»Komm schon, Owen, für eine Besichtigung ist später noch Zeit!« Hazel war ungeduldig wie immer. »Brahmin City liegt gleich hinter dem Grat dort am Horizont. Über eine Stunde Fußmarsch.«
Owen musterte sie argwöhnisch. »Ihr sagtet, Ihr wüßtet einen Weg in die Stadt, den die Hadenmänner wahrscheinlich nicht entdeckt haben. Seid Ihr inzwischen bereit, darüber zu diskutieren?«
»Na ja«, sagte Hazel, ohne seinen Blick zu erwidern. »Es ist schon ein Weg, der hineinführt, aber er wird dir nicht gefallen.«
»Bislang habe ich an diesem Planeten überhaupt noch nichts entdeckt, was mir gefallen hätte. Was stimmt nicht mit dem Weg?«
»Er führt durch… die Kanalisation.«
»Natürlich«, sagte Owen. »Das war ja zu erwarten. Wie habt Ihr davon erfahren?«
»Ich habe für den städtischen Sicherheitsdienst gearbeitet.
Der Wiederaufbau der Kolonie lief schließlich auf vollen Touren, und überall wuchsen neue Städte empor, aber die Kosten sprengten den Etat – womit ich sagen will, sie lagen deutlich darüber. Also hat man einen ganzen Haufen Sicherheitsleute mit häßlicher, argwöhnischer Gesinnung angeworben, um herauszufinden, wohin das ganze Geld floß. Hörte sich nach einem interessanten Job an, als ich ihn übernahm, aber dann war es meist Papierkram und Zeit am Rechner. Ich habe es aber schließlich herausgefunden. Ich knackte Dateien, von denen ich eigentlich nichts erfahren sollte, und entdeckte solide Beweise, daß einige führende Bauunternehmer gemeinsam mit einer führenden Gewerkschaft einen Schwindel durchzogen.
Die Unternehmer setzten Überstunden an, die dann nicht geleistet wurden, und die Unternehmer und die Gewerkschaftsbosse teilten sich den Gewinn. Keiner der armen Schweine, die auf dem Bau schufteten, hat natürlich jemals was von der Knete gesehen.
Gerade als ich soweit war, den bösen Jungs Saures zu geben, verpfiff mich jemand, und die Unternehmer und Bosse schnappten sich ihre Profite und machten sich aus dem Staub.
Ich setzte ihnen durch die ganze Stadt und dann durch die Abwasserkanäle hinaus nach, bis zu der Stelle, wo ein Schiff auf sie wartete. Bei jemand anderem hätten sie es vielleicht geschafft, aber nach der ganzen Rennerei war ich in mieser Stimmung. Aber, man sollte es kaum glauben, nach all der harten Arbeit gönnten mir die Stadtväter nur einen mageren Bonus von hundert Kredits pro Kopf, und ich mußte auch noch die Köpfe als Beweis vorlegen. Zum Glück hatte ich sie zur Hand… Worüber grinst du?«
»Es ist nur… Es fällt mir schwer, mir Euch als Vertreterin von Recht und Ordnung vorzustellen. Immerhin, ich wette, daß niemand bei Rot über die Ampel gegangen ist, solange Ihr in der Nähe wart.«
»Jedenfalls«, fuhr Hazel mit großer Würde fort, »wette ich gutes Geld darauf, daß die Hadenmänner nichts an der Kanalisation verändert haben, auch wenn sie im Hochbau ganz schön aktiv waren. Hadenmänner brauchen schließlich keine Toiletten, erinnerst du dich? Einer ihrer fremdartigsten Züge, wenn du mich fragst. Also steigen wir in die Kanalisation ein, folgen meinem früheren Weg und gucken hin und wieder ins Freie, um mal zu sehen, was so abläuft. Wenn wir verstohlen und schnell genug vorgehen, werden diese unmenschlichen Mistkerle nie etwas mitbekommen.«
»Ich weiß einfach, daß ich mir etwas Fürchterliches einfangen werde«, sagte Owen. »Aber es klingt nach einem Plan. Geht Ihr voraus, Hazel.«
Sie machten sich zu dem zerklüfteten Höhenzug auf, den sie am Horizont sahen, und bei jedem Schritt stiegen Wolken grauen Staubes auf. Beide husteten sie zunächst schmerzhaft, aber nach einer Weile improvisierten sie aus Taschentüchern Masken über Mund und Nase und erleichterten sich damit das Vorankommen. Owen hoffte inständig, daß Hazels Taschentuch sauberer war, als es aussah.
Sie schleppten sich in einer schwebenden Wolke aufgewirbelten Staubes durch die graue Landschaft. Die Schritte klangen unheimlich gedämpft. Nirgendwo bot die Umgebung charakteristische Merkmale, und der Höhenzug hockte dort vor ihnen und schien einfach nicht näherzukommen. Owen griff das Gespräch wieder auf, wenn auch durch das Taschentuch, nur um nicht vor Langeweile umzukommen.
