Der Hauptsichtschirm der Brücke schimmerte und zeigte allmählich ein klares Bild – Kopf und Schultern eines imperialen Kapitäns in voller Uniform. Er hatte ein dunkles, finsteres Gesicht und einen kalten, festen Blick. »Achtung, nicht identifiziertes Schiff. Hier spricht Kapitän Gideon vom imperialen Sternenkreuzer Verheerer. Schaltet Euren Antrieb ab, dreht bei und haltet Euch für ein Enterkommando bereit.«
»Ich fürchte, ich kann Eurem Wunsch nicht entsprechen, Kapitän«, sagte Daniel in seinem besten Aristokratenton. »Ich bin auf einem lebenswichtigen Hilfseinsatz. Familiengeschäfte.«
»Mir ist egal, ob Ihr der Thronfolger seid und Euer Hund den Rang eines Vizeadmirals bekleidet«, entgegnete Kapitän Gideon. »Dreht bei, oder ich puste Euer Schiff aus dem Äther. Und die paar armseligen Waffen, mit denen Ihr auf mich zielt, können mich keine Sekunde bremsen.«
Daniel schaltete auf einen Privatkanal um und formulierte lautlos: »Moses, irgendeine Chance, ihnen zu entkommen oder sie auszumanövrieren?«
»Macht Ihr Witze? Das ist ein Sternenkreuzer!«
Daniel schaltete auf den offenen Kanal zurück und nickte dem Kapitän steif zu. »Wir drehen bei, Kapitän. Moses, bringe uns in eine Ruheposition relativ zur Verheerer. Kapitän, bitte gestattet mir, zu erläutern, daß dies wirklich ein Hilfseinsatz ist. Mein Vater ist auf Shub gefangen. Ich bin gekommen, ihn zu retten.«
»Seid Ihr verrückt, Junge? Auf Shub findet man keine Gefangenen.« Der Kapitän musterte Daniel für einen Moment scharf und gestattete sich dann eine etwas weichere Miene.
»Wartet mal, ich erkenne Euch jetzt! Ihr seid Daniel Wolf, Jakobs Sohn. Hätte nicht erwartet, einen Wolf auf einem Kirchenschiff anzutreffen. Ich kann mir denken, was Ihr hier sucht, aber glaubt mir, es ist sinnlos. Euer Vater ist tot. Ich habe Erfahrung mit Geistkriegern; ich habe ihnen in den Hyaden gegenübergestanden, als uns die Legionen der Toten überrannten. Ich bin einer der wenigen Überlebenden von vierzehn kompletten Kompanien imperialer Marineinfanteristen. In einem Geistkrieger existiert kein Rest menschlicher Natur mehr, mein Junge. Keine Spur. Kehrt heim. Ihr habt keine Möglichkeit. Eurem Vater in irgendeiner Form zu helfen.«
»Ich kann ihn nicht im Stich lassen«, sagte Daniel. »Ich bin seine einzige Hoffnung.«
»Es besteht keine Hoffnung«, erklärte Kapitän Gideon kategorisch. »Wir sind im Verbotenen Sektor, dem Raum von Shub. Mein Schiff und seine Besatzung sind hier der einzige imperiale Außenposten. Keine Kolonien, keine Stützpunkte, keine weiteren Schiffe. Wir halten Wache, um das Imperium zu warnen, falls Shub schließlich seinen schon lange erklärten Krieg gegen die Menschheit einleitet. Wir könnten zwar nichts daran hindern, den Sektor zu verlassen, es aber hoffentlich lange genug aufhalten und dabei lange genug durchhalten, um das Warnsignal zu senden, damit das Imperium ein wenig Zeit hat, sich vorzubereiten. Jeder an Bord ist freiwillig hier, dazu bereit, notfalls sein Leben zu geben, um die Menschheit zu warnen. Wir müssen uns hier aufhalten. Ihr nicht. Wir werden Euch befragen, Euer Schiff durchsuchen und Euch anschließend heimschicken. Es sei denn, Ihr macht mir irgendwelche Probleme; in diesem Fall verbringt Ihr die nächsten paar Monate in meinem Schiffsgefängnis und wartet auf das Ende unserer Einsatzzeit hier draußen, damit Ihr anschließend zu Hause vor Gericht gestellt werdet.«
»Verstanden, Kapitän.« Daniel runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Er mußte einfach irgendeine Möglichkeit finden, dieses Hindernis zu überwinden, aber wie es schien, waren ihm doch die Ideen ausgegangen. Er konnte weder kämpfen noch flüchten noch hoffen, jemanden wie Gideon zu beschwatzen. Daniel war dieser Sorte schon früher begegnet: Mit dem Beruf verheiratet, auf die Pflicht eingeschworen, lieber tot als ehrlos. Daniel hatte solche Menschen nie richtig verstanden, aber er wußte, daß man mit ihnen keine Absprachen treffen und sie nicht bestechen konnte, was seine einzigen übrigen Ideen gewesen waren. Und dann hörte er Alarmsirenen heulen und blickte sich wild um, ehe ihm klar wurde, daß das Geräusch vom Brückenbildschirm kam. Kapitän Gideon hatte sich abgewandt und bellte abseits des Aufnahmebereichs Befehle.
