Überall im Zimmer verstreut waren hochtechnische Spielsachen, einige davon noch gar nicht richtig ausgepackt. Jede arbeitssparende Apparatur, jede neueste Annehmlichkeit und überteuerte Modemasche hatte sich bei Ruby eingeschmeichelt, nur um gleich nach dem Eintreffen vergessen oder zur Seite gelegt zu werden. Ruby bedeutete es alles, Dinge ihr eigen zu nennen. Sie warf nie etwas weg, zum Teil, weil sie nichts davon hielt, Dinge aufzugeben, die ihr gehörten, zum Teil, weil man nie genau wußte, wann man etwas doch gebrauchen konnte.
Der solide Couchtisch aus Hartholz, der genau in der Zimmermitte stand, war überhäuft mit Modemagazinen, den letzten drei Ausgaben von Welche Waffe nehme ich? und nicht weniger als vier offenen Pralinenschachteln, aus denen alle Pralinen mit Kaffeesahne fehlten. Jakob musterte die Leckereien sehnsüchtig, war aber nicht bereit, der Versuchung nachzugeben.
Dank des Labyrinths änderte sich sein Gewicht nie auch nur um eine Unze, egal wieviel er verspeiste – aber er wußte, falls er erst mal loslegte, hätte er nicht wieder aufgehört, bis die letzte Schachtel leer war. Es hätte Ruby zwar nichts ausgemacht, aber sie hätte ihn zweifellos mit einem dieser wissenden Blicke bedacht, die sie draufhatte, und das war ihm zuwider.
Die massive Bar sah er nicht mal an. Stolz stellte sie jede Art von Alkohol, Darmfäule und plötzlichem Tod in Flaschen zur Schau, die Mensch oder Fremdwesen bekannt war. Das Labyrinth hatte Jakob gegen alle Vergiftungserscheinungen immunisiert, Kater inklusive, aber er war schon immer der Überzeugung gewesen, daß man unter seinen Ausschweifungen auch leiden sollte. Daran erkannte man ja, daß es Ausschweifungen waren.
Ein Sessel summte einladend, als er vorüberging, und er versetzte ihm einen kräftigen Tritt, damit das Ding wieder Ruhe gab. Wenigstens hatte Ruby ihre kleine Armee aus Dienern und den Kometenschweif aus Anhängern hinausgeworfen. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung hatte Jakob Ruby nicht mal mehr sehen können, ohne einen Termin zu vereinbaren oder damit zu drohen, daß er etliche Leute erschoß. Aber Ruby wurde der Leute, die sie umschwärmten, und der Diener bald überdrüssig und warf sie alle eines denkwürdigen Nachmittags, über den die Nachbarn noch heute redeten, hinaus. Wie sich herausstellte, hatten etliche dieser Hausgeister versucht, ihre Stories vom Leben mit Ruby an die Medien zu verhökern. Einer hatte verdrossen darauf reagiert, daß sie ihn mit Tritten aus dem Schlafzimmer beförderte, und sie zu erstechen versucht. Teile seiner Leiche tauchten noch Wochen später aus der Kanalisation auf.
Jakob seufzte, blieb endlich stehen und starrte ins Leere. Er war müde. Und er war es satt, müde zu sein. Seit Wochen schon arbeitete er den ganzen Tag lang bis spät in den Abend, in dem Bemühen, seinen Traum von der Demokratie lebendig zu halten und sich vom Krieger zum Diplomaten zu entwickeln. Das Parlament hatte viele Feinde, und wenn diese gerade nicht bestrebt waren, es zu unterminieren oder zu diskreditieren, dann schienen es die Abgeordneten zufrieden, die ganze Institution selbst in den Abgrund zu manövrieren. Nach so langer Zeit als Aushängeschild war die echte Macht einigen Abgeordneten zu Kopfe gestiegen, selbst wenn sie gar nicht so recht wußten, was sie damit anfangen sollten. Neue Parteien bildeten sich jeden Tag auf der Grundlage irgendeiner Kernüberzeugung oder eines Persönlichkeitskultes. In den Nachrichtenmagazinen wimmelte es von Schwatzbolden, die für Wählerstimmen einfach alles versprachen, bis hin zur Wiederkunft Christi, und Plakatklebekolonnen trugen in den frühen Morgenstunden brutale Gefechte auf den Straßen aus.
Jakob fand sich vor einem von mehreren mannshohen Spiegeln wieder, die an den Wänden hingen, und betrachtete sich ernst. Er wirkte jung und fit, auf dem Höhepunkt der körperlichen Verfassung. Er hatte alle seine Feinde überwunden und den Sturz der alten Ordnung miterlebt. Löwenstein war dahin, die Familien waren tödlich geschwächt. Er hätte das Gefühl haben müssen, unüberwindlich zu sein. Warum war er dann so verdammt müde? Zum Teil, weil er so viel allein tun mußte.