»Falls ich mich korrekt erinnere«, sagte er so deutlich, wie er konnte, »habt Ihr gesagt, man hätte Euch aus dem Job hier gefeuert, und Ihr hättet Brahmin II etwas überstürzt verlassen müssen. Was ist schiefgegangen? Ich hätte eigentlich erwartet, daß man Euch die Schlüssel der Stadt aushändigte, nachdem Ihr einen solchen Betrug aufgedeckt hattet.«
»Hättest du das erwartet, ja?« versetzte Hazel, »Aber leider stellte sich heraus, daß die Mauscheleien in viel höhere Kreise reichten, als ich ahnte, und die fraglichen Leute sorgten für meine Entlassung, ehe ich Beweise gegen sie vorlegen konnte.
Sie haben mir überzogene Gewaltanwendung angehängt, mich gefeuert und vom Planeten gescheucht. Die Mistkerle.«
»Wenn also… die Stadtoberen noch leben, werden sie wohl nicht übermäßig erfreut sein, Euch zu sehen?«
Hazel schnaubte. »Sei nicht dumm! Falls sie noch leben, werden sie so verzweifelt auf Hilfe angewiesen sein, daß sie sogar Valentin Wolf und Kid Death willkommen heißen würden.«
»Ich verstehe, was Ihr meint. Geht lieber etwas schneller, Hazel. Dieser Höhenzug kommt einfach nicht näher, und es wird langsam Abend. Ich möchte vor Einbruch der Nacht wieder aus Brahmin City heraus sein. Ich entwickle so ein Gefühl, als wurde es hier ganz schön gruselig, wenn die Dunkelheit hereinbricht.«
»Jawohl«, bestätigte Hazel. »Müssen sich hier eine Menge Gespenster herumtreiben. Vielleicht können wir ihnen helfen, etwas mehr Ruhe zu finden.«
Endlich erreichten sie die Höhe und stiegen hinauf. Auf der anderen Seite lag Brahmin City in etwas, was wahrscheinlich einmal ein schönes Tal gewesen war, und die Silbertürme glänzten hell im anbrechenden Abend. Aus großer Entfernung drang das Geräusch endlos arbeitender Maschinen herüber – aus einer Stadt, die nicht mehr schlief. Owen und Hazel suchten sich vorsichtig einen Weg am Hang hinunter ins Tal, und Hazel führte Owen direkt zu den Öffnungen der Kanalisation, einer Reihe großer Metallrohre, die aus den Seiten von etwas ragten, was einmal ein grob ausgehobener Kanal gewesen war.
Kein Wasser floß dort mehr, aber der Geruch aus den Rohren erwies sich als immer noch recht übel. Hazel schritt vor den Öffnungen hin und her, und ihre Miene verfinsterte sich zusehends.
»Wo liegt das Problem?« fragte Owen nach einer Weile.
»Gönne mir eine Pause, Todtsteltzer. Ich versuche mich zu erinnern, welches Rohr welches ist. Ich war nur einmal hier, und das liegt Jahre zurück. Falls ich das falsche wähle, laufen wir hinterher womöglich im Kreis.«
»Wunderbar«, sagte Owen. »Oz, hast du eine Idee?«
»Natürlich«, gab die KI sofort Antwort. »Durch meine nach wie vor bestehende Verbindung habe ich Zugriff auf alle Unterlagen der Stadt, und dazu gehören umfassende Karten der gesamten Kanalisation. Ihr müßt die größte Öffnung ganz rechts nehmen. Folgt der Leitung, und sie führt euch direkt ins Hauptsystem mit Zugängen in der ganzen Stadt.«
Owen gab die Information an Hazel weiter, die widerstrebend nickte. »Klingt nach der richtigen Wahl. Okay, folge mir und bleibe mir dicht auf den Fersen!«
Sie zog sich in die breite Metallöffnung, blieb für einen Moment dort hocken und blickte forschend in die Dunkelheit. Die Leitung durchmaß nicht ganz zweieinhalb Meter, und die untere Seite war mit einem dicken schwarzen Rückstand überzogen. »Stinkt noch schlimmer als in meiner Erinnerung. Und ich möchte lieber nicht daran denken, worin ich hier stehe. Früher gab es eine Beleuchtung für das Wartungspersonal, aber ich sehe keine Schalter.«
»Gestatten«, sagte Oz, und plötzlich erstrahlte Licht an der Oberseite des Rohrs und erstreckte sich in die Ferne. Die kleinen grünen Kugeln verbreiteten ein unheimliches Licht, durchsetzt mit breiten Unterbrechungen aus Schatten und Dunkelheit.