»Also habt ihr letztlich doch etwas mit der Menschheit gemeinsam«, sagte Daniel leichthin.
Jakob blickte ihn böse an und ging weiter. Daniel zuckte die Achseln und folgte ihm. Manche Leute verkrafteten einfach keine Kritik. Als sie das nächste Mal stehenblieben, war es vor einer massiven Stahltür in der Seitenwand eines riesigen Kristallgewölbes. Dieses war größer als ein Raumschiff und so hoch, daß Daniel kaum bis ganz hinauf blicken konnte. Jakob deutete auf die Tür, und ein Ausschnitt auf Augenhöhe wurde durchsichtig. Jakob gab Daniel mit einem Wink zu verstehen, er sollte hindurchsehen. Daniel tat es nur widerstrebend und glaubte fast schon zu wissen, was man ihm zeigen würde. In einer großen Kristallhalle schliefen Tausende von Grendels, jedes einzelne in einer eigenen Wiege – die blutroten Mordmaschinen, die die KIs aus den uralten Gewölben der Schläfer erbeutet hatten. Eine einzige dieser Kreaturen hatte ausgereicht, ein ganzes Forscherteam der Menschen zu vernichten.
»Sie werden hier in Stasis gehalten«, erklärte Jakob. »Sie warten nur darauf, geweckt und auf die Menschheit gehetzt zu werden. Die perfekten Stoßtruppen. Man dreht sie in die richtige Richtung, läßt sie von der Leine und wartet, bis sie mit dem Job fertig sind. Hetzt man sie gleichzeitig auf alle kolonisierten Planeten, verwandeln sie das Imperium innerhalb von Tagen in ein Leichenhaus. Dann gehen die Furien und die Geistkrieger gegen die wichtigsten Bevölkerungszentren vor, und das ist dann das Ende der Menschheit.«
Daniel bemühte sich angestrengt, einen ruhigen Ton anzuschlagen, als er sich von der Tür abwandte. »Und was gedenkt ihr, mit den Grendels zu tun, sobald ihr gewonnen habt?«
»Sie schalten sich selbst ab, nachdem ihnen die Opfer ausgegangen sind, die sie töten können. Sie verkörpern letztlich nur eine überlegene Waffentechnik. In den ursprünglichen Gewölben fanden die KIs Hinweise darauf, daß eine Rasse von Fremdwesen die Grendels ursprünglich geschaffen hat, um sie gegen eine andere unbekannte Lebensform einzusetzen. Nur ein weiterer Grund, warum Shub stark sein muß: Es könnte nämlich sein, daß irgendwann eine dieser fremden Lebensform erneut auftaucht. Auch ein weiterer Grund für die Vernichtung der Menschheit: Die KIs können sich eine Ablenkung nicht leisten.«
»Und die Grendels geben solch wunderbare Krieger ab!« sagte eine fröhliche, dröhnende Stimme. Daniel drehte sich scharf um, überrascht von der ersten neuen menschlichen Stimme, die er hörte, seit er auf Shub eingetroffen war. Und da schritt einer der Helden der großen Rebellion auf ihn zu, der junge Jakob Ohnesorg. Er blieb vor Daniel stehen, grinste breit und reichte ihm die Hand. Daniel schlug mechanisch ein.
»Ausgezeichnete Mordmaschinen, die Grendels«, fuhr der junge Jakob Ohnesorg fort. Er war groß und kräftig gebaut, trug eine goldene Kampfrüstung, die mit Silber besetzt war, und wirkte vom Scheitel bis zur Sohle wie ein Held. »Kann nicht umhin, diese schrecklichen Dinger zu bewundern. All die Kraft eines Geistkriegers oder einer Furie, ohne deren Begrenzungen oder Schwächen. Ich werde sie in die Schlacht führen. Müßte die Moral der Menschen ohne Ende untergraben.«
»Verzeiht mir, wenn ich zu persönlich klinge«, sagte Daniel, »aber seid Ihr nicht in der Rebellion umgekommen?«
»Ah«, sagte der junge Jakob Ohnesorg und lächelte gelassen.
