Sie ist zu sehr damit beschäftigt, die Hilfseinsätze auf Lachrymae Christi zu leiten, um persönlich mit uns zu sprechen, aber sie hat folgende Botschaft vorab aufgezeichnet.«
Er gab ein Zeichen, und ein Sichtschirm tauchte mitten in der Luft auf. Beatrices Kopf und Schultern füllten ihn aus, und die weiße Kapuze umrahmte das müde Gesicht wie ein Heiligenschein. Sie hatte dunkle Flecken unter den Augen, und ihre Stimme klang rauh vor Erschöpfung. »Ich rede nur kurz, weil wir bis Oberkante Unterlippe in Arbeit stecken und rasch sinken. Seit dem Krieg kann die Hälfte der Planeten des Imperiums kaum noch für den eigenen Unterhalt aufkommen. Nur Becketts Lebensmittelschiffe verhindern eine massenweise Hungersnot. Die sozialen, politischen und geschäftlichen Strukturen sind überall zusammengebrochen, und die Menschen sterben am Mangel von Nahrung, Unterkunft und medizinischer Versorgung.
Die Kirche leitet Hilfseinsätze, wo sie nur kann, aber unsere Mittel und unser Personal sind begrenzt. Das Parlament muß uns mehr Geld bewilligen, damit nicht ganze Bevölkerungen in die Barbarei oder Schlimmeres zurückfallen. Millionen liegen schon im Sterben. Weitere Millionen werden sterben, wenn nicht bald etwas geschieht. Die Kirche befaßt sich zur Zeit ausschließlich mit karitativer Tätigkeit; Ihr habt meine persönliche Zusage, daß alle uns zugebilligten Mittel ausschließlich dazu dienen werden, das Leid der Bedürftigen zu lindern. Bitte helft uns! Versetzt uns in die Lage, denen zu helfen, die uns brauchen.«
Der Bildschirm verschwand. Man konnte ein gewisses Maß an unbehaglichem Herumrutschen feststellen. Golgatha hatte bei der Rebellion auch Wunden eingesteckt, war aber letztlich weitgehend unversehrt daraus hervorgegangen. Man konnte leicht vergessen, daß viele andere weniger Glück gehabt hatten.
Elias Gutmann beugte sich vor. »Natürlich werden wir über die Bitte Ihrer Heiligkeit nachdenken. Obwohl ich erneut darauf hinweisen muß, daß zahlreiche Forderungen an die begrenzten Mittel des Parlaments vorliegen. Wir werden die Sache weiter im Plenum diskutieren, sobald der zuständige Ausschuß seinen Bericht vorgelegt hat. Aber jetzt haben wir einen abschließenden Punkt zu diskutieren. Ich denke, praktisch jeder hier kann der These zustimmen, daß wir ein offizielles Staatsoberhaupt benötigen, jemanden, der persönlich den Staat gegenüber den Bürgern repräsentiert. Nach vielen Diskussionen in zahlreichen Ausschüssen wurde entschieden, daß wir einen konstitutionellen Monarchen einsetzen sollten.«
Sofort brach ein Tumult aus. Alle wollten gleichzeitig reden, und niemand zeigte sich bereit hintanzustehen. Gutmann winkte mit den Armen, um sie zum Schweigen zu bringen, wurde aber diesmal völlig ignoriert. Also lehnte er sich zurück und sah der Entwicklung der Dinge zu. Owen stand schweigend in der Mitte des Tohuwabohus und dachte darüber nach. Obwohl er den Eisernen Thron zerstört hatte, existierte die Krone noch, und wie er vermutete, bestanden keine rechtlichen Vorkehrungen, um das Parlament an der Berufung eines neuen Imperators zu hindern, falls es dumm genug war, so etwas zu tun. Er fühlte sich sehr müde. Er hatte soviel durchgemacht, um Löwenstein zu stürzen, und immer öfter fragte er sich, ob alle seine Bemühungen wohl vergebens gewesen waren.
Der Lärm erstarb schließlich, und Gutmann konnte sich wieder Gehör verschaffen. »Nichts wird ohne umfassende Zustimmung durch das Hohe Haus entschieden! Wir schlagen einen rein konstitutionellen Monarchen vor, der weder echte Macht noch rechtliche Vollmachten hat. Eine Galionsfigur, deren Amtspflichten ausschließlich öffentlicher und sozialer Natur wären. Natürlich müßte es jemand sein, der das Vertrauen und die Unterstützung aller genießt. Nach umfangreichen Diskussionen sind die Ausschüsse zu der, wie ich denke, einzig passenden Entscheidung gelangt: Owen Todtsteltzer!«
Ein neuer Tumult brach los, dazu auch eine Menge mehr oder weniger spontanen Beifalls – gespendet von Personen, die die Ehrung eines großen Helden billigten, bis hin zu solchen, die einen Vorteil darin erblickten, den Todtsteltzer ein für allemal von den politischen Entscheidungen auszuschließen.
