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KAPITEL DREI

SHUB

Daniel Wolf durchquerte in einem gestohlenen Schiff den toten, leeren Raum des Verbotenen Sektors und hielt Kurs auf die kalte Metallhölle, die man Shub nannte. Er war allein und hatte Angst, aber er weigerte sich, über eine Umkehr auch nur nachzudenken. Er mußte Shub erreichen! Dort hielt sich sein Vater Jakob auf, und sein Vater brauchte ihn. Selbst wenn der alte Mann tot war.

Vielleicht besonders dann. Jakob Wolf war in der letzten großen Schlacht zwischen den Wolfs und den Feldglöcks umgekommen, einer blutigen Affäre, die mit der Vernichtung des Clans Feldglöck endete. Ein großer Sieg, das triumphale Ende einer jahrhundertelangen Fehde, aber Jakob hatte es nicht mehr erlebt – im tiefsten Schlachtgetümmel von einer unsichtbaren Hand niedergestreckt.

Ein guter Tod für einen alten Krieger, sagten viele, als ob das ein Trost wäre. Daniel hatte den Vater betrauert, aus vielen Gründen, war dann aber mehr oder weniger darüber hinweggekommen. Bis Jakobs vermißte Leiche eines Tages an Löwensteins Hof wieder auftauchte und der Imperatorin eine Botschaft der abtrünnigen KIs von Shub ausrichtete. Irgendwie hatten sich die KIs den Leichnam aneignen können und ihn zu einem Geistkrieger umgestaltet, einer Metallpräsenz in menschlicher Gestalt, die mit Lektronen-Implantaten lief. Shub sprach aus seinem Mund, aber Daniel erblickte trotzdem Spuren der Persönlichkeit des Vaters in dem Geistkrieger – obwohl das alle Welt als unmöglich bezeichnete. Und so verließ Daniel schließlich die Familie und die geliebte Schwester Stephanie, um nach der Wahrheit zu suchen.

Dazu war es nötig, den gefürchteten Verbotenen Sektor zu durchqueren und die unbekannte Welt der abtrünnigen KIs zu erreichen. Obwohl nie jemand zurückkehrte, der dorthin zu gelangen versuchte.

Im Verbotenen Sektor war nicht viel zu entdecken. Ein paar Planeten, zu weit von der Norm, als daß sich eine Terraformung gelohnt hätte, eine Handvoll sterbender Sonnen und verflucht viel Raum. Kalter, leerer, schweigender Raum. Soweit draußen am Abgrund herrschte kein Funkverkehr mehr; keine Stimmen füllten die endlose Dunkelheit, durch die sich Daniels gestohlenes Schiff den Weg bahnte. Er fühlte sich ganz allein, weit entfernt von allem Bekannten, und verabscheute es. Bislang hatte er noch nie allein sein müssen. Denn soweit er zurückdenken konnte, war stets Stephanie bei ihm gewesen, hatte ihn grimmig beschützt und dabei auch für sie beide das Denken übernommen. Darüber hinaus traf der Vater alle Entscheidungen und umgab den jüngsten Sohn mit der Sicherheit eines perfekt geplanten Tagesablaufs. Und wenn weder Stephanie noch Jakob zugegen waren, blieb stets das Dienstpersonal, das ihm Gesellschaft leistete, jeder seiner Launen entsprach und ihn stets daran erinnerte, was als nächstes von ihm erwartet wurde. Auch eine Ehefrau gehörte zu seinem Leben, aber die Hochzeit war arrangiert worden, und er verbrachte so wenig Zeit wie möglich mit der Gattin. Sie war inzwischen tot, und er vermißte sie kein bißchen.

Und jetzt war er hier, allein mitten im Nichts, das einzige Lebewesen an Bord eines umgebauten Frachtschiffs, und hatte nur eine Schiffs-KI namens Moses zur Gesellschaft. Moses gab sich wirklich Mühe, aber im Grunde war er nur darauf programmiert, Ladelisten zu verwalten und zuzeiten mit Docksarbeitern zu verhandeln. Und da Daniel das Schiff von der Kirche gestohlen hatte, waren die wenigen Gesprächsthemen, mit denen die KI aufwarten konnte, meist Fragen des offiziellen kirchlichen Dogmas, was Daniel nicht im mindesten interessierte. Also verbrachte er die Tage damit, durch die Metallkorridore und widerhallenden Frachträume zu spazieren, nur um

überhaupt etwas zu tun zu haben.

Manchmal blieb er auch einfach in der Kabine, saß in der Ecke, die Knie an die Brust gezogen, und wiegte sich lautlos hin und her.