»Mein Körper wurde zerstört, aber ich lebe weiter. Die Tatsache, daß ich hier keinen Schutzanzug trage, hätte eigentlich einen bedeutsamen Hinweis darauf geben müssen. Ich bin eine Furie, wißt Ihr? Einer der mächtigsten Agenten der KIs. Eine Zeitlang war ich an den innersten Ratschlüssen der Rebellen beteiligt. Danach hätte ich eigentlich an den innersten Ratschlüssen der neuen Regierung teilhaben sollen. Es kam anders. Eine Granate im falschen Augenblick, und meine wahre Natur wurde offenbart. Ich habe ja angeboten, weiter mit den Rebellen zusammenzuarbeiten, aber sie zerstörten meinen Körper trotzdem, was meines Erachtens ganz schön störrisch von ihnen war. Trotzdem, kein Grund zur Sorge. Ich habe inzwischen einen prima neuen Körper und brauche mein wahres Wesen nicht weiter zu verbergen. Ich werde inmitten der Menschen wandeln, das Gesicht eines ihrer größten Helden zeigen und Schrecken und Gemetzel verbreiten, wo immer ich einherschreite. Ich freue mich schon richtig darauf.«
»Alles, was dir hier gezeigt wurde, mein Junge«, sagte Jakob Wolf, »sind nur die Ausläufer der von den KIs geschmiedeten Pläne. Ein bloßer Taschenspielertrick, um das menschliche Auge zu täuschen.«
»Seht Ihr, Daniel«, erzählte der junge Jakob Ohnesorg und legte Daniel kameradschaftlich den Arm um die Schultern, »alles begann im Grunde auf Vodyanoi IV, der Stätte meiner letzten Schlacht gegen Löwensteins Heere.«
»Wartet mal eine Minute«, wehrte Daniel ab und zuckte unter dem nichtmenschlichen Gewicht des Furienarmes zusammen. »Ich dachte, man hätte Jakob Ohnesorg in Blauer Engel auf Eisfels ergriffen.«
»Ah nein, das war der echte Jakob Ohnesorg, einige Zeit vorher. Die KIs haben mich entsandt, um in eigenem Interesse die Illusion seiner Anwesenheit aufrechtzuerhalten. Speziell, damit ich die Führung der Rebellion auf Vodyanoi IV übernehme.«
»Was war denn so wichtig an diesem Planeten?« erkundigte sich Daniel. »Diese Welt ist nach allem, was man hört, ein verdammtes Dreckloch. Mörderisch kalt, bewohnt von unfreundlichen Lebensformen und einer Art fleischfressendem Moos, das die Gliedmaßen attackiert. Ohne die Gewürzminen gäbe es dort überhaupt keine Siedlung.«
»Präzise!« sagte der junge Jakob Ohnesorg. »Genau der richtige Platz für Löwenstein, um eine äußerst geheime wissenschaftliche Basis für äußerst heikle Forschungen zu errichten.
Aber darüber können wir später noch reden. Ihr habt nach wie vor viel zu sehen.«
»Ich denke nicht, daß ich noch viel verkrafte«, sagte Daniel.
Er befreite sich mit einem Achselzucken vom Arm der Furie und wandte sich hilfesuchend an den toten Vater. »Können wir nicht eine Zeitlang Pause machen? Uns etwas ausruhen, ein wenig essen und trinken? Für ein kaltes Getränk würde ich einen Mord begehen.«
»Menschliche Schwächen«, versetzte Jakob Wolf. »Erhebe dich über sie! Du kannst noch ein wenig länger ohne solche Dinge überleben. Reiß dich zusammen, Junge; die Tour ist bald geschafft.«
Und Jakob marschierte davon, ohne sich überhaupt darum zu kümmern, ob sein Sohn ihm folgte. Der Sichtschirm an der Tür schaltete sich ab. Der junge Jakob Ohnesorg hakte sich bei Daniel unter und führte ihn weiter, wobei er freundlich lächelte.
Zu dritt folgten sie einer Reihe von Metalltunneln, die alle steil abwärts führten. Daniel fühlte sich langsam sehr unwohl, wenn er daran dachte, wie tief er inzwischen unter der Oberfläche von Shub war. All das mußte einen Sinn haben, und ihre Reise mußte zu einem Ziel führen. Jakob Wolf blieb endlich vor einer menschengroßen Luftschleuse stehen, die bündig mit der Wand abschloß. Der junge Jakob Ohnesorg führte Daniel weiter und drückte ihm beruhigend den Arm.
»Das wird dir gefallen, Daniel«, sagte Jakob Wolf fröhlich.
»Es ist eine Art Zoo. Obwohl keiner für Schoßtiere. Hier findet man die einzigen Lebewesen auf Shub, und sie werden streng getrennt von allem anderen gehalten. Folge mir hinein, Junge.
Es wird Zeit, deinen Bildungsstand anzuheben.«
»Kümmert Euch nicht um mich«, sagte der junge Jakob Ohnesorg. »Ich warte genau hier. Möchte mir schließlich kein häßliches Ungeziefer einfangen.«