Der Sommer-Eiland hatte genau die richtige Idee gehabt.
Und genau wie der Sommer-Eiland, so besaß auch Giles einen versteckten Dolch. Er hatte Owen gegenüber nie davon gesprochen. Er hatte nie die Notwendigkeit gesehen. Und jetzt mußte er nur noch seinen Nachfahren möglichst dicht heran-locken und ihm den Dolch zwischen die Rippen schieben, während der Junge abgelenkt war. Ganz einfach. Owen würde nie erwarten, daß Giles den gleichen schmutzigen Trick anwenden würde wie Kid Death. Giles grinste.
Und so manövrierte er Owen vorsichtig in ein Corps à Corps und ließ ihn glauben, daß es seine eigene Idee gewesen war, und mit einemmal standen sich die beiden Männer über ihren gekreuzten Klingen Auge in Auge gegenüber, so nah, daß sie den hechelnden Atem des anderen heiß auf der Haut spüren konnten. Beide schoben mit aller Kraft, mit in den Boden ge-stemmten Beinen, und keiner wollte einen Schritt weichen.
Giles versuchte, mit seinem Blick die Aufmerksamkeit seines Nachfahren abzulenken, während er mit der freien Hand verstohlen nach dem Dolch griff. Er lächelte Owen an und stieß den Dolch nach oben, genau zwischen Owens Rippen… … und begegnete Owens goldener Hadenmann-Hand, die nach vorn gezuckt war, um den Dolch abzufangen. Die stählerne Klinge zerbrach an der goldenen Hand, und in diesem Augenblick erkannte Giles, daß Owen die ganze Zeit über nur auf einen solchen schmutzigen Trick seitens seines Vorfahren ge-lauert hatte. Er stolperte vor, verlor für einen Sekundenbruchteil das Gleichgewicht, und Owen stieß den Kopf mit aller Kraft in Giles’ Gesicht. Es gab ein knackendes Geräusch, als die Nase des ursprünglichen Todtsteltzers brach, und er taumelte blind vor Schmerz zurück. Blut strömte über seinen Mund. Und in diesem Augenblick der Konfusion war es für Owen die leichteste Sache der Welt, einen Schritt nach vorn zu tänzeln und seinen Vorfahren zu durchbohren.
Sekundenlang starrten sie sich über Owens ausgestrecktes Schwert hinweg in die Augen. Giles’ Finger wurden taub, und sein Schwert polterte zu Boden. Er blickte auf die Klinge hinunter, die in seiner Brust steckte, doch er wollte nicht fallen.
Owen fragte sich bereits, ob er dem Mann den Kopf abschlagen mußte, damit er endlich starb; doch dann knickten Giles’ Beine ein, und er fiel auf die Knie. Owen zog das Schwert heraus, und Giles kippt vornüber aufs Gesicht und lag still. Owen stand schwer atmend über seinem toten Vorfahren, und Hazel trat zu ihm und legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter.
»Jetzt bin ich der letzte«, sagte Owen. »Es gab immer nur Giles, David und mich, und jetzt bin ich der einzige, der noch übrig ist. Der letzte Todtsteltzer.«
»Wie äußerst rührend«, höhnte die Löwenstein auf ihrem Thron. Ihre Stimme klang brüchig, aber sie hatte sich noch unter Kontrolle. »So sehr Wir es auch genießen, Unseren Feinden dabei zuzusehen, wie sie sich vor Unseren Augen gegenseitig umbringen, so sehr denken Wir, daß es an der Zeit ist, diesem ganzen Unsinn ein Ende zu bereiten. Ist Euch eigentlich nie der Gedanke gekommen, daß Wir eine Situation wie diese vorhergesehen und entsprechende Vorkehrungen getroffen haben könnten? Wir haben eine Versicherung gegen Tage wie diesen, versteht Ihr? Eine kleine Kleinigkeit, die Wir beiseite geschafft haben… um genau zu sein, eine Planetenbombe, die tief im Erdmantel vergraben wurde, direkt neben der geother-mischen Spalte, die Unseren Palast mit Energie versorgt. Ja, Wir wissen, daß derartige Dinge seit Jahrhunderten geächtet sind, doch Wir haben Uns noch nie von derartigen Kleinigkeiten abschrecken lassen. Ein einfacher Aktivierungskode von Uns, und Golgatha zerplatzt zu einem Asteroidenhaufen. Und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, Ihr ergebt Euch bedingungslos, oder Wir werden diese kostbare Welt und Eure Rebellion mit Uns in die Hölle nehmen. Ihr habt die Wahl.
Was ist wichtiger, Euer Sieg oder die Milliarden von Menschen, die zusammen mit Uns sterben werden?«
Schwejksam blickte sie schockiert an.