Owen war so schockiert, daß er lange kein Wort herausbekam, und dann erhob sich seine Stimme über den allgemeinen Aufruhr und brach diesen sofort ab.
»Kommt überhaupt nicht in Frage! Hätte ich mich zum Imperator machen wollen, hätte ich es tun können, als ich Löwenstein stürzte. Ich wollte die Krone damals nicht, und ich möchte sie jetzt nicht!«
Gutmann lächelte gelassen. »Die meisten Anwesenden denken, daß es eine gute Idee ist und eine Ehre, die Ihr völlig verdient habt. Und wer ist besser zum konstitutionellen Monarchen geeignet als jemand, der offen kundgibt, kein Interesse an der Macht zu haben? Obwohl wir vielleicht unsere Differenzen haben, Sir Todtsteltzer, zögere ich nicht, meine Anerkennung für all das auszudrücken, was Ihr vollbracht habt, um unsere Demokratie möglich zu machen. Wer könnte sie besser repräsentieren? Und denkt mal über folgendes nach, Sir Todtsteltzer: Falls nicht Ihr, wer dann? Vielleicht ein Feldglöck? Oder ein Wolf? Oder ein Shreck? Ihr seid der womöglich einzige Aristokrat, der die Krone übernehmen könnte, ohne damit ein eigenes Programm zu verfolgen. Kommt schon, Owen, Ihr habt doch immer gewußt, was Eure Pflicht ist! Denkt darüber nach.«
Owen nickte steif, blickte aber weiterhin finster drein. Hazel musterte ihn, und ihre Miene verriet nichts, überhaupt nichts.
Da trat neue Unruhe hinter der Menschenmenge auf, und die Leute wichen aus, als sich zwei Männer hindurchdrängten und dabei unerbittlich auf das Parkett des Plenarsaals zuhielten.
Alle erkannten Kapitän Johan Schwejksam, aber die dunkle, grüblerische Gestalt an seiner Seite war allen ein Rätsel. Früher hatte man Schwejksam stets in Gesellschaft von Investigator Frost angetroffen, die ihm wie ein Schatten folgte, aber sie war bei der Verteidigung des Imperiums gefallen, niedergestreckt von dem notorischen Verräter Kit Sommer-Eiland. Diese neue Gestalt wirkte, falls überhaupt möglich, noch beunruhigender als Frost, und die Leute wandten den Blick ab, waren unfähig, dem Mann in die Augen zu sehen. Und dann erkannten einige, was der Mann in Schwarz in Händen hielt, und erschrockenes Murmeln lief durch den Saal. Es war eine Kraftlanze, eine gebannte Waffe aus der Frühzeit des Imperiums. Gebannt war sie, weil sie einen Esper so stark machen konnte, daß niemand mehr eine Chance hatte, ihm standzuhalten. Auf den bloßen Besitz schon stand der Tod.
Kapitän Schwejksam blieb vor der Menge stehen und nickte den Abgeordneten brüsk zu. Er war ein großer Mann in den späten Vierzigern, dessen Taille zunahm und dessen Haar zurückwich, mit Augen, die zuviel gesehen hatten und nie den Blick hatten abwenden können. Er gehörte zu den wenigen, die für das Imperium gekämpft hatten und heute trotzdem als echte Helden galten, aber seit dem Ende der Rebellion hielt er den Kopf eingezogen. Auf beiden Seiten fand man einfach zu viele, die eine solch mächtige Figur gern aus dem Spiel entfernt hätten, aber er war potentiell immer noch zu nützlich, um ihn vom Feld zu nehmen. Niemand wußte, wann man jemanden für einen allerletzten Selbstmordeinsatz benötigte. Und jetzt war er hier, weder angekündigt noch erwartet. Die Menge wurde ganz still und wartete darauf, daß er sich zu Wort meldete. Schwejksam nickte auch Gutmann forsch zu.
»Tut mir leid, daß wir so hereinplatzen, aber unser Anliegen duldet keinen Aufschub. Ich komme gerade vom Planeten Unseeli draußen am Abgrund zurück. Wir alle stecken in großen Schwierigkeiten.«
»Oh, verdammt«, sagte Gutmann. »Kommt heutzutage vom Abgrund nichts mehr außer schlechten Nachrichten? Worum geht es, Kapitän? Die Insektenschiffe?«
»Schlimmer«, antwortete Schwejksam. »Es ist Shub.« Er wartete einen Augenblick ab, während die Zuschauer und die Abgeordneten raunten, und fuhr fort: »Ich hatte eine reguläre Versorgungsfahrt zu der einsamen imperialen Basis auf Unseeli, wo Wissenschaftler ein abgestürztes fremdes Raumschiff unbekannter Herkunft untersuchten. Wir fielen aus dem Hyperraum und mußten feststellen, daß der ganze Planet zerstört worden war. Die Metallwälder, die den Planeten von Pol zu Pol bedeckten und uns die Schwermetalle für die traditionellen Hyperraumtriebwerke lieferten, waren komplett abgeerntet.