Выбрать главу

Daniel dachte noch über die Bedeutung des letzten Satzes nach, als die Tür zur Luftschleuse aufging und Jakob Wolf ihm ungeduldig zu verstehen gab, er solle eintreten. Daniel tat wie geheißen, dicht gefolgt von Jakob, der ihm dabei fast auf die Fersen trat. Die Luftschleuse schloß sich hinter ihnen gleich wieder. Die Stahlkammer war klaustrophobisch klein, und zu zweit füllten sie sie praktisch aus. Aus Düsen wurden sie mit chemischem Dampf besprüht, und dann öffnete sich die Innenluke. Jakob ging hindurch, und Daniel folgte ihm, nur um im anschließenden Raum gleich wieder stehenzubleiben.

Überall erblickte er Käfige. Einige waren wenige Quadratmeter klein, andere so groß wie Zimmer. Sie alle waren voller Kreaturen. Daniel war überzeugt, ihresgleichen noch nie gesehen zu haben. Er ging langsam weiter und überprüfte im Vorbeigehen, was in jedem Käfig saß. Er hatte sich schon immer ein bißchen für fremdartige Lebewesen interessiert und hatte einige Freunde, die eigene Menagerien besaßen, aber so etwas wie hier war ihm noch nie untergekommen. Augen und Mäuler waren zu sehen, Gliedmaßen und Tentakel, Fleisch und Fell und Schuppen sowie viele sonstige Dinge, für die Daniel nicht einmal Worte kannte. Viele der Lebewesen schienen krank zu sein oder unter Schmerzen zu leiden. Manche machten den Eindruck, sie lägen im Sterben.

»Im Grunde ist es kein Zoo«, erläuterte Jakob, der gelassen neben ihm stand. »Es ist ein Labor. Die KIs experimentieren mit Lebensformen, die sie eingefangen haben. Oder selbst geschaffen. Sie haben interessante Dinge kombiniert und andere entfernt, um zu sehen, was dabei herauskam. Sie arbeiten mit Chemikalien und Chirurgie und Zuchtverfahren, um die Basis fleischlichen Lebens besser zu verstehen. Um den Feind kennenzulernen. Die erzeugten Kreaturen werden bis zu ihrer Zerstörung getestet und anschließend der Vivisektion unterzogen.

Wissen ist alles, worauf es ankommt. Und die KIs haben viel entdeckt, unbehindert durch menschliche Moral oder Gewissen.«

»Das ist abscheulich!« sagte Daniel. »Nichts kann eine solche Folter rechtfertigen. Habt ihr keinen Respekt vor dem Leben?«

»Wissenschaftler der Menschen praktizieren seit jeher die Vivisektion an geringeren Organismen. Shub handelt nicht anders.«

Jakob ging weiter, und Daniel folgte ihm widerstrebend. Zum erstenmal, seit er Shub erreicht hatte, war er wütend. Man durfte nicht erlauben, daß es hier weiterhin so zuging! Und dann erreichten sie eine neue Reihe von Käfigen, und Daniel mußte in seinem Schutzanzug gegen einen Brechreiz ankämpfen. Die Dinge in den Käfigen waren früher Menschen gewesen, jetzt jedoch etwas anderes. Er sah Monster und Scheußlichkeiten und Dinge, die so entsetzlich waren, daß es ihn über das Entsetzen hinaus ins Mitleid trieb. Manche besaßen noch menschliche Augen oder Stimmen und flehten um die Freiheit oder den Tod. Eine humanoide Gestalt huschte in ihrem Käfig hin und her, fast zu schnell für menschliche Augen. Die Hände waren nur verschwommene Flecken.

»Was… ist der Sinn von alledem?« brachte Daniel schließlich hervor. »Welchem denkbaren Zweck könnten diese Greuel dienen?«

»Sie sind interessant«, antwortete Jakob. »Und im Grunde kommt es nur darauf an. Reiß dich zusammen, mein Junge! Ich habe dich nicht zu einem Schwächling erzogen. Komm weiter mit; du möchtest doch die nächste Sehenswürdigkeit nicht versäumen. Ihr Zweck sollte ein wenig deutlicher sein.«

Daniel schluckte schwer, folgte dem toten Vater zwischen den Käfigreihen hindurch und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet, weil er es nicht ertragen konnte, noch mehr Leid zu sehen. Endlich erreichten sie eine offene Fläche am hinteren Ende des Labors, und dort erblickte er in einem großen Glaskäfig die insektenhaften Extraterrestrier, deren Schiff Golgatha angegriffen hatte. Insekten in allen Formen und Größen, von den winzigsten dahintrippelnden Wesen bis hin zu großen, schwerfälligen, schalenbewehrten Kreaturen mit den Ausmaßen von Kampfpanzern – Wesen mit vielgliedrigen Beinen und Facettenaugen und hängenden Fühlern, die herumkrabbelten und übereinander krabbelten und in ständiger hastiger Bewegung waren. Es fiel Daniel nicht schwer, sie wiederzuerkennen.