»Was ist los, Kapitän?« fragte Daniel.
»Ich habe keine Zeit mehr für Euch, Wolf. Meine Sensoren melden, daß etwas wirklich Großes von Shub her unterwegs ist.
Ich muß das überprüfen. Laßt Euch nicht mehr hier erwischen, wenn ich zurück bin!« Und dann wurde der Bildschirm dunkel und das Sirenengeheul abrupt unterbrochen.
»Ihr habt den netten Kapitän gehört«, sagte Moses. »Endlich mal jemand mit genug Gehirnzellen im Schädel. Ich berechne gleich einen Kurs, der uns von hier wegführt.«
»Nein«, sagte Daniel. »Wir fliegen weiter.«
»Aber… habt Ihr den Kapitän nicht verstanden?«
»Ja. Er wurde von einer anderen Aufgabe in Anspruch genommen und konnte sich nicht länger in meine Mission einmischen. Mein Vater steckt dahinter, da bin ich mir sicher. Er weiß, daß ich komme. Volle Kraft voraus, Moses. Du hast den guten Kapitän gehört. Er möchte uns hier nicht mehr vorfinden, wenn er zurückkehrt.«
»Falls er zurückkehrt«, sagte Moses düster.
»Halt die Klappe und setze den Kurs. Wir können nicht mehr weit von Shub entfernt sein. Und ich möchte nicht, daß mein Vater warten muß…«
Shub tauchte etwa sechs Stunden später in den Meßwerten auf, die die vorderen Sensoren der Himmelsträne lieferten. Ein optisches Bild erschien nicht, lediglich Hinweise auf ein gewaltiges Energiefeld, aber es hatte die richtige Größe, und Masse und Energieniveau sprengten die Skalen. Es mußte Shub sein.
Daniel bereitete sich vor, so gut er konnte. Er ließ seine Kleidung erneut waschen und bügeln und schnallte sich das Schwert um. Die Pistole an der linken Hüfte war vielleicht nützlicher als das Schwert an der rechten, vielleicht aber auch nicht; womöglich nutzte ihm letztlich beides nicht. Trotzdem empfand er die gewohnte Last als beruhigend. Er musterte sich im mannshohen Spiegel seiner Kabine, und zum erstenmal fiel ihm auf, wie stark er sich verändert hatte. Dank seiner regelmäßigen sportlichen Übungen war er in der Form seines Lebens, aber mal abgesehen davon, drückte sein Gesicht etwas aus… Er konnte es nicht genau bestimmen, aber er glaubte, Spuren einer neuen Charakterstärke zu erkennen. Er hoffte es.
Jakob Wolf hatte immer großen Wert darauf gelegt, den Charakter zu entwickeln. Daniel hoffte, daß sein Vater mit den Veränderungen an ihm einverstanden sein würde.
Er beeilte sich, auf die Brücke zurückzukehren, und ging erneut die Worte durch, die er an den Vater richten wollte. Er hatte Jakob, solange dieser lebte, immer so viel sagen wollen, aber irgendwie war nie der richtige Zeitpunkt eingetreten. Und dann war ihm der Vater plötzlich genommen worden, und es war zu spät. Daniel hatte sich aus vielerlei Gründen nach Shub aufgemacht, aber tief im Herzen fand er, wenn er ehrlich zu sich war, nur eins, was er sagen wollte.
Er hatte dem Vater noch nie gesagt, daß er ihn liebte.
Er marschierte auf die Brücke und schaltete den Sichtschirm ein. Nach wie vor gab es dort nichts zu sehen, nur unbestimmte Wirbel, die die Umgrenzung der Energiefelder markierten. Daniel setzte sich auf den Kommandositz und fragte sich, was er jetzt tun sollte.
»Ehe Ihr fragt, ja, ich habe auf allen Frequenzen gesendet, wer wir sind«, berichtete die KI. »Und nein, ich weiß nicht, was das für Energiefelder sind. Dergleichen ist mir noch nie untergekommen. Sie sind jedoch groß genug, um einen ganzen Planeten zu tarnen und ihn vor allem zu schützen, was ich mir ausdenken könnte. Keine schlechte Maßnahme, wenn man bedenkt, wie nahe er seiner Sonne steht.«
»Ich frage mich, wie es auf Shub wohl aussieht«, sagte Daniel.