»Bitte, wir wollen uns doch alle bemühen, von persönlichen Angriffen Abstand zu nehmen«, sagte Gutmann ernst. »Ich denke, es wäre das beste, zum nächsten Punkt der Tagesordnung überzugehen.«
»Aber es hat keine Entscheidung zur letzten Frage gegeben!« protestierte Owen.
»Ich sagte, wir machen weiter«, sagte Gutmann. »Als Parlamentspräsident bin ich für die Tagesordnung zuständig.«
»Ich habe Euch gewarnt!« sagte Owen und funkelte ihn an.
»Ich könnte Euch hinauswerfen lassen«, erwiderte Gutmann.
»Ihr könntet es versuchen«, sagte Owen.
»Bitte, tut es«, bat Hazel.
»Wir fahren mit dem nächsten Punkt auf der Tagesordnung fort«, verkündete Gutmann. »General Beckett, verantwortlicher Offizier für die Imperiale Flotte, wartet schon höchst geduldig darauf, sich an uns zu wenden.«
Ein schwebender Bildschirm tauchte fast sofort mitten in der Luft auf, als hätte er nur aufs Stichwort gewartet, und General Shaw Beckett bedachte von dort aus mit finsterer Miene unparteilich alle Anwesenden. Sein großer, eckiger Kopf hockte auf massigen Schultern, obwohl der größte Teil seiner einschüchternden Körpermasse außer Sicht blieb. Die Uniform spannte sich über seiner wuchtigen Gestalt und war mit mehr Orden behangen, als man zählen konnte. Der breite Mund bildete eine strenge Linie, die dunklen Augen blickten fest. Wie immer rauchte Beckett eine dicke Zigarre und brach gelegentlich ab, um Rauch in die Kamera zu blasen.
»Wird aber auch Zeit, daß Ich an die Reihe komme. Paßt also auf und macht Euch notfalls Notizen, denn ich will verdammt sein, wenn ich die Sache noch mal durchkaue. Seit die Flotte bei der Rebellion durch Schiffe der Gesetzlosen und dieser verdammten Hadenmänner auseinandergenommen wurde, kämpfen wir darum, den nötigsten Dienst aufrechtzuerhalten.
Die meisten Sternenkreuzer der D- und E-Klasse sind futsch, und wir müssen uns auf Zerstörer und aufpolierte Fregatten verlassen, die nie für eine solche Belastung gedacht waren. Wir sind auch knapp an Besatzungsmitgliedern. Wir haben reichlich Freiwillige, aber es braucht Zeit, echte Raumschiffer auszubilden. Man kann nicht jeden auf ein Sternenschiff loslassen.
Mit den größeren Schiffen schützen wir die Transportrouten für Lebensmittel zu den Planeten, die es am schwersten erwischt hat. Wir haben eine Menge hungriger Leute da draußen, aber bislang gelang es uns, in weiten Bereichen echte Hungersnöte zu vermeiden. Piraten bilden dabei ein Problem; sie greifen die Geleitzüge an, um ihre Schwarzmärkte zu speisen. Wir bringen sie so schnell um, wie wir sie zu fassen kriegen, aber es tauchen immer neue auf. Was wir darüber hinaus an Schiffen übrig haben, fährt Patrouille, meist draußen am Abgrund, und gibt auf Insektenschiffe acht.«
Sein Gesicht verschwand vom Schirm und wich dem vertrauten Anblick eines Schiffs der Fremdwesen. Es ähnelte einem großen, sehr kompakten Ball aus verworrenen klebrigen Spinnfäden. Es war mit Waffen und Kraftfeldern unbekannter Bauart ausgestattet, auch wenn man sie nicht sehen konnte. Ein solches Schiff hatte die Besatzung eines isolierten imperialen Stützpunktes restlos niedergemetzelt und dann beinahe die großen Städte Golgathas zerstört, ehe es selbst von Kapitän Schwejksam und seiner Besatzung vernichtet wurde. Niemand wußte, woher es stammte oder was diese Wesen wollten. Das einzig Sichere an ihnen waren die mörderischen Absichten.
Das Bild des Schiffs wich wieder dem Gesicht General Becketts.
»Bei der begrenzten Anzahl meiner Schiffe kann ich keinen Präventivschlag führen. Mir bleibt lediglich, auf die Angriffe der Extraterrestrier zu reagieren, ihre Schiffe abzuwehren und den Schlamassel zu beheben, den sie hinterlassen. Bislang hatten wir Glück und konnten die umfangreichen Verwüstungen und das Gemetzel vermeiden, die das erste Schiff nach Golgatha brachte, aber Glück hat die häßliche Angewohnheit, einem irgendwann auszugehen. Fazit: Menschen sterben da draußen am Abgrund, und ich kann verdammt wenig dagegen unternehmen! Ich brauche mehr Schiffe!«
»Wir bauen so schnell neue, wie wir können, General«, entgegnete Gutmann scharf. »Aber wir haben Schwierigkeiten.
