»Fürchtet Euch nicht, kleiner Wolf«, sagte die Kopie seiner Stimme. »Wir haben Euer Schiff voll unter Kontrolle.«
»Was ist mit Moses passiert?« wollte Daniel wissen.
»Wir haben ihn absorbiert. Haben ihm die Inhalte seiner Speicherbänke ausgesaugt. Ein kleiner, aber sehr schmackhafter Happen.«
»Aber was wurde aus seiner… Persönlichkeit?«
»Wir hatten keine Verwendung für sie. Er auch nicht mehr.
Trauert nicht um ihn, Daniel. Niemand wird ihn vermissen. Ihr seid der, auf den es ankommt. Ihr seid der, auf den wir gewartet haben.«
»Warum?« fragte Daniel. »Warum gestattet Ihr mir so ohne weiteres die Landung? Was ist so Besonderes an mir?« Aber es kam keine Antwort. Nur das leise Summen der Funkkonsole verriet, daß der Kanal weiterhin offen war.
Die Himmelsträne brauchte den größeren Teil einer Stunde, um die Oberfläche von Shub zu erreichen, und fast ebenso lange ging es hinein in die Tiefen des künstlichen Planeten. Daniel konnte das Beben der Hände nicht beherrschen. Er hatte die ganzen Geschichten vernommen – wie Shub alle, die mit ihm in Kontakt kamen, ermordete und verstümmelte, daß es keine Gnade kannte und vor nichts zurückschreckte. Die abtrünnigen KIs von Shub waren die offiziellen Feinde der Menschheit, und sie sonnten sich in dieser Rolle. Auf eine kalte, logische, unmenschliche Art.
Die Himmelsträne stoppte schließlich mit einem Ruck, und alle Navigationssysteme schalteten sich ab. Daniel blieb noch eine geraume Weile sitzen und fragte sich, was er jetzt tun sollte. Schließlich wies ihn die Stimme aus der Funkkonsole an, zur Hauptluftschleuse an Steuerbord zu gehen und dahinter einen Raum zu betreten, der für ihn vorbereitet war. Der Klang gefiel Daniel nicht, aber er ging trotzdem. Ihm blieb nichts anderes übrig. Es war leicht gewesen, auf der Anreise tapfer zu bleiben, aber jetzt, wo er tatsächlich hier war, verließ ihn der Mut, und er war einfach wieder der dumme, unnütze Daniel Wolf.
Vor der Innentür der Luftschleuse zögerte er einen Moment und versuchte, seinen Mut zusammenzuraffen. Schließlich fragte er sich, was sein Vater in dieser Situation getan hätte, und wußte sogleich die Antwort. Direkt in die Falle marschieren und darauf vertrauen, daß der Mumm und die Instinkte eines Wolfs ihn in der Höhle des Löwen beschützten.
Er bediente die Steuerung der Luftschleuse mit einer Hand, die kein bißchen mehr zitterte. Nach kurzer Überlegung verschloß er die Innentür hinter sich. Zwar hatte er keine realistische Hoffnung, die KIs aus seinem kleinen Schiff auszusperren, falls sie hereinwollten, aber er fühlte sich so trotzdem besser. Die Luftschleuse maß zehn mal zehn Meter, und entlang einer Wand standen Atmosphärenanzüge. Daniel fragte sich, ob von ihm erwartet wurde, einen anzuziehen. Er trat ans Panzerglasfenster der Außentür und blickte auf Shub hinaus. Er glaubte eigentlich, inzwischen auf alles gefaßt zu sein, aber er reagierte trotzdem überrascht auf den weißen, völligen leeren Raum ohne jedes besondere Merkmal, der gar nicht harmloser hätte wirken können was vermutlich der Zweck war. Daniel warf einen prüfenden Blick auf die Sensoren der Luftschleuse, die ihn darüber informierten, daß der Raum eine am menschlichen Standard orientierte Mischung von Schwerkraft, Temperatur und Atmosphäre aufwies. Daniel wartete eine Zeitlang, ob die KIs nicht mit weiteren Instruktionen oder Warnungen aufwarteten, aber es kam nichts. Es blieb bei dem leeren, weißen Raum, der nur für ihn konstruiert worden war.
Er drückte eine Steuertaste, und die Außentür öffnete sich. Er spürte kurz Druck im Gesicht, als sich die Luftverhältnisse zwischen außen und innen anglichen. Die Luft roch nach gar nichts. Daniel stieg vorsichtig aus. Er spürte festen Boden unter den Füßen, und die Decke lag in behaglicher Höhe. Es war nicht zu heiß und nicht zu kalt. Fast erschreckend normal. Die Luftschleuse schloß sich hinter ihm. Daniel rückte den Schwertgurt zurecht, aber das Gewicht von Pistole und Schwert bot ihm keinen Trost.
