu gehöriger Zeit entweder aus Liebe heiraten würde oder gar nicht.
Ich wünsche mir eine Ehe, keinen geschäftlichen Zusammenschluß.«
»Liebe kann ich Euch nicht versprechen, Owen. Ich weiß nicht, ob ich je wieder lieben werde. Aber meine frühere Ehe war arrangiert, und Jakob war mir fremd, als wir unser Eheleben begannen. Wir brauchen einander nicht zu lieben, um uns als Partner und Bundesgenossen zu unterstützen, aber… vielleicht entwickelt sich die Liebe später noch.« Sie musterte ihn nachdenklich, den Kopf leicht auf die Seite gelegt. »Oder liebt Ihr bereits jemanden? In den Medien und den gesellschaftlichen Kreisen spekuliert man ständig über Eure Beziehung zu dieser d’Ark. Eine… eindrucksvolle Persönlichkeit. Niemand bezweifelt, daß Sie eine Heldin der Rebellion ist, aber Euch muß klar sein, daß Ihr sie niemals ehelichen könnt. Ihr beide entstammt verschiedenen Welten und werdet stets verschiedenen Welten angehören. Und was auch immer die Lieder behaupten, Liebe überwindet keineswegs alle Schranken.«