»Das habe ich alles schon im Parlament gehört!« maulte Hazel. »Erzähle mir etwas, was ich noch nicht weiß.«
»Immer mit der Ruhe. Ich komme noch dazu. Während der Rebellion haben die Hadenmänner über hundertzwanzigtausend Gefangene gemacht. Diese wurden inzwischen nach Neuhaden überführt, um sich den anderthalb Millionen gefangenen Kolonisten anzuschließen. Wir haben keine Ahnung, in welchem… Zustand sie sich gegenwärtig befinden. Das Parlament fordert ihre Freilassung, aber die Hadenmänner haben sich nicht mal die Mühe gemacht und geantwortet, sondern es mit ihrer einleitenden Stellungnahme bewenden lassen. Und da die Imperiale Flotte zur Zeit aus vielleicht einem Dutzend Sternenkreuzern besteht, die von Paketschnüren und Gebeten zusammengehalten werden, kann das Imperium nichts unternehmen, um die Kolonisten und die übrigen Gefangenen vor ihrem Schicksal zu bewahren.«
»Also hat man uns geschickt. Wir sind schließlich entbehrlich.«
»Wir sind schließlich Helden. Und wir haben mehr Chancen als die meisten, wirklich etwas zu erreichen. Außerdem ist es meine Pflicht. Ich bin für alles verantwortlich, was hier passiert ist. Ich habe die Aufgerüsteten aus ihrer Gruft geweckt. Sie in die Welt der Menschen zurückgeholt, damit sie wieder durch all unsere Alpträume wandeln.«
»Wir haben sie gebraucht«, sagte Hazel fast sanft; der Ärger war aus ihrem Tonfall verschwunden. »Ohne sie hätten wir die Rebellion nicht zum Sieg führen können.«
»Vielleicht. Und vielleicht haben wir nicht mehr vollbracht, als ein Übel gegen ein anderes auszutauschen. Ehe die abtrünnigen KIs entkamen und Shub bauten, waren die Hadenmänner die amtlichen Feinde der Menschheit, und das aus gutem Grunde. Hadenmänner. Die Mörder von Madraguda. Die Schlächter von Brahmin II. Besiegt, zurückgeschlagen, sicher in ihrer Gruft versiegelt. Bis ich sie herausgeholt habe.«
»Du hast ihnen vertraut«, sagte Hazel. »Sie haben dir ihr Wort gegeben. Sie nannten dich Erlöser und leisteten dir den Treueeid. Sie haben dich verraten.«
»Natürlich haben sie das. Sie verstehen nichts von Ehre.«
Owen ließ Kopf und Schultern hängen, wie von einer großen Bürde niedergedrückt. »Ich habe ihnen nie vertraut. Aber ich habe sie gebraucht. Also habe ich sie so oder so aus der Gruft befreit.«
Hazel beugte sich vor und hob eine Hand, als wollte sie ihn berühren. »Owen…«
Er hob ruckartig den Kopf, und sie nahm die Hand zurück. Er bemerkte es nicht. Sein Gesicht wirkte ruhig und gefaßt, und als er weitersprach, war sein Ton ganz nüchtern. »Ihr habt einmal auf Brahmin II gearbeitet, ehe ich Euch begegnete, vor der Rebellion. Was könnt Ihr mir über den Planeten sagen?«
»Nicht viel«, sagte Hazel. Falls er das Thema wechseln wollte, war es ihr recht. »Ein trübseliger Ort, nur harte Arbeit und Disziplin und verdammt wenig Komfort. Eigentlich nicht überraschend nach dem, was die Hadenmänner damit angestellt hatten, als sie schon einmal darüber herfielen. Ich dachte mir schon, daß du vielleicht danach fragen würdest, also habe ich die Berichte über den ersten Überfall aus den Lektronen aufgerufen. Sie sind ganz schön lückenhaft, überwiegend Live-Berichterstattung vor Ort, aber man erhält doch einen Eindruck davon, wie übel es ausgesehen hat. Du mußt dir das ansehen, Owen! Ich möchte nicht, daß du mit Plänen von Verhandlungen oder Abkommen dort landest. Gewalt ist alles, was diese Mistkerle je begriffen haben.«
Sie rief die Berichte auf den Hauptbildschirm, und sie und Owen verfolgten Seite an Seite, wie sich vor ihnen Geschichte ereignete. Goldene Schiffe erfüllten den Himmel, leuchteten heller als die Sonne. Disruptorstrahlen zuckten zur Erde herunter, rissen Häuser auseinander und erzeugten Brände, die rasch außer Kontrolle gerieten. Die Kolonisten besaßen nur eine Handvoll Angriffsschiffe, um sich damit zu verteidigen, aber keines davon kam von seiner Startrampe hoch. Die Straßen waren mit rennenden und schreienden Menschen verstopft, durch den erbarmungslosen Angriff aus dem vertrieben, was sie als sichere Zuflucht betrachtet hatten.
Und dann kamen die Bodentruppen. Eine Armee Hadenmänner ergoß sich auf die Straßen, aufgerüstete, gnadenlose Krieger der Genetischen Kirche. Sie waren groß und vollkommen, bewegten sich mit unmenschlicher Eleganz, unbeeinflußt durch die Hitze und den Qualm der Brände, und töteten alles, was sich bewegte und nicht zu ihnen gehörte. Stählerne Engel, blutbespritzt, die den Zorn ihres kybernetischen Gottes verbreiteten. Sie kannten weder Gnade noch Zögern und stiegen ungerührt über die Toten und die Sterbenden, um die zu jagen, die noch auf den Beinen waren. Sie töteten mit Schußwaffen und Schwertern und ihrer überlegenen Körperkraft. Die Überlebenden würden umgewandelt werden und die Toten ausgeschlachtet, um Rohmaterial zu erhalten. Nichts würde vergeudet werden, sobald sie den Planeten erst beherrschten. Menschen sollten zu Hadenmännern werden. Nichts sonst war von Bedeutung.
Die Aufnahmen waren oft kurz und verwackelt, stammten von flüchtenden Kameraleuten, die lange genug zu überleben versuchten, um ihre Bilder ans Imperium zu übermitteln. Sie waren inzwischen alle tot, und nur ihre Testamente verblieben.
Und die Szenen, die sie gesendet hatten, erzeugten Zorn im ganzen Imperium und Entschlossenheit, die Hadenmänner aufzuhalten und zurückzuschlagen, koste es, was es wolle. Und schließlich nahm man Vergeltung für Brahmin II.
Owen runzelte die Stirn, als das letzte Band ablief und der Bildschirm leer wurde. »Das meiste habe ich schon gekannt.
Als ich Recherchen für eine Arbeit durchführte, in meiner Zeit als Historiker. Aber alles noch mal am Stück zu sehen… Was ist letztlich aus Brahmin II geworden?«
»Als die Hadenmänner einsahen, daß sie den Krieg verloren und keine andere Wahl mehr hatten, als den Planeten aufzugeben, warteten sie noch lange genug, um jeden zu töten, den sie noch nicht umgewandelt hatten. Jeden, den sie finden konnten. Als endlich imperiale Truppen landeten, fanden sie nur noch haufenweise Leichen auf den Straßen und bloß eine Handvoll Überlebende – Frauen und Kinder, die sich versteckt hatten und übersehen worden waren. Von einer Kolonie mit Millionen Einwohnern blieben nur dreiundachtzig Personen.
Die meisten davon völlig wahnsinnig durch das, was sie erlebt hatten. Das ist passiert, als die Hadenmänner Brahmin II zum ersten Mal angriffen.«
»Lieber Gott, Hazel!« sagte Owen. »Was habe ich getan?
Was habe ich auf das Imperium losgelassen?«
»Wir kannten das Risiko«, versetzte Hazel. »Immerhin bestand die Chance, daß sich die Hadenmänner geändert hatten.
Daß sie etwas aus der Niederlage gelernt hatten. Jeder hat eine Chance auf Sühne verdient, sogar Hadenmänner, nicht wahr?«
»Womöglich haben wir die Schlacht nur gewonnen, um anschließend den Krieg zu verlieren«, überlegte Owen. »Falls es uns nicht gelingt, dem neuen Kreuzzug der Hadenmänner gleich hier Einhalt zu gebieten.«
»Jetzt mal langsam! Wir wollen den neuen Kreuzzug der Genetischen Kirche stoppen und eine ganze verdammte Armee aufgerüsteter Menschen? Nur du und ich?«
»Sicher«, bekräftigte Owen. »Wir sind unbezwingbare Helden, erinnert Ihr Euch? Ihr habt selbst den Film gesehen.«
»Ich habe schon in Werbespots von Geldverleihern mehr Realismus erlebt«, erklärte Hazel rundweg und seufzte dann schwer. »In Ordnung, erkläre mir deinen Plan. Sag mir zumindest, daß du einen Plan hast.«
»Ich versuche schon auf dem ganzen Weg hierher, mir einen auszudenken«, räumte Owen ein. »Bislang ohne Erfolg. Ich denke, ein frontales Vorgehen wäre vielleicht das beste. Einfach in die Hauptstadt hineinspazieren und den zu sprechen verlangen, der dort das Kommando führt. Sie behaupten, mich als ihren Erlöser zu verehren, da ich ihre Gruft geöffnet und sie ins Leben zurückgeholt habe. Vielleicht kann ich dieses Ansehen gegen ihren Bedarf an diesem Planeten eintauschen. Mich selbst anstelle der Kolonisten anbieten. Oder zumindest für so viele Kolonisten, wie ein Erlöser wert ist.«