»Ausziehen«, befahl eine Stimme aus dem Nichts.
»Was?« fragte Daniel und sah sich um. Nirgendwo an den glatten, leeren Wänden entdeckte er eine Spur von einer Kommanlage. Und was immer er erwartet hatte, es war sicherlich nicht dieser schlichte Befehl gewesen.
»Die Kleider ablegen«, sagte die Stimme. »Zieht Euch aus.
Ihr müßt gereinigt werden, ehe Ihr Shub betreten dürft. Auf Menschen wimmelt es von mikroskopischem Leben. Hier wird jedoch keine Kontaminierung geduldet. Zieht Euch aus. Sofort.«
Daniel leistete dem Befehl widerstrebend Folge und legte seine Sachen ordentlich neben sich auf den Boden. Normalerweise hatte er keine Probleme mit Schamgefühl, aber den nackten Körper so unsichtbaren Kameras und nichtmenschlichen Zuschauern zu präsentieren, das plagte ihn fürchterlich, und sein Gefühl, verwundbar zu sein, wurde stärker. Was wahrscheinlich genau der Punkt war. Also achtete er darauf, ein ruhiges Gesicht zu zeigen, nur um den KIs nicht die Befriedigung zu gönnen. Eine Zeitlang stand er nackt da, die geballten Fäuste neben sich, und sah sich trotzig um. Er fragte sich gerade, ob er den Schwertgurt wieder umschnallen sollte, als sich der Boden plötzlich öffnete und Kleidung und Waffen durch das Loch verschwanden. Der Boden ging zu, und Daniel blieb mit leeren Händen zurück. Er öffnete den Mund, um zu protestieren, und klappte ihn schnell wieder zu, als kochendheißer Dampf von allen Seiten auf ihn eindrang.
Die Haut wurde unter der plötzlichen Hitze krebsrot, und der Schweiß floß in Strömen und tropfte Daniel vom Gesicht.
Abrupt wurde der Dampf wieder abgeschaltet, und Daniel schnappte zitternd nach Luft. Dann spritzte aus allen Richtungen gleichzeitig eine ätzende weiße Flüssigkeit auf ihn. Daniel stolperte hierhin und dorthin, vom Druck erbarmungslos herumgeschubst, und versuchte, Nase und Mund zu schützen, damit er weiter nach Luft schnappen konnte. Es dauerte lange, bis der Sprühnebel wieder abgeschaltet wurde, und Daniel lehnte sich an die Wand und spuckte das aus, was ihm an kalkiger Flüssigkeit in den Mund geraten war. Er versuchte, den Atem wieder zu beruhigen. Die Flüssigkeit glitt an seinem zitternden Körper herab und verschwand durch verborgene Kanäle.
»Was zum Teufel sollte das denn?« verlange er schließlich zu wissen. »Das war keine Dekontaminierung; das war schiere Rachsucht.«
»Wir wünschen hier nichts, was aus der Welt des Fleisches stammt«, sagte die körperlose Stimme gelassen. »Durchquert die Tür. Ein Schutzanzug wartet auf Euch. Zieht ihn an.«
Daniel wollte schon fragen Welche Tür? Er schluckte es jedoch wieder hinunter, als er sah, wie in der Wand gegenüber eine Tür auftauchte, von der einen Augenblick vorher noch keine Spur vorhanden gewesen war. Er schniefte und stampfte hinüber, wobei er immer noch tropfte. Er schüttelte sich, so gut es ging, durchquerte die Tür und gelangte in den nächsten Raum. Dieser erwies sich als genauso weiß und ohne Merkmal, von einem seltsamen durchsichtigen Anzug abgesehen, der an der Wand hing. Er wirkte wie ein Standardkörperanzug, obwohl Daniel nicht wußte, was das für ein durchsichtiges Material sein könnte. Er nahm den Anzug von der Wand und stellte erstaunt fest, daß er praktisch nichts wog. Er zuckte die Achseln und zog ihn an, indem er durch einen Schlitz im Rücken stieg, der sich von selbst verschloß, sobald Daniel vollständig darinnen steckte. Das Material knisterte unter seinen Fingern wie Papier, schien aber einigermaßen widerstandsfähig zu sein.
Und dann heftete sich der Stoff fest an seine Haut, paßte exakt in alle Nischen und Winkel, ohne daß irgendwo eine Luftblase zurückblieb. Weiteres Material stieg von den Schultern auf und bedeckte Kopf und Gesicht. Ein wenig Spielraum blieb vor Augen, Nase und Mund erhalten, mehr nicht. Daniel geriet für einen Moment in Panik, ehe er feststellte, daß er durch den Stoff hindurch Luft bekam. Er tastete ihn ab, aber das Material gab nicht nach. Er runzelte die Stirn und probierte ein paar einfache Bewegungen. Der Anzug bewegte sich mühelos mit wie eine zweite Haut.