Holoaufnahmen hatte es reichlich gegeben von dem, worauf Kapitän Schwejksam und seine Besatzung in dem fremden Schiff gestoßen waren.

»Ihr steht also im Bunde mit den Fremdinsekten!« sagte Daniel schließlich. »Wo habt ihr sie gefunden?«

»Gar nicht«, antwortete Jakob. »Wir haben sie geschaffen.

Genau hier in diesem Labor. Sie sind nur eine Shub-Waffe unter anderen, gentechnisch als ein weiteres Ablenkungsmanöver erzeugt. Wir möchten damit gewisse Ängste der Menschen ausnutzen. Erstaunlich, daß Insekten nach Jahrhunderten der Kontakte mit Fremdwesen noch etwas an sich haben, was bestimmte Leute in den Wahnsinn treibt.

Trotzdem hätte die Menschheit erkennen müssen, daß derartige Insekten nicht einfach eine andere fremde Lebensform sein können. Von Natur aus werden Insekten nämlich nicht so groß.

Das Gesetz der umgekehrten Proportion, unter anderem. Diese Kreaturen haben jedoch als Ablenkungsmanöver hervorragend funktioniert und Aufmerksamkeit von unseren eigentlichen Absichten abgezogen. Und ja, ich werde es dir schließlich erklären. Nur nicht gleich. Sei einfach noch eine Zeitlang geduldig, mein Junge. Wir sind fast am Ziel.«

Er führte Daniel aus dem Labor und wieder durch die Luftschleuse zu der Stelle zurück, wo der junge Jakob Ohnesorg wartete. Dieser schien durchaus erfreut, sie wiederzusehen, aber Daniel hielt auf Distanz zu ihm, wollte nicht wieder hinnehmen, daß sich die Furie bei ihm einhakte. Etwas an dem ewig lächelnden Gesicht ging ihm langsam auf die Nerven.

Sie machten sich erneut auf den Weg und folgten einem weiteren Metalltunnel, und Daniel konnte mühelos mit den anderen Schritt halten. Zorn und Empörung hatten ihm neue Kräfte verliehen. Mehr als je war er entschlossen, diese Besichtigung der Hölle zu überleben, damit er entkommen und die Menschheit warnen konnte. Sie mußte die Wahrheit erfahren! Nur die Gewißheit, daß man ihm noch nicht alles gesagt hatte, was er erfahren mußte, hielt Daniel davon ab, schon jetzt Reißaus zu nehmen. Das und sein Vater.

»Menschen haben seit jeher Kontakte zu S hub«, erzählte Jakob Wolf. »Es fing mit Alistair Feldglöck an, der raffiniert Botschaften plazierte und darin Wege vorschlug, wie beide Seiten zum wechselseitigen Gewinn kooperieren könnten. Die KIs gaben einen Dreck auf Profite, erkannten jedoch einen Vorteil darin, den Kontakt zu Verrätern an der Menschheit zu kultivieren. Als Gegenleistung für nützliche strategische Informationen lieferten die KIs dem Clan Feldglöck allerlei Glasperlen in Form von Hochtechnologie, über die sich Shub bereits hinausentwickelt hatte. Nachdem der Clan Wolf den Clan Feldglöck vernichtet hatte, übernahm Valentin den Kontakt. Die KIs zeigten sich mit Valentin zufrieden – eine wundervoll amoralische Kreatur, die nie durch einen Hauch von Gewissensbissen behindert wurde. Da er inzwischen keinen Einfluß mehr ausübt, wird sich Shub womöglich gezwungen sehen, wieder an den Clan Feldglöck heranzutreten. An Finlay vielleicht, oder an Robert, darauf kommt es nicht an. Menschen verlangen immer nach bestimmten Dingen oder denken gar, daß sie sie brauchen, auch wenn ihre eigene Gesellschaft sie mißbilligt. Im Wesen der Menschheit liegt die Saat zu ihrer eigenen Vernichtung begründet. Trotzdem war das mit Valentin eine Schande. Er war so überaus… verständnisvoll.«

»Du hast Valentin nie ertragen, Vater. Dir war alles an ihm zuwider.«

»Damals lebte ich noch. Es ist erstaunlich, wie stark der Tod die Perspektive verändern kann. Und du mußt einräumen, daß Valentin bei der Zerstörung von Virimonde sehr wirkungsvoll vorgegangen ist. Die KIs haben ihn dabei unterstützt. Eines Tages werden sie dieses Verfahren auf jeden Planeten der Menschheit anwenden. So sieht die Zukunft deiner Lebensform aus: Eine Metallklaue an jedem Menschenhals, ein stählerner Fuß in jedem Menschengesicht die unter dem Gewicht der Maschinen zerdrückte Menschheit. Der Zeitpunkt rückt näher, mein Junge. Schon jetzt wandeln Furien unentdeckt in jeder Stadt der Menschen, und das Bewußtsein von Shub hält durch Augen von Menschen Ausschau, nachdem es über die zentrale Lektronenmatrix die Steuerung der fleischlichen Leiber übernommen hat. Die KIs haben überall Agenten. Nichts bleibt ihnen verborgen.«