Finlay hatte sich in den Jahren als Rebell verändert. Das früher jungenhafte Gesicht war dünn und abgehärmt und um Mund und Augen von scharfen Falten geprägt. Das Haar war verblaßt, fast weiß geworden. Er war erst Ende zwanzig, wirkte aber mehr als zehn Jahre älter. Trotz angestrengter Bemühungen zeigte er eher die Gangart eines Soldaten als die eines Müßiggängers, und der Ausdruck seiner Augen war erschreckend kalt. Er sah so aus, wie er auch war, hartgesotten und gefährlich, und seine hübschen Sachen wirkten wie ein Clownskostüm an einem Killer. Die Leute wichen ihm rasch aus, selbst wenn er andeutete, daß er gern mit ihnen reden würde. Obwohl er nicht mehr der Feldglöck war, das Oberhaupt des Clans, hatte er sich in vielerlei Hinsicht zu einem Ebenbild seines toten Vaters entwickelt, dieses gefürchteten und gefährlichen Mannes ein Gedanke, bei dem Finlay stets unwohl wurde.
Die Unfähigkeit, wieder in die alten Maße zu passen, machte ihm Sorgen. Er hatte erwartet, einfach wieder seine alte geckenhafte Persönlichkeit überstreifen zu können und von aller Welt wieder akzeptiert zu werden, wie früher auch. Er hatte sich jedoch zu sehr verändert; Jugend und Unschuld waren zu vielen Attentaten zum Opfer gefallen, die er für die Untergrundbewegung durchgeführt hatte. Auch fiel es ihm heute zu schwer, die alte Persönlichkeit vorzuführen; die kleinlichen politischen Machenschaften des Parlaments und seines Anhangs verblaßten neben den mörderischen Schlachten der Rebellion. Damals hatte alles, was Finlay tat, eine Bedeutung gehabt. Jetzt war er nur noch ein kleiner Held, aus dem Krieg heimgekehrt, auch nicht wichtiger als tausend andere.
Nur ein weiterer Killer, der zu früh pensioniert worden war.
Früher mal hatte er sein Bedürfnis nach blutiger Erregung in der Arena austoben können, als unbesiegter Champion, als der Maskierte Gladiator. Dann mußte er aus der Gesellschaft fliehen, diese Maske ablegen und sich Evangeline, seiner Geliebten, in der Klon- und Esperbewegung anschließen. Sein Mentor, der ursprüngliche Maskierte Gladiator, übernahm in Finlays Abwesenheit diese Rolle erneut, so daß niemand eine Verbindung herstellen konnte zwischen dem vermißten Feldglöck und einem vermißten Gladiator. Während der Rebellion kam der ursprüngliche Maskierte Gladiator dann ums Leben; Flynns Kamera filmte sein blutiges Ende live, als der Esper Julian Skye in der Arena grausame Rache nahm für den Tod seines Bruders Auric.
Somit konnte Finlay auch in diese Rolle niemals zurückkehren. Schlimmer noch, Auric Skye war in Wahrheit von Finlays Hand gestorben, als er noch die Maske des Gladiators trug. Das durfte er Julian nie erzählen. Es hätte ihre Freundschaft für immer zerstört.
Auch ohne Maske konnte er nicht in die Arena zurückkehren.
Die Fans würden seinen Kampfstil schnell wiedererkennen.
Julian erführe es und wüßte, daß er einen Unschuldigen getötet hatte. Und so schlüpfte Finlay wieder in die ganz feinen Klamotten und begab sich aufs gesellschaftliche Parkett, wo er sich Mühe gab, die freiwillig, wenn auch widerstrebend übernommene Aufgabe als Diplomat und Botschafter der Klon- und Esperbewegungen zu erfüllen. Denn sie brauchten ihn. Zumindest hatte Evangeline ihm das eingeredet. Manchmal ertappte er sich bei der Frage, ob sie ihm vielleicht seine Stellung in der Untergrundbewegung mit Hilfe ihres Einflusses verschafft hatte, nur damit er beschäftigt war und sich… nützlich fühlte.
Fragen konnte er sie nicht. Sie war fortlaufend mit eigener Arbeit beschäftigt, um der Klonbewegung einen Platz im öffentlichen Leben zu verschaffen, als Teil der neuen politischen Szene. Das war eine wichtige Arbeit. Zuzeiten sah er Evangeline tagelang nicht. Zum ersten Mal brauchte er wirklich ihren Trost, und sie war nicht mal bei ihm.
Es war ein kleinlicher Gedanke, und er bemühte sich, ihn zu verbannen.
Er wußte nicht, daß Evangeline die wachsende Verzweiflung in seinem Blick gesehen hatte und ihm soviel Arbeit zuschanzte, wie sie nur konnte – denn sie fürchtete, er könnte sich das Leben nehmen, wenn er keine Richtung, keine Zielvorstellung in seinem Leben hatte. Dabei wußte sie nicht mal, daß er von den dicken Adern an seinen Handgelenken träumte, von der scharfen Schneide eines Messers oder von einer Schlinge, die im Mondlicht baumelte – und davon, wie leicht es wäre, alles hinter sich zu lassen und endlich Frieden zu finden.
Finlay sah, daß Owen Todtsteltzer für den Moment allein war, und ein alter Zorn regte sich in ihm. Nicht nur Liebe war es, die ihn am Leben hielt; auch ein ungestillter Haß brannte weiterhin in seinem Herzen. Er schritt zum Todtsteltzer hinüber, der sich umdrehte und formell verneigte. Finlay überwand sich, sich seinerseits zu verbeugen. Die Form wußte gewahrt bleiben. Owen und Finlay hatten in der Rebellion vielleicht auf derselben Seite gefochten, aber als Menschen hatten sie nie entsprechende Gemeinsamkeiten gehabt. Owen hielt Finlay für einen verrückten Mörder, der sich jederzeit von der Leine lösen und sich gegen Freund und Feind gleichermaßen wenden konnte. Finlay erachtete seinerseits Owen für einen gefährlichen Amateur, der zuviel nachdachte. In der Öffentlichkeit pflegten sie einen sehr höflichen Umgang miteinander.
Gewöhnlich.
»Ich habe ein Hühnchen mit Euch zu rupfen, Todtsteltzer.«
»Stellt Euch an«, erwiderte Owen ruhig. »Wie lautet Euer Problem, Feldglöck?«
»Valentin Wolf. Ich habe gerade erfahren, daß Ihr seinen Aufenthaltsort kanntet und verabsäumtet, ihn mir mitzuteilen.
Er hat meine Familie vernichtet, verdammt!«
»Valentin hat eine Menge Familien vernichtet. Deshalb hat mich das Parlament losgeschickt, um ihn zu fangen. Falls Ihr so gute Verbindungen hättet, wie Ihr angeblich habt, hättet Ihr das ebenfalls erfahren. Ich kann es auch nicht ändern, wenn Ihr in jüngster Zeit ein wenig… besorgt gewesen seid.«
»Kommt mir nicht gönnerhaft, Todtsteltzer!«
»Und spielt Euch mir gegenüber nicht auf, Feldglöck. Mein Anspruch auf Valentin ist eher noch besser begründet als Euer.
Er hat meinen ganzen Planeten vernichtet.«
»Ich werde ihn töten«, sagte Finlay. »Ebenso jeden, der mir dabei in die Quere kommt. Und sei es der allgewaltige Owen Todtsteltzer.«
Owen lächelte. »Ihr könntet es versuchen«, sagte er höflich, wandte sich ab und entfernte sich ohne Eile. Finlay blickte ihm nach und ballte die Fäuste an den Seiten. Und dann legte ihm jemand die Hand auf den Arm und wirbelte er wütend herum, nur um Evangeline Shreck lächelnd vor sich zu sehen. Die Wut schwand sogleich aus ihm, als er Evangelines Lächeln erwiderte.
»Ich bin vorzeitig zurückgekommen«, sagte Evangeline und nahm seine Hände in ihre. »Hatte mir überlegt, dich zu überraschen. Und wenn ich dich so ansehe, denke ich, daß ich keinen Augenblick zu früh erschienen bin. Wer hat dich diesmal aufgebracht?«
»Oh, nur der Todtsteltzer«, sagte Finlay, der sich wieder beruhigt hatte. All seine Dunkelheit war vertrieben durch den Sonnenschein von Evangelines Lächeln und den Glanz ihrer Augen. Sie umarmten sich, als könnten sie alles, was sie trennte, durch die Kraft ihrer Liebe verdrängen. Und vielleicht war das wirklich möglich. Nach geraumer Weile gaben sie sich wieder frei und traten jeder einen Schritt zurück, um sich wechselseitig gründlich anzusehen.