Kast drehte sich zu Major Chevron um. »Disruptorkanone aufgeladen und schußbereit, Sir«, meldete er.
»Worauf zur Hölle wartet Ihr dann noch, Idiot! Tötet sie. Tötet sie alle beide!«
Morgan hämmerte auf den Knopf, und der beutegierige Energiestrahl fraß sich durch den kleinen Hinterhof. Hazel umklammerte Owens Hand so fest, daß es schmerzte – und in jenem Sekundenbruchteil, bevor der Energiestrahl die beiden traf, vereinigten sich ihre mentalen Kräfte und wurden zu einer gewaltigen Macht. In diesem einen winzigen Augenblick voller Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit band die pure Not die beiden enger zusammen als je zuvor. Die Zeit schien mit einemmal stillzustehen. Energie staute sich in Owen und Hazel auf, Energie aus einer unbekannten Quelle, die sowohl aus ihrem Innern, als auch aus der Umgebung zu kommen schien, entsprungen aus Liebe und Wut und der Weigerung, sich geschlagen zu geben, solange sie noch gebraucht wurden. Die Energie leuchtete strahlend hell auf und schoß aus ihnen hervor, schnell und tödlich und unaufhaltsam. Sie traf auf den Strahl der Disruptorkanone und verschlang ihn auf einen Schlag; doch es war noch nicht zu Ende. Sie raste auf die Kanone zu und brachte sie zur Explosion. Kast und Morgan starben , bevor sie auch nur schreien konnten. Sie wurden in Fetzen gerissen und verwandelten sich in verstreute Blutflecken, die mit Knochensplittern durchsetzt waren. Major Chevron starb als nächster. All seine Träume von Eroberung und Sieg wurden mitsamt seinem Körper zerfetzt. Und der Energiestrahl raste noch immer weiter. Er krachte in die Reihen Imperialer Marineinfanteristen. Sie starben alle. Hunderte von Männern hoben hilflos ihre Schwerter und Pistolen gegen eine unbesiegbare und unaufhaltsame Macht. Ihre Körper explodierten, und Blut und Knochen flogen durch die Luft. Schließlich war es vorbei, und eine lähmende Stille breitete sich in dem dunklen Hinterhof aus.
Tobias Shreck und sein Kameramann Flynn schauten sich an.
Ringsum herrschte Tod und Chaos, und die beiden hatten nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Selbst Flynns Kamera war unversehrt. Sie schwebte über dem Hof und war auf Owen und Hazel gerichtet , die noch immer mit dem Rücken an der Mauer nebeneinander saßen. Flynn schüttelte langsam den Kopf.
»Wieso sind wir nicht tot?«
»Der Teufel soll mich holen , wenn ich das wüßte!»fluchte Tobias. »Entweder sehen sie uns nicht als Feinde an, oder wir sind einfach nicht wichtig genug, um sich mit uns zu beschäftigen.«
Owen und Hazel saßen beisammen und blickten in die Runde. Als sie erkannten, daß die Gefahr fürs erste vorüber war, beruhigte sich ihr Atem allmählich wieder. Die Macht, die sie für kurze Zeit besessen hatten, war wieder verschwunden, und außer einer unendlichen Erschöpfung war nichts von ihr zu-rückgeblieben. Owen und Hazel hatten alles gegeben, was sie hatten geben können, und noch ein wenig mehr. Jetzt fühlten sich beide unendlich erschöpft.
Owens Blick fiel auf Tobias und Flynn, die regungslos und allein inmitten eines Meers aus Eingeweiden und Blut standen.
Er erhob sich unter Schmerzen und winkte die beiden zu sich heran. Flynn schien der Aufforderung nicht nachkommen zu wollen, doch Tobias zerrte ihn bis vor den Todtsteltzer. Aus der Nähe betrachtet, sah der Todtsteltzer weniger wie eine Legende aus, sondern eher wie ein ganz normaler Mensch. Genaugenommen sah er aus wie ein Mann, der eine übergroße Last zu tragen hatte, und der sich nur auf all das hier eingelas-sen hatte, weil ihm niemand die Arbeit hatte abnehmen wollen.
Der Todtsteltzer deutete auf die Kamera, die über den beiden Nachrichