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Das Problem war entstanden, als das Imperium schließlich stürzte und alle von Finlay erwarteten, er würde ganz plötzlich wieder normal werden. Er hätte ihnen sagen können, daß es so nicht funktionierte. Man konnte nicht all das durchmachen, was er durchgemacht hatte, all das verlieren, was er verloren hatte, und schließlich trotzdem als ganz vernünftiger Kopf daraus hervorgehen. Das einzige, was ihn einigermaßen stabil hielt, waren die Liebe zu Evangeline und die Freundschaft mit Julian Skye. Sie waren seine Anker. Sie hielten ihn… im Gleichgewicht. Ohne sie hätte er nur sich selbst gehabt, und er wußte nicht mehr, wer das war. Er hatte seinerzeit viele Persönlichkeiten zur Schau gestellt. Den Gecken und Fatzken. Den Maskierten Gladiator. Den Kämpfer der Rebellen. Den Attentäter der Untergrundbewegung. Evies Liebsten. Jetzt lärmten all diese Stimmen in seinem Kopf durcheinander, und er fühlte sich in diesem Wirrwarr verloren.

Er sehnte sich nach Aktivität. Nach dem Kitzel des Kampfes.

Damals war alles so einfach gewesen. In solchen Situationen wußte man, woran man war. Keine Grautöne. Keine Politik.

Nichts, was einen zurückhielt. Es einfach tun oder scheitern.

Siegen oder verlieren. Leben oder sterben. Und oh, der blutrote Rausch, das Hämmern des Herzens in der Brust, die Freude darüber, der Beste zu sein… oh, der Kitzel all dessen! Der wunderbare Augenblick des Mordens. Nichts glich dem ganz.

Wie eine grenzenlos befriedigende, grenzenlos suchterzeugende Droge. Vielleicht hatte er mehr mit Valentin Wolf gemeinsam, als er dachte.

Finlay runzelte die Stirn und zwang sich, an etwas anderes zu denken, an die vorangegangenen Erlebnisse des Tages, Er hatte seine ihm extrem entfremdete Gattin Adrienne und ihre beiden Kinder besucht. Er wußte immer noch nicht recht, was ihn dazu getrieben hatte. Vielleicht, daß sie der einzige Inhalt seiner Vergangenheit waren, der unberührt blieb von dem, was er heute verkörperte. Finlay schloß die Augen und ließ die Gedanken zurückwandern.

Adrienne öffnete die Tür schon, ehe er richtig mit dem Anklopfen fertig war, als hätte sie ihn schon seit geraumer Zeit erwartet. Wie es sich traf, war er vollkommen pünktlich, aber Adrienne ließ sich von Tatsachen niemals darin behindern, einen guten Streit auszutragen. Er verneigte sich förmlich vor ihr, und sie reagierte mit einem spöttischen Lächeln. Finlay trat vor, und Adrienne wich gerade so weit zurück, daß er hereinkommen konnte.

»Tritt die Schuhe auf der Matte ab, verdammt! Du bist hier nicht zu Hause.«

Finlay nickte ruhig und verpaßte seinen Schuhen eine ordentliche Abreibung auf der Matte. Er gab sich Mühe, einen guten Eindruck zu machen und niemanden umzubringen, wenn es nicht unbedingt erforderlich war. Vage fragte er sich, ob er noch rechtzeitig vor dem Aufbruch daran gedacht hatte, die Schuhe zu polieren. Er vergaß solche Dinge leicht, wenn Evie ihn nicht daran erinnerte. Das Problem, wenn man von Dienstpersonal großgezogen wurde… Er lächelte Adrienne an und setzte sich die Nasenkneiferbrille auf die Nasenspitze.

»Oh, nimm das Ding weg, Finlay«, verlangte Adrienne gereizt. »Du weißt genau, daß mit deinen Augen alles in Ordnung ist.«

»Die Brille dient Schau- und nicht Nutzzwecken«, erläuterte Finlay auf die geduldige und vernünftige Art, von der er genau wußte, daß sie Adrienne zum Wahnsinn trieb. »Sie gehören zur Aufmachung. Aber für Stilfragen hattest du noch nie Verständnis, nicht wahr?«

»Insoweit sie dazu führen, solche Sachen anzuziehen, nein.

Ich habe schon Regenbogen gesehen, die farblich dahinter zurückstehen. Tatsächlich denke ich, daß ich noch nie zuvor so viele Farben auf einem Haufen gesehen habe. Was ist passiert?

