Sein persönliches Bild vom Universum kippte völlig um, und er verstand überhaupt nichts mehr. Immerhin, er tröstete sich damit, daß Jakob wissen würde, wie man alles wieder ins Lot brachte. Jakob wußte immer, was zu tun war. Dazu waren Väter schließlich da. Und obwohl sich Daniel oft nach Stephanie sehnte, war er doch froh, daß er ohne sie losgezogen war. Etwas allein zu vollbringen, das war die Art eines Mannes, und er mußte sich als Mann bewähren, als der Wolf. Sein Vater hatte das immer gewollt. Daniel wollte Jakobs Anerkennung als Mann, brauchte sie, damit er endlich an sich glauben konnte.
Den größten Teil der Rebellion hatte er verfolgt, während seine Reise auf dem Planeten Loki unterbrochen war. Er hatte dort landen müssen, um die Anlagen des Schiffs frisch aufzuladen, und dann nicht wieder starten können, da der Bürgerkrieg rings um den zentralen Raumhafen tobte. Daniel mußte sich an Bord einschließen und abwarten, bis alles auf die eine oder andere Art vorüber war. Solange er an Bord blieb, konnte man ihn weder als Aristo noch als Wolf erkennen, was beides gereicht hätte, damit ihn die Leute beim ersten Anblick gleich erschossen. Zum Glück stellte ein kleines, umgebautes Frachtschiff auch keine große Beute dar, so daß ihn beide Seiten weitgehend in Ruhe ließen.
Schließlich blieb er Monate auf Loki gestrandet, in denen er sich nur dann hinauswagte, wenn er dringend etwas benötigte.
Der Krieg war in wenigen Tagen zu Ende, aber das allgemeine Chaos wollte einfach nicht aufhören.
Er verfolgte die Rebellion von Anfang bis Ende auf dem Bildschirm und erlebte ungläubig mit, wie Löwenstein gestürzt wurde und die Familien ihr Abkommen mit Jakob Ohnesorg schlossen. Er weinte heiße, wütende Tränen über den Verlust von allem, das er begriff, und gab sich selbst das vage Versprechen, auf jeden Fall Vergeltung zu üben. Als sich das Chaos schließlich wieder soweit beruhigte, daß er in den Weltraum flüchten konnte, hätte er zu Hause anrufen und nachfragen können, wie es dem Clan Wolf und besonders Stephanie ging, aber letztlich verzichtete er darauf. Vielleicht waren sie böse, weil er nicht an ihrer Seite gegen die Rebellen kämpfte. Und sie hätten ihn zu überreden versucht, auf das zu verzichten, was er, wie ihm selbst klar war, unbedingt tun mußte. Er wies also die KI an, Kurs auf Shub zu nehmen, und kehrte in die Stille und das einsame Leben zurück.
»Tut mir leid, Eure Gedanken zu stören«, meldete sich jetzt Moses, »aber wir kommen wirklich den Koordinaten furchtbar nahe, an denen Shub vermutet wird. Es ist noch nicht ganz zu spät, das Vernünftige und Überlebensorientierte zu tun, umzukehren und wie der Teufel von hier zu verschwinden.«
»Wir fliegen weiter«, erwiderte Daniel kurz angebunden. Die KI der Himmelsträne hatte sich zunehmend ängstlich gezeigt, je tiefer sie in den Verbotenen Sektor vordrangen, und Daniel war es allmählich leid. Es fiel ihm schon schwer genug, die eigenen Sorgen zu beherrschen. »Schon auf irgendeinem Komm-Kanal etwas zu hören?«
»Nicht das geringste, und wechselt jetzt nicht das Thema!
Falls wir nicht bald etwas Vernünftiges tun, müßten wir Shub irgendwann in der nächsten Stunde erreichen.«
»Ich kann einfach nicht glauben, daß du nicht die Koordinaten von Shub kennst«, sagte Daniel. »Es ist ja womöglich nur der berühmteste Planet im ganzen Imperium.«
»Zunächst ist er berüchtigt, nicht berühmt. Zweitens erkennt Shub nicht an, daß es zum Imperium gehört. Drittens ist nie jemand lebend zurückgekehrt, um genaue Informationen über die Lage des Planeten zu überbringen. Überhaupt ist nie jemand von dort zurückgekehrt, Punktum. Eine gescheite Person würde daraus Folgerungen ziehen. Angeblich treibt sich irgendwo im Verbotenen Sektor, nicht allzu weit von Shub entfernt, ein imperialer Sternenkreuzer herum, um die Quarantäne aufrechtzuerhalten, aber auch darüber weiß im Grunde niemand Genaues. Mich persönlich könnte niemand überreden, hier draußen zu bleiben, selbst wenn er mir eine Pistole in die Schaltkreise steckte.«
»Ich befasse mich mit dem Quarantäneschiff, falls und wenn es nötig wird.«
»O bitte, Sir, kehren wir doch um! Mir gefällt es hier nicht.
Ich habe da ein ganz mieses Gefühl.«
»Du bist ein Lektron. Du hast keine Gefühle.«
»Daß meine Gefühlsreaktionen einprogrammiert sind, bedeutet nicht, daß meine Gedanken von ihnen unbeeinflußt bleiben.
Hätte ich doch nur auch noch einen Überlebensinstinkt, dann würde ich Eure Steuerkodes übergehen und dieses Schiff so schnell wenden, daß Ihr für Wochen an Prellungen littet.«
»Halte die Klappe und fliege das Schiff. Ich weiß ohnehin nicht, was dir solche Sorgen macht. Du bist eine KI, und Shub wird von KIs geleitet. Du müßtest dich dort ganz zu Hause fühlen.«
»Ihr wißt wirklich nichts über Shub, nicht wahr? Es sind abtrünnige KIs, die nur eigene Interessen verfolgen. Bitte, drehen wir doch um und sehen zu, daß wir davonkommen! Wir könnten es immer noch schaffen, den Verbotenen Sektor zu verlassen, ehe uns das unausdenklich schauerliche Schicksal ereilt, daß diese KIs für uns geplant haben.«
»Moses, warst du auch schon ein solcher Feigling, als du noch der Kirche gedient hast?«
»Ich denke nur an Eure Interessen, Sir Wolf. Ich bin dazu programmiert, dem Befehlshaber dieses Schiffes nach besten Kräften zu dienen. Dazu gehört ganz eindeutig, Euch mit gutem Rat und mit Warnungen zu unterstützen, was schrecklich dumme Vorhaben angeht, die uns beiden Kopf und Kragen kosten könnten.«
»Du hast doch die ganze religiöse Programmierung. Glaubst du nicht an ein Leben nach dem Tode?«
»Das ist etwas für Menschen. Und versucht nicht, es mir zu erklären; es würde nur zu einem Systemabsturz führen. Ihr Menschen glaubt an die merkwürdigsten Dinge…«
»Sag mir, was du von Shub weißt«, verlangte Daniel entschieden.
»Ich habe Euch schon alle Informationen gegeben, die ich in meinen Datenbänken finde.«
»Nein, was weißt du über Shub?«
Die KI schwieg eine Zeitlang, und als sie wieder etwas sagte, geschah es ganz leise. »Die Datenbänke enthalten nur bestätigte Fakten. Aber ich habe auch… das eine oder andere gehört.
KIs flüstern miteinander auf Kanälen, auf die nur sie Zugriff haben, und diskutieren Themen, die nur Lektionen verstehen.
Sie sagen, Shub wäre ein Alptraum aus Stahl und die KIs wären nicht nur abtrünnig, sondern auch verrückt. Wer weiß, was solch verrückte Gehirne alles aushecken, losgelöst von jeder menschlichen Zurückhaltung und allen Beschränkungen? Psychosen, die kreischend in die materielle Welt hineingeboren wurden und Metallgestalt erhielten… Wie könnte irgend jemand solche Dinge anblicken und hoffen, nicht den Verstand zu verlieren?«
Daniel schauderte unwillkürlich. »Das sind nur Gerüchte und Klatsch, wahrscheinlich von den abtrünnigen KIs selbst verbreitet, um Besucher abzuschrecken. Wir fliegen weiter.«
»Jetzt mal langsam!« sagte Moses scharf. »Etwas taucht gerade in den vorderen Sensoren auf. Etwas, das viel größer ist als wir.«
»Mach die Waffensysteme schußbereit.«
»Sie sind schußbereit, seit wir in den Verbotenen Sektor vorgedrungen sind«, sagte Moses. »Ich bin schließlich nicht dumm. Ich wünschte nur, wir hätten bessere Abwehrschirme… Ich empfange ein Signal auf imperialen Standardkanälen.«
»Schalte es auf den Bildschirm.« Daniel richtete sich kerzengerade auf und bemühte sich angestrengt, den Eindruck zu verbreiten, er wüßte, was er tat.