»Es liegt an dir, Owen. Tue, was du tun mußt.«
Owen zog das eigene Schwert zurück, das Gesicht eine ausdruckslose Maske. Hazel spannte sich an. Und Owen schrie.
Der Laut platzte förmlich aus ihm heraus, ein Laut voller Schmerz und Grauen und Wut. Owen fiel vor Hazel auf die Knie, wobei er heftig zitterte, die Augen starr und weit aufgerissen. Hazel kniete sich ebenfalls hin, hielt seinen Blick fest, versuchte seinen Willen mit ihrer Präsenz zu stärken. Und Owen hob langsam das Schwert und hieb mit aller Kraft nach dem eigenen linken Handgelenk.
Das Blut spritzte in einem dicken Strahl hervor. Owen schrie erneut auf, diesmal mit ebensoviel Triumph wie Schmerz. Er drückte den linken Arm flach auf den Stahlboden, ignorierte die Zuckungen der goldenen Finger, schnitt glatt durch das Handgelenk und ein Stück in den Boden hinein. Die abgetrennte Hand rutschte weg. Die glänzenden Finger beugten und streckten sich weiter vergebens wie die Gliedmaßen einer großen goldenen Spinne. Owen schüttelte sich vor Schmerz und Schock und knirschte mit den Zähnen, während er ein Grinsen zeigte wie ein Totenschädel. Er wußte, daß der Kampf noch nicht vorbei war.
Er tastete mit den Gedanken nach innen und konzentrierte sich auf die goldenen Fäden, mit denen er immer noch infiziert war. Er spürte sie, wie sie ihm weiterhin die Steuerung des eigenen Körpers zu verwehren trachteten. Er packte sie kräftig mit der Willenskraft und zwängte sie hinaus. Und einer nach dem anderen platzten goldene, sich schlängelnde Stränge aus dem blutigen Armstumpf hervor und fielen nutzlos zu Boden.
Owen lachte heiser, ein schrecklicher Laut voller Agonie und Siegesfreude. Endlich hatte er den letzten Faden hinausgedrückt, ließ das Schwert fallen und packte das linke Handgelenk mit der Rechten. Er drückte fest zu, wie er es schon einmal auf Haden hatte tun müssen, und das hervorschießende Blut schwächte sich zu einem Rinnsal ab. Owen konzentrierte sich angestrengt, bot alle Willenskraft auf, schickte sie in den Armstumpf und grinste triumphierend, als ihm eine neue linke Hand wuchs.
Er setzte sich auf den Boden und zitterte noch vor lauter Anstrengung. Er hielt die neue Hand hoch. Sie sah bis ins letzte Detail wie eine ganz normale Menschenhand aus und fühlte sich warm und lebendig und ihm zugehörig an, wie es die goldene Hand nie getan hatte. Er beugte die Finger, bewunderte ihre Geschmeidigkeit. Und dann sah er Hazel an, die ihm gegenüber kniete und den Mund aufsperrte. Er lächelte sie entspannt an.
»Ihr hattet recht wie immer, Hazel. Nicht zum ersten Mal schulde ich Euch Leben und Freiheit.«
»Ich habe schon miterlebt, wie du erstaunliche Sachen angestellt hast, Owen, aber das war bislang das beste. Ich bin wirklich beeindruckt.«
»Wir können uns später noch gegenseitig beeindrucken«, sagte Owen. »Wir müssen uns erst noch einen Fluchtweg freikämpfen.«
Hazel lächelte. »Nachdem, was wir gerade durchgestanden habe, dürfte das die leichtere Übung werden.«
Sie rappelten sich auf und stellten sich Seite an Seite Mond entgegen, Pistolen und Schwerter gezückt. Der Hadenmann schien für einen Moment sowohl um Wort als auch Tat verlegen. »Hazel hatte recht«, sagte er schließlich. »Das war wirklich sehr eindrucksvoll. Sogar Regenerationstanks benötigen Monate für das Neuwachstum abgetrennter Gliedmaßen. Aber letztlich ist es nur eine weitere Eurer Fähigkeiten, die wir uns zwingend aneignen müssen. Ihr müßt kapitulieren. Ihr habt keine Hoffnung auf den Sieg.«
»Zur Hölle damit!« entgegnete Hazel. »Wir haben schon früher gegen ganze Armeen gekämpft. Wir sind immer noch da, die Armeen hingegen meist nicht mehr. Laßt sie nur aufmarschieren, Mond!«
»Mangelndes Selbstvertrauen war nie eines Eurer Probleme«, räumte Mond ein. »Ich habe jedoch noch eine oder zwei Karten im Ärmel.« Er deutete auf Bonnie und Mitternacht, die immer noch von Hadenmännern festgehalten wurden. »Entweder ergebt Ihr Euch, oder wir töten Eure Freundinnen.«
»Sicher«, sagte Mitternachtsblau.
»Klar doch«, sagte Bonnie Chaos.
Und Mitternacht verschwand einfach. Luft stürzte in den Raum, den sie eben noch eingenommen hatte. Einen Augenblick später erschien sie auf der anderen Seite des Raums, die Streitaxt in der Hand. Sie schwang sie beidhändig und trennte dem ihr nächststehenden Hadenmann den Kopf ab. Sie teleportierte gleich weiter kreuz und quer durch den Raum und enthauptete ein weiteres Dutzend Hadenmänner, ehe auch nur einer auf ihr Auftauchen reagieren konnte.
Und Bonnie war auf einmal nur noch verschwommen zu sehen und entwand sich geschmeidig dem Griff der Hadenmänner. Scharfe Klingen schossen plötzlich aus getarnten Scheiden an Händen und Ellbogen hervor, und Bonnie schnitt mit bösartiger Geschicklichkeit durch die Hadenmänner, die sie festgehalten hatten. Sie stürzten rücklings zu Boden und verstreuten dabei Körperteile. Bonnie lächelte ihr Spitzzahnlächeln und zog das Schwert. Mitternacht teleportierte herbei, um ihr den Rücken zu decken, und gemeinsam gingen sie in Kampfstellung.
»Eben hast du mich bei einem Nickerchen erwischt«, erklärte Bonnie Mond. »Ich dachte mir einfach, ich erwidere den Gefallen.«
»Gib nur das Zeichen, Owen«, sagte Mitternacht, »und wir reduzieren diese metallenen Mistkerle auf ihre Bestandteile.«
»Klingt gut«, fand Owen. Er sah Mond an. »Uns ist egal, wie viele von Euch hier sind. Sollen sie nur kommen. Sollen sie ruhig alle kommen.«
»Richtig«, bestätigte Hazel. »Dieser Wahnsinn hört hier und jetzt auf. Keine Tests mehr. Keine Schmerzen mehr. Kein Tod mehr.«
»Ihr dürft nicht gegen uns kämpfen«, sagte Mond, aber zum ersten Mal klang seine summende Stimme unsicher. »Das ist nicht erforderlich.«
»Doch, ist es«, sagte Owen. »Wir werden uns niemals ergeben, und wir sterben lieber, als in Hadenmänner umgewandelt zu werden.«
»Das ist… unlogisch.«
»Stimmt, aber es ist sehr menschlich. Verdammt, Mond, denkt nach! Erinnert Euch! Erinnert Euch daran, wie Ihr früher wart. Der Tobias Mond, den ich kannte, hätte an unserer Seite gekämpft, um diesem Grauen Einhalt zu gebieten.«
»Das liegt lange zurück«, sagte Mond.
»Nein, tut es nicht«, behauptete Owen. »Es war gestern.«
Und er griff mit seinen Gedanken hinaus und versuchte, die alte geistige Verbindung wiederherzustellen, die alle Überlebenden aus dem Labyrinth des Wahnsinns miteinander verbunden hatte. Er spürte Hazel neben sich stehen, stark und selbstsicher und treu, und ihrer beider Gedanken fügten sich perfekt ineinander wie zwei Stücke eines Puzzles. Bonnie Chaos und Mitternachtsblau waren auch da und unterstützten sie beide, wobei sie wie fremdartige Echos von Hazel wirkten. Gemeinsam weiteten sie die Verbindung auf Mond aus, stießen die Barriere weg, die die Hadenmänner mit ihrer Technik zwischen ihnen aufgebaut hatten, und verbanden sich mit dem alten Tobias Mond. Und er wachte auf.
Die vier Menschen stürzten in die eigenen Leiber zurück und betrachteten Mond forschend. Er atmete schwer und schüttelte den Kopf. Die übrigen aufgerüsteten Menschen wichen vor ihm zurück und bedachten ihn mit Blicken, als wäre er die Quelle einer Ansteckung. Endlich wandte sich Mond zu Owen um.