Das Schiff, die Himmelsträne, hatte er sich auf Technos III angeeignet. Für seinen Clan war alles fürchterlich schiefgelaufen: Rebellen überrannten die familieneigene Fabrik für Hyperraumtriebwerke und jagten sie in die Luft, wobei sie gleich auch noch eine kleine Armee Kirchentruppen überwältigten und zu Paaren trieben. Also hatte sich Daniel überlegt, daß er ohne die Fabrik keine Familienangelegenheiten auf Technos III mehr zu betreuen hatte und es ihm endlich freistand, nach dem toten Vater zu suchen.

Er sorgte dafür, daß Stephanie in Sicherheit war, und verließ sie dann, fand im allgemeinen Chaos einigermaßen mühelos einen Weg zu den nahegelegenen Startrampen, wo die Kirchenschiffe angedockt lagen. Er suchte sich aufs Geratewohl eines der kleineren Fahrzeuge aus, marschierte an Bord und verlangte von der Rumpfbesatzung, ihm das Schiff zu übergeben. Er war schließlich ein Aristokrat, und sie waren nur niederrangige Kirchentechnos. Er war ehrlich überrascht, als sie ihm sagten, er solle sich zum Teufel scheren, und schoß den nächststehenden Techno in aufrichtiger Entrüstung nieder.

Nachdem er sich auf diese Weise festgelegt hatte, brachte er die übrigen beiden mit dem Schwert zur Strecke, während sie noch nach ihren Waffen griffen.

Er warf die Leichen aus dem Schiff, verschloß alle Luken und startete, ohne sich die Mühe zu machen und um Startfreigabe zu bitten. Und bei all dem Chaos ringsherum machte sich niemand die Mühe und hielt ihn auf. Damals hatte es ihm gar nichts ausgemacht, die drei Technos zu töten. Er brauchte das Schiff, und sie waren ihm einfach im Weg gewesen. Aber als an Bord der Himmelsträne aus Tagen Wochen wurden, schien er immer deutlicher zu spüren, daß die Ermordeten um ihn waren. Er wischte die Blutflecken eigenhändig weg, um damit gewissermaßen Buße zu üben, aber in seinen Träumen erblickte er weiterhin ihre Gesichter. Wenn er nachts allein im Bett lag, glaubte er, Geräusche auf dem Korridor vor der Kabine zu hören. Er schloß die Tür stets ab und schlief bei brennendem Licht. Im Weltraum war immer Nacht.

Daniel hatte nicht viel zu tun. Die KI übertrug ihm ein paar einfache Aufgaben, damit er Zeit herumbringen konnte. Da es sich um ein Kirchenschiff handelte, waren die Unterhaltungsbänder allesamt religiöser Natur. Daniels wichtigster Zeitvertreib war es, mit Moses über alles mögliche zu debattieren, was die KI ziemlich nervös machte – schließlich war sie dazu programmiert, sich freundlich und umgänglich zu geben. Daniel wies Moses an, seine Speicherbänke nach allem zu sichten, was er über Shub wußte, über die abtrünnigen KIs und den Verbotenen Sektor, aber die Ausbeute hielt sich in Grenzen.

Das meiste war geheim und nur mit Hilfe von Zugriffskodes abrufbar, und nicht mal Daniels aristokratischer Status ermöglichte ihm, diese Vorkehrung zu umgehen.

Also saß Daniel zusammengesunken auf dem Kommandostuhl der Brücke und brütete über den wenigen Informationen.

Er war ein großer Mann Anfang zwanzig, der seine wuchtige Gestalt vom Vater geerbt hatte. Das Gesicht zeigte meist einen finsteren oder mürrischen Ausdruck. Das lange Haar hatte er zu einem einfachen Zopf geflochten. Die Kleidung bestand nur aus dem, worin er losgerannt war. Das Schiff hielt sie frisch, aber sie zeigte allmählich Spuren der Abnützung. Auf seiner ständigen Suche nach Zeitvertreib hatte Daniel widerstrebend damit begonnen, mit improvisierten Hanteln zu trainieren. Er verabscheute es inbrünstig, aber ihm stand kein bequemer Körperladen mehr zur Verfügung, den er aufsuchen konnte, wenn die Muskeln schlaff wurden, und er hegte die vage Vorstellung, daß er sich schließlich seinen Weg nach Shub und wieder von dort weg würde freikämpfen müssen. So war er schließlich besser in Form als je zuvor im Leben und fühlte sich dabei ziemlich wohl. Etwas zu tun, was er verabscheute, vermittelte ihm das Gefühl, sich tugendhaft zu verhalten. Und er dachte, daß sein Vater es wohlwollend betrachten würde.

Nur einmal hatte ihn etwas von der Suche nach dem Vater abgelenkt. Als schließlich im ganzen Imperium der Krieg ausbrach, verfolgte er die endlosen Nachrichtensendungen wie benommen. Er konnte nicht glauben, daß es wirklich geschah.