Schiffe der E-Klasse wird es solange nicht mehr geben, bis wir eine neue Fabrik für Hyperraumantriebe errichtet haben, um die zu ersetzen, die während der Rebellion zerstört wurden.
Und bis wir wissen, wie wir die Klone ersetzen können, die früher für die gefährliche Aufgabe zuständig waren, die Triebwerke tatsächlich zu montieren. Und natürlich sind selbst Schiffe der D-Klasse fürchterlich teuer – und das zu einer Zeit, in der wir jede Ausgabe einzeln abwägen und rechtfertigen müssen. Solange die Schiffe der Fremdwesen keine unmittelbare Gefahr für die Kerngebiete des Imperiums darstellen…«
»Also opfert Ihr die Menschen auf den Planeten des Abgrunds, nur um den übrigen keine höheren Steuern aufbürden zu müssen«, knurrte Beckett offen in die Kamera. »Regierungen kommen und gehen, aber im Grunde ändert sich nichts.
Seht mal, die Insekten sind einmal bis Golgatha vorgedrungen, und im Moment haben wir keine Möglichkeit, sie an einem erneuten Besuch zu hindern. Wir wissen nach wie vor nicht, woher sie kommen; sie tauchen einfach aus dem Nirgendwo auf, greifen an und verschwinden wieder.«
»Solange wir sie nicht zu sehr gegen uns aufbringen, besteht eine reale Chance, daß sie ihre Angriffe auf den Abgrund beschränken«, sagte Gutmann. »Eine traurige Philosophie, wie ich einräumen möchte, aber in dieser verzweifelten Zeit bleibt uns nur, nach dem größten Wohl für die größte Mehrheit zu streben. Dabei geben wir den Abgrund nicht auf; wir erteilen Euch die Vollmacht, dort zu bleiben und die Region nach besten Kräften zu verteidigen. Sobald neue Schiffe verfügbar sind, schicken wir sie Euch. Wenn Ihr also nichts weiter vorzubringen habt…«
»Wie es sich trifft, habe ich das durchaus«, sagte Beckett.
»Irgend etwas… läuft hier draußen ab. Beunruhigende Meldungen treffen seit einiger Zeit von überall entlang des Abgrunds ein – Meldungen, die die Dunkelwüste betreffen und von… Dingen sprechen, die aus der Dunkelheit kommen. Von Stimmen der Toten, die Warnungen rufen. Visionen von Wundern und Alpträumen, von flüchtigen Kontakten mit Dingen, die innerhalb eines Augenblicks auftauchen und wieder verschwinden. Esper haben von einer Tür geträumt, die sich öffnete und wieder schloß, und von etwas Grauenhaftem, das hindurchspähte. Es sind zu viele Meldungen aus gewöhnlich zuverlässigen Quellen, als daß ich sie einfach abtun könnte. Ich sehe mich gezwungen, daraus den einzig möglichen Schluß zu ziehen: Etwas lebt in der Dunkelwüste.«
Eine ganze Weile blieb alles still. In den über neunhundert Jahren, seit der ursprüngliche Todtsteltzer den Dunkelwüsten-Projektor eingesetzt hatte, hatte niemand wirklich etwas über die riesige Zone aus tiefster Nacht erfahren, die man die Dunkelwüste nannte – außer daß Schiffe, die hineinflogen, nur selten zurückkehrten. Gutmann wandte sich an Owen und Hazel.
»Sir Todtsteltzer, Ihr und Miss d’Ark wart die letzten, die tief in die Dunkelwüste vorgedrungen und von dort zurückgekehrt sind. Vielleicht könntet Ihr… dieses Phänomen für uns ein wenig erhellen?«
»Für mich ist das alles ganz neu«, antwortete Owen. »Wir sind auf nichts dergleichen gestoßen. Daß es mein Vorfahr war, der den Dunkelwüsten-Projektor erbaute, heißt noch nicht, daß ich ein größerer Experte bin als irgend jemand sonst. Falls Giles irgendwelche Geheimnisse über die Dunkelwüste wußte, hat er sie nicht an mich weitergegeben. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie irgend jemand oder irgend etwas dort draußen leben könnte. Nichts in der Dunkelwüste ermöglicht Leben.