Sie spürte es richtig. Sie blickte sich rasch um, auf einmal überzeugt davon, daß jemand gerade ins Zimmer gekommen war; die Tür war jedoch geschlossen, und sie war allein. Plötzlich schauderte ihr. Es wurde eiskalt. Dianas Atem dampfte in der Luft. Rauhreif bildete sich auf der Lektronenanlage. Ein Druckgefühl lag in der Luft, als wäre etwas unmöglich Großes im Anmarsch, zwängte sich durch Dimensionsbarrieren und rüttelte an den Fenstern der Wirklichkeit. Es war jetzt ganz nahe und suchte nach einem Weg, der es endgültig hereinführte. Diana sprang auf und beförderte den Stuhl mit einem Tritt weg, damit sie mehr Freiraum erhielt. Sie zog die eigene Macht um sich wie einen Mantel, was sie allerdings nicht davor verschonte, daß die Zähne klapperten und die Hände zitterten. Sie machte sich nicht die Mühe, um Hilfe zu rufen. Sie wußte, daß niemandem gestattet sein würde, sie zu hören. Sie wußte, was auf sie zukam.
Jeder Bestandteil der Lektronenanlage im Zimmer richtete sich auf und nahm eine neue Form an. Metall und Plastik rissen auf und machten Buckel, spalteten sich und bildeten sich neu rings um die Gestalt, die sich selbst erzeugte, indem sie die Technik transformierte. Eine Art menschliche Gestalt entstand und ragte hoch über Diana auf – ein breiter, klotziger Körper mit zwei unterschiedlich langen Armen, die in Metallklauen ausliefen. Die Augen bestanden aus Monitorglas, und ein Riß im Metall diente als Lächeln. Statik umprasselte den Kopf wie ein zersplitterter Heiligenschein.
Die Mater Mundi hatte einen neuen Weg gefunden, um sich zu manifestieren.
»Hallo«, sagte Diana und bemühte sich, das Zähneklappern zu beherrschen. »Schön, daß Ihr mal hereinschneit.«
Du hast Fragen gestellt, sagte eine Stimme in ihren Gedanken, die nach knirschenden Zähnen klang, nach zischenden Leitungen, nach weinenden Kindern. Du mußt damit aufhören.
»Dann haltet mich auf«, sagte Diana. »Falls Ihr könnt.«
Ich werde es tun, wenn es sein muß. Verwechsle meine Nachsicht nicht mit Schwäche.
»Quatsch! Wärt Ihr in der Lage, etwas zu unternehmen, hättet Ihr es inzwischen längst getan. Ihr könnt jedoch nicht. Ihr habt aus mir so viel mehr gemacht, als ich früher war, und seid jetzt nicht mehr fähig, es wieder zurückzunehmen. Das Äußerste, was Ihr zustande bringt, ist dieser Metallgolem, der mich einschüchtern soll. Ich habe in Kindertagesstätten schon Servierwagen gesehen, die beängstigender wirkten.«
Ich kann dich zerbrechen, mein Kind.
Und Diana fand sich in der Hölle des Wurmwächters wieder, nackt in der Dunkelheit, wo sie durch ihre eigene Pisse und Scheiße und ihr Erbrochenes kroch, wahrend der Wurmwächter scheußliche, sadistische Spiele in ihren Gedanken anstellte, sie immer wieder folterte, bis sie durch fortwährendes Schreien die eigene Stimme ruinierte.
Nein! wehrte sich Diana. Verschwindet aus meinem Kopf, Ihr Miststück!
Und sie fand sich im Datenbankzimmer wieder, zitternd und bebend, den Geschmack kurz bevorstehenden Erbrechens im Mund. Sie funkelte das Metallkonstrukt an und dehnte die Lippen zu etwas, das ebenso Knurren wie Lächeln war. Der Zorn wärmte sie, trieb die Kälte hinaus. Und als sie sprach, war sie wieder Johana Wahn.
»Dieser Scheiß wird bei mir nicht funktionieren! Das gehört der Vergangenheit an. Ich bin jetzt stärker, als ich mir je erträumt hätte. Vielleicht stärker, als Ihr Euch je erträumt hättet.
Ihr könnt mich nicht aufhalten. Niemand kann mich aufhalten.
Ich werde heraus finden, wer und was Ihr seid und wo Ihr steckt, und dann sorge ich dafür, daß Ihr bezahlt für all die armen Schweine, deren Leben Ihr vernichtet habt!«
Ich tat, was nötig war. Ich tat, was du wolltest. Ich habe den Sieg der Rebellen möglich gemacht.