Owen und Hazel waren immer unterwegs, auf eigenen Einsätzen, und Ruby zeigte sich an Politik desinteressiert. In letzter Zeit auch an allem anderen. Der Reiz des gewaltigen Reichtums war rasch geschwunden, sehr zu Rubys Erstaunen. Wann man alles haben kann, hat kaum noch etwas Wert. In jüngster Zeit schien Ruby die meiste Zeit mit Schlafen oder Trinken zu verbringen oder damit, Schlägereien an Örtlichkeiten vom Zaun zu brechen, wo man sie noch nicht kannte. Sie bemühte sich um einen Auftritt in der Arena, aber niemand wollte sich ihr entgegenstellen. Sogar die Fremdwesen wurden lieber krank, als sich Ruby Reise zu stellen, darunter auch einige, die man bis dahin gar nicht als intelligent erkannt hatte.
Jakob vermutete, daß er dankbar hätte sein sollen, weil wenigstens er noch einen Sinn im Leben sah. Selbst wenn es einer war, den er sich nie freiwillig ausgesucht hätte. Die neue Demokratie durch ihre Geburtswehen zu hätscheln, das war eine harte und bittere Arbeit und eine, die Illusionen zerstörte. Er war früher immer vage davon ausgegangen, die Demokratie würde sich wie eine Flutwelle über das Imperium ausbreiten und den überlebten Unfug der Aristokratie und der Privilegien wegspülen, und die Leute würden freudig vortreten, um die Bürde der Macht und Verantwortung zu schultern. Er hätte es besser wissen müssen.
Das Spiegelbild erwiderte seinen Blick fragend. Schließlich gab es viel, wofür er dankbar sein konnte. Er war wieder jung geworden, als das Labyrinth des Wahnsinns seine Lebensuhr auf die frühen Zwanziger zurückdrehte. Er war stärker, schneller und fitter als je zuvor. Wurde von vielen als einer der größten Krieger des gegenwärtigen Zeitalters anerkannt. Warum kam er sich dann so verdammt alt vor?
Er drehte dem Spiegelbild den Rücken zu und sah sich in der Luxuswohnung um, wobei er sich bemühte, es mit den Augen seines alten, des früheren Ichs zu sehen, des legendären Berufsrebellen. Das war keine Bleibe, in der er je zu landen erwartet hatte. Den größten Teil seines Lebens hatte er in armseligen und vorübergehenden Unterkünften auf dem einen oder anderen unterdrückten Planeten zugebracht, um sich vor neugierigen Augen oder potentiellen Verrätern zu verstecken. Damals war es ihm egal gewesen. Nur die Sache hatte gezählt. Er hatte kein Recht, entspannt im Luxus zu leben, solange so viele sich in Armut plagten.
Natürlich waren solche Gefühle recht leicht entstanden, als er noch jung und fit war und jede zweite Nacht eine andere Kampfgefährtin mit Sternen in den Augen auf die Matte zog.
Während er dann älter wurde und seine Fehlschläge immer stärker an ihm nagten, fiel es ihm zunehmend schwer, dem Weg des Rebellen zu folgen. So viele Freunde waren tot, so viele Hoffnungen auf so vielen Planeten waren geweckt worden, nur um von den überlegenen Streitkräften des Imperiums wieder erstickt zu werden. Jakob entkam stets, hinterließ aber tote Armeen. Er empfand es fast als Erleichterung, als er schließlich auf Eisfels verraten und festgenommen wurde. Die Last der eigenen Legende war zu schwer geworden, um sie überhaupt noch tragen zu können, und nachdem seine Leute ihn endlich befreit hatten, verschwand er mit schlichter Dankbarkeit auf Nebelwelt, wo er als Hausmeister unter dem Namen Jobe Eisenhand arbeitete. Es fühlte sich so gut an, daß nicht von jeder Entscheidung so viele Menschenleben abhingen!
Seine Lebensumstände blieben allerdings verdammt einfach.
Und dann tauchte natürlich der verdammte Owen Todtsteltzer aus dem Nichts auf, um ihn zu Pflicht und Bestimmung zurückzurufen. Das Labyrinth des Wahnsinns baute ihn später gar völlig um, und die Rebellion kam und ging so schnell, daß er es kaum glauben konnte. Und er blieb mit dem ernüchternden Effekt zurück, alle seine Träume wahr geworden zu sehen.