»Ihr würdet doch nicht die Heimatwelt der Menschheit zerstören!«
Die Löwenstein grinste. »Bringt Uns in Versuchung!«
Ruby sah zu Jakob. »Was glaubst du? Blufft sie oder nicht?«
»Ich bezweifle es«, erwiderte Ohnesorg. »Immerhin gab einer ihrer Vorfahren den Befehl zum Einsatz des Dunkelzonen-748 Projektors. Sie ist verzweifelt und verrückt genug, um ihren Tod als Sieg zu betrachten. Wenn sie nicht mit den Spielsachen spielen darf, dann macht sie sie halt kaputt.«
»Sie blufft nur«, sagte Kid Death. »Wenn Ihr es nicht macht, töte ich sie.«
»Halt!« sagte Owen. »Wir müssen damit rechnen, daß die Bombe bei ihrem Tod hochgeht.«
»Wir gut Er Uns doch kennt«, höhnte die Löwenstein.
»Wir können nicht aufgeben«, sagte Hazel. »Nicht nach allem, was wir durchgemacht haben. Nicht, nachdem wir so dicht vor dem Ziel sind.«
»Und was schlägst du vor?« erkundigte sich Owen. »Wir kommen nicht an die Bombe heran, und wir dürfen auf keinen Fall zulassen, daß Milliarden unschuldiger Menschen sterben.«
»Mein Gott, Ihr laßt Euch aber wirklich leicht aus der Reserve locken«, sagte Johana Wahn. Ihr ESP erhob sich, und mit einemmal waren sie alle miteinander verbunden, und ihre Labyrinth-gegebenen Kräfte vermischten sich mit Johanas ESP zu einer weiß lodernden Flamme, die in allen Köpfen brannte. Ihr kollektives Bewußtsein sank durch den Boden der Hölle und schoß in die Tiefe. Johana führte den Weg, als sei sie dazu geboren. Tausende von Meilen rasten in Sekundenbruchteilen vorüber, und sie sanken durch die vielfältigen Schichten des Erdmantels auf die Bombe zu, die im Herzen der Welt verborgen lag. Die Planetenbombe war gut geschützt, doch die Rebellen konnte jetzt nichts mehr aufhalten. Sie deaktivierten die Bombe mit einem Gedankenimpuls, überprüften die Umgebung, um sicherzustellen, daß hier unten keine weiteren häßlichen Überraschungen mehr lauerten, und wendeten dem harmlos gewordenen Apparat den Rücken zu. Im nächsten Augenblick waren sie wieder am Hof der Löwenstein.
»Meine Güte!« sagte Ruby. »Das war ein Trip!«
»Tut mir leid, Euch enttäuschen zu müssen«, wandte sich Ohnesorg fröhlich an die Eiserne Hexe, »aber wir haben Eure Bombe soeben entschärft. Und bevor Ihr fragt: Es ist alles im Preis enthalten.«
»Ihr Verräter!« kreischte die Löwenstein, nachdem sie die Aktivierungskodes ausgestrahlt hatte und nichts geschah. Sie sprang von ihrem Thron auf und riß sich die Kampfrüstung herunter, so daß ihre nackten Arme zum Vorschein kamen.
Plötzlich schoben sich bis dahin verborgene Disruptorimplanta-te durch die Haut ihrer Arme, und sie eröffnete das Feuer auf die Rebellen. Sie warfen sich zur Seite, und Energiestrahlen zuckten durch die Luft, wo die Rebellen noch Sekundenbruchteile zuvor gestanden hatten. In Löwensteins Schultern und in ihrem Rippenkäfig wurden weitere tödliche Mündungen sichtbar, und aus ihren Händen glitten lange stählerne Klingen mit gezackten Schneiden. Selbstverständlich verfügt sie über Implantate, dachte Owen, während er auf den Boden prallte und sich abrollte. Eine Paranoide wie die Löwenstein bereitet sich auf jede Eventualität vor. Und sie kann sich das Beste vom Besten leisten.
Er griff mit seinem Bewußtsein nach den anderen, und gemeinsam errichteten sie einen Schild zwischen sich und dem Thron. Sie hatten es schon einmal getan, damals auf der Wolflingswelt, und der Schild damals hatte der gesamten Feuerkraft einer Imperialen Pinasse auf allerkürzeste Distanz widerstan-den. Und so standen sie da, ohne Schaden zu nehmen, während die Löwenstein ihre Waffen gegen den Energieschirm leerte, bis sie nichts mehr hatte, was sie den Rebellen entgegenschleu-dern konnte. Sie schrie voller Wut und sprang von ihrem Thron; doch Owen griff mit der Macht der gesamten Gruppe nach ihr, packte psychokinetisch all ihre Implantate und riß sie aus ihrem Körper . Die Löwenstein schrie vor Schmerz, als ihr Fleisch aufbrach und die Implantate eines nach dem anderen zum Vorschein kamen und blutig auf den Boden polterten. Und dann fiel auch die Löwenstein selbst mit weit aufgerissenen, wilden Augen, und sie klammerte sich verzweifelt an die Lehne ihres Eisernen Throns. Sie atmete schwer, und nur der Schock schirmte sie vor dem ab, was ihrem Körper zugefügt worden war. Owen löste sich als erster aus der Vereinigung mit seinen Kameraden, und das Kollektivbewußtsein fiel auseinander. Langsam trat er zur Löwenstein. Sie schnarrte laut, als sie ihn sah. Die Imperatorin war tödlich verwundet und endgültig geschlagen, und noch immer weigerte sie sich beharrlich aufzugeben.