Konntest du dich nicht auf eine Farbe einigen und hast dir lieber alle auf einmal angezogen?«

»Etwas in der Art.« Früher hätte er sich, nur um sie zu ärgern, präzise zu der Frage geäußert, warum er diese Überhose und spitzen Schuhe zu genau diesem Cutaway-Gehrock ausgesucht hatte, und warum es so wichtig war, dieses Ensemble durch die richtige Weste zu ergänzen. Noch war er jedoch darauf bedacht, sich von der besten Seite zu zeigen, und ließ die Gelegenheit verstreichen. »Du trägst immer noch schlichtes Schwarz, Addie? Es steht dir. Bringt die Färbung des Herzens zur Geltung.«

»Es steht für meine Vorfreude auf ein Begräbnis. Deines.«

Sie lächelten einander an, nachdem so Gleichstand herrschte.

Finlay blickte betont auffällig durch den schmalen Korridor.

»Wo sind die Kinder, Addie? Ihretwegen bin ich schließlich gekommen.« Adrienne machte ein böses Gesicht. »Sie sind natürlich im

Salon, tragen ihre besten Sachen und zeigen ihr bestes Verhalten, falls sie wissen, was gut für sie ist. Und ich wünschte wirklich, du würdest sie nicht einfach nur als ›die Kinder‹ bezeichnen. Sie haben schließlich Namen, weißt du?«

»Ja, ich weiß. Troilus und Cressida. Du hast sie ausgesucht.

Wie alt sind sie?«

»Troilus ist acht und sieht dir sehr ähnlich. Cressida ist sieben. Gott sei dank schlägt sie mehr nach mir. Du solltest ihr Alter eigentlich kennen: Ich habe dich anläßlich ihrer Geburtstage stets darauf aufmerksam gemacht. Obwohl es immer darauf hinauslief, daß ich die Geschenke selbst kaufen und dann so tun mußte, als kämen sie von dir.«

»Mein Leben war immer sehr ausgefüllt«, sagte Finlay und merkte noch, während er es aussprach, daß es ganz nach einer Ausrede klang. »Und lange gab es für niemanden außer mich selbst einen Platz darin. Aber ich denke gern, daß ich mich seitdem verändert habe. Als Evangeline in mein Leben trat, erweckte sie Dinge in mir, von deren Vorhandensein ich zuvor nicht einmal etwas geahnt hatte. Sie half mir… menschlicher zu werden. Ein Mann zu sein wie andere Männer, nicht nur eine Killermaschine, die zwischen Auftritten in der Arena als Schlafwandler durchs Leben ging. Ich bin nicht mehr der Mann von früher, Addie. Ich habe mich so sehr bemüht, das alles hinter mir zu lassen.«

»Nette Ansprache«, fand Adrienne. »Du mußt sie Ewigkeiten lang geprobt haben.«

»Oh, stundenlang«, bestätigte Finlay. »Aber deshalb ist sie nicht weniger zutreffend. Ist es denn so seltsam, daß sich ein Mann wünscht, seine Kinder zu sehen? Seinen Anteil an der Zukunft? Das einzige, was von ihm bleibt, sobald er von dieser Welt gegangen ist?«

»Ich weiß nicht«, sagte Adrienne, die von der Ernsthaftigkeit seines Tons bewegt war, aber entschlossen blieb, es nicht zu zeigen. »Es klingt gar nicht nach dir, Finlay. Es ist eine Verbesserung, aber sie klingt nicht nach dir. Früher hast du einen Dreck auf sie gegeben. Falls die Kinder auf einmal so wichtig sind, warum zieht ihr, du und Evangeline, nicht selbst welche groß?«

»Wir haben darüber gesprochen«, sagte Finlay. »Das Problem ist, Zeit dafür zu finden. Wir sind heutzutage beide sehr beschäftigt.«

»Falls es euch wichtig genug wäre, würdet ihr euch die Zeit nehmen. Ich habe es getan. Ach verdammt, komm jetzt. Bringen wir es hinter uns. Sie waren beide schon den ganzen Tag übertrieben aufgeregt, als sie sich darauf vorbereiteten, dich zu sehen. Gib dir um Gottes willen Mühe, sie nicht zu erschrecken! Sie kennen dich nur aus den Nachrichten, und das hatte meist etwas damit zu tun, daß du Leute umgebracht hast.«