»Hazel… wollte nie aussprechen, ob sie mich liebte«, sagte Owen stockend, wußte nicht recht, was er sagen würde, bis es herauskam. »Wir stehen uns so nahe, wie Menschen einander nur stehen können, haben Seite an Seite gegen alles gekämpft, was das Imperium gegen uns ins Feld warf, sahen uns mit dem Tod und Schlimmerem konfrontiert… Sie hat jedoch nicht einmal gesagt, sie würde mich lieben.«
»Ich kann Euch Kinder schenken«, sagte Konstanze. »Sie zu Mitgliedern des Clans Todtsteltzer erziehen. Könnte sie das für Euch tun? Würde sie es tun?«
»Nein«, antwortete Owen. »Ich denke, nicht. Sehr gut, Konstanze, unsere Eheschließung soll arrangiert werden. Sorgt Ihr bitte dafür; ich war so lange fort, daß ich weitgehend den Kontakt zu den nötigen Formalitäten verloren habe.«
»Natürlich«, sagte Konstanze. »Ich kümmere mich um alles.
Ihr könnt mich jetzt küssen, wenn Ihr wünscht.«
Sie kam in seine Arme und wandte ihm die Lippen entgegen.
Es war ein sehr höflicher, beinahe zurückhaltender Kuß, aber Owen spürte trotzdem, wie sich damit sein ganzes Leben veränderte, wie er sich auf eine Zukunft festlegte, die er kaum erkannte oder begriff. Ein Kapitel seines Lebens endete hier und jetzt, und ein neues nahm seinen Anfang. Er hoffte nur, daß er dieses eine Mal die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie lösten sich voneinander und blickten sich für einen Moment gegenseitig in die Augen, wobei Owens Hände leicht auf Konstanzes Hüften ruhten. Sie erwiderte seinen Blick offen und vertrauensvoll, band sich an ihn. Allerdings war überhaupt keine Liebe im Spiel, und beide wußten es. Konstanze trat einen Schritt zurück, und Owens Hände sanken an seine Seiten.
Sie lächelte ihn an, knickste und entfernte sich in die Menge, und Owen blieb allein zurück. Er bemerkte, daß ihn Menschen ringsherum mit erneuertem Interesse ansahen, aber für den Augenblick dachte er an nichts anderes, als wie er Hazel D’Ark die Nachricht überbringen sollte.
Hazel hatte inzwischen die Bar gefunden, einen stillen, abgesonderten Winkel mit glänzenden Fliesen, Reihen interessant aussehender Flaschen und einer langen Holztheke. Sie hatte dort auch Jakob Ohnesorg und Ruby Reise entdeckt. Die drei tranken in freundschaftlichem Schweigen. Keiner wirkte besonders glücklich, Jack trug eine schlichte blaue Latzhose, die seine neuerdings wieder jugendfrische Gestalt vorteilhaft zur Geltung brachte. Man hatte ihm die verschiedensten Medaillen verliehen, aber er trug sie nie. Ruby war wie üblich in schwarzes Leder unter weißen Fellen gekleidet. Sie sagte, es würde ihr dabei helfen, sich zu erinnern, wer sie eigentlich war. Sie trug allerdings auch soviel Gold und Silber und Schmuck an Armen, Handgelenken und Hals, daß sie nicht die allerkleinste Bewegung machen konnte, ohne daß all diese Klunker aneinander rasselten und bimmelten. Alle drei genossen den stärksten Weinbrand, den die Bar anzubieten hatte. Jeder hatte eine Flasche vor sich stehen und machte sich nicht die Mühe mit einem Glas. Der Barkeeper wirkte eindeutig schockiert über einen solch ungenierten Umgang mit gutem Weinbrand, aber er verfügte über genügend Verstand und Überlebensinstinkt, um keinen Mucks von sich zu geben.
»Zu den Nachteilen unserer im Labyrinth verbesserten Körper«, sagte Jakob traurig, »gehört, daß wir verdammt viel Alkohol brauchen, um überhaupt eine Wirkung zu erzielen. Aber sich diesem wunderbaren neuen Imperium zu stellen, zu dessen Errichtung wir beigetragen haben, ist eine zu ehrfurchtgebietende Aufgabe, um es völlig nüchtern zu tun.«
»Richtig«, sagte Ruby. »Natürlich hilft es, daß wir uns heute die allerbesten Getränke leisten können. Kann allerdings nicht feststellen, daß dieses Zeug so viel besser schmeckt als der Fusel, den ich früher getrunken habe.«
»Du hast einfach keinen Gaumen«, behauptete Jakob.
»Doch, habe ich«, widersprach Ruby. »Ich rede ganz deutlich.«
Hazel erkannte, daß sich hier ein Streit anbahnte, und mischte sich schnell ein. »Also, was habt ihr beiden eigentlich getrieben, während Owen und ich die bösen Jungs gejagt haben?
Wart ihr beschäftigt?«
»Ab und zu«, antwortete Jakob Ohnesorg. »Seit ich das Abkommen ausgehandelt habe, mit dem der Aristokratie die Zähne gezogen wurden und sie ihre Kapitulation erklärt hat, kommt alle Welt immer zu mir gerannt, wenn ein Aristo über die Stränge schlägt. Als ob ich etwas ändern könnte, außer die Beschwerden ans Parlament weiterzureichen. Ich habe meine eigenen Probleme, versuche praktisch ganz allein, ein neues politisches System zu errichten. Die Leute erwarten so viel von mir. Meine Legende ist durch die Rebellion auf fast übermenschliche Proportionen angewachsen. Die Leute waren von den beiden Jakob Ohnesorgs überrascht, also überlegten sie sich, daß es nur einen gegeben haben durfte, und schrieben alles mir zu. Zusammen mit einer ganzen Menge reiner Erfindungen. Niemand sieht heute mehr mich, mein eigentliches Ich – nur die verdammte Legende. Man glaubt, ich brächte einfach alles zustande, könnte jedes Problem lösen und hätte dann noch den Nerv, obendrein wütend zu werden.« Er nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. »Natürlich macht meine Legende nicht viel her, verglichen mit Rubys. Ich habe schon erlebt, wie sich Leute bekreuzigten, wenn sie sie kommen sahen.«
»Völlig richtig«, sagte Ruby lebhaft. »In vielen Fällen brauche ich heute nicht mehr zu bezahlen. Ich gehe einfach irgendwo rein, zeige, was ich haben möchte, schaue dabei ein bißchen ernst drein, und die Leute stolpern über die eigenen Füße vor lauter Eifer, es mir als Geschenk zu geben. Ich wette, daß wir nicht mal etwas für diese Getränke werden bezahlen müssen. Wahrscheinlich kann ich den Barkeeper mit einem Blick dazu bringen, daß er sich in die Hose pißt.«
»Da nehme ich dich beim Wort«, sagte Hazel rasch. Sie drehte sich um, blickte zu Konstanze und Owen hinüber und machte ein finsteres Gesicht. »Ich frage mich, was er mit dem hübschen Fräulein Vollkommen zu bereden hat. Ich mag es nicht, wenn er sich mit anderen Aristos unterhält. Sie haben einen schlechten Einfluß auf ihn. Und er ist immer so leicht zu überreden.«
»Du mußt es ja wissen«, meinte Ruby. »Was ist los? Hast du Angst, sie könnte ihn dir ausspannen?«
Hazel schnaubte. »Nicht nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben. Zwischen uns besteht ein Band, stärker als alles, was diese Leute je verstehen könnten.«
»Klar doch«, sagte Ruby. »Aber hast du ihn schon im Bett gehabt?«
»Kümmere dich um deinen Kram!«
»Das dachte ich mir.«
»Es würde… ihm zuviel bedeuten«, meinte Hazel. »Er würde es zu ernst nehmen. Er würde anfangen, über Beziehung und Vertrauen und den Aufbau eines gemeinsamen Lebens zu reden, und für Scheiß dieser Art bin ich einfach nicht bereit.«
»Kann nicht behaupten, daß ich von dir je was anderes erwarten würde«, warf Jakob ein.
»Und du kannst auch gleich die Klappe halten.«
»Du solltest lieber schnell zuschlagen, Mädchen«, fuhr Ruby gelassen fort. »Sonst schnappt ihn dir noch jemand weg. Ich könnte mir vorstellen, es selbst mal zu probieren. Gut gebaut.
Hübscher Hintern. Und er hat diesen unschuldigen Blick eines verirrten Jungen, bei dem es mir immer in den Fingern juckt.«
»Gib gut auf deine Finger acht, Ruby Reise!« erwiderte Hazel entschieden. »Sollte ihn je eine anfassen außer mir, sorge ich dafür, daß sie für einen Monat im Streckverband landet.«