»Aus eigenen Motiven. Seht jetzt verdammt noch mal zu, daß Ihr von hier verschwindet, ehe ich auf die Probe stelle, wie stark Ihr mich gemacht habt!«
Um wieviel bissiger als eine Schlange ist doch ein undankbares Kind, das man großgezogen hat!
Die Präsenz verschwand plötzlich und nahm die Kälte mit.
Der Metallgolem war nur noch eine leere, verlassene Hülle.
Diana plumpste auf ihren Stuhl zurück. Eine von ihnen beiden hatte geblufft, aber sie wußte nicht recht wer. Anscheinend war sich auch die Mater Mundi dessen nicht sicher gewesen. Immerhin, überlegte Diana, mußte sie der Wahrheit allmählich näher kommen, wenn die Weltenmutter solche Mühen auf sich nahm, um sie abzuschrecken. Bei jedem anderen hätte es wahrscheinlich funktioniert. Diana betrachtete die Gestalt aus Metall und Plastik, die immer noch über ihr aufragte, und zitterte wieder. Jetzt, wo sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, fand sie das Erlebnis doch ganz schön furchteinflößend. Sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob andere Menschen die Gegenwart von Johana Wahn genauso empfanden.
»Verdammt!« sagte sie schließlich mit völlig ruhiger Stimme. »Wie soll ich dieses Durcheinander nur dem Hausvorsteher erklären?«
Kapitän Schwejksam führte seinen alten Freund und Gegner, den Mann, der Carrion hieß, durch die verstopften, glänzenden Korridore des Sternenkreuzers Unerschrocken. Es war lange her, seit Carrion zum letzten Mal an Bord eines Sternenschiffs gegangen war. Die letzten zwölf Jahre hatte er allein auf dem Planeten Unseeli gelebt, auch unter dem Namen Geisterwelt bekannt, und hatte nur die ruhelosen Geister der ermordeten, fremdartigen Ashrai zur Gesellschaft gehabt. Nach so viel tröstlicher Einsamkeit fühlte er sich nicht wohl in der Masse der geschäftigen Männer und Frauen, die den Sternenkreuzer bemannten. Besonders, da er wußte, daß die meisten ihn fröhlich umbringen würden, falls sie nur die Chance erhielten. Sie wandten die Köpfe ab, wenn er vorbeiging, und formulierten mit den Lippen lautlose Flüche und Obszönitäten. Er spürte, wie sich wütende Blicke in seinen Rücken brannten. Carrion hielt den Kopf hoch erhoben und ging neben Schwejksam her, als bemerkte er nichts und spürte nichts.
»Ein paar Dinge haben sich verändert, seid Ihr zuletzt auf einem Sternenkreuzer wart«, erzählte Schwejksam. »Allerdings nichts zu drastisch. In Eurern persönlichen Lektron findet Ihr eine Datei, die Euch auf den aktuellen Stand bringt. Aber Ihr solltet sie rasch studieren. Wir verlassen den Orbit in sechs Stunden.«
»Wozu die Eile?« fragte Carrion, die Stimme so ruhig und reglos wie immer. »Die Dunkelwüste geht nirgendwohin.«
»Aber was immer darin lauert, bleibt vielleicht nicht mehr lange dort. Ihr habt den Halben Mann gehört. Er nannte sie die Neugeschaffenen. Fremdwesen, die gestorben sind und sich selbst wieder zum Leben erweckt haben. Gruselig. Falls es stimmt.«
»Ihr zweifelt am Wort eines der größten Helden der Menschheit?«
»Falls der erste Halbe Mann ein falscher Vertreter und ein Lügner war, wer möchte dann sicher sein, daß der neue nicht ebenfalls einer ist? Aber wir können das Risiko nicht eingehen, das von etwas potentiell so Gefährlichem wie den Neugeschaffenen ausgeht. Jemand muß der Sache nachgehen, und mein Schiff und meine Besatzung haben mehr Erfahrung mit der Dunkelwüste als die meisten.«
»Die Idee der Neugeschaffenen ist nicht gänzlich neu. Ihr habt selbst den Befehl erteilt, die Ashrai zu vernichten, aber sie haben in gewisser Weise überlebt.«
Schwejksam brummte unverbindlich. »Sie sind Eure Gespenster. Haltet sie unter Kontrolle. Ich bringe Euch in Frosts alter Kabine unter. Da Ihr jetzt offiziell wieder ein Investigator seid, habt Ihr ohnehin ein Recht darauf.«
»Ich weiß, daß Ihr und Frost Euch nahestandet. Ich bedauere Euren Verlust.«
»Ihr habt sie nie gemocht. Sie stand für alles, was Euch am Imperium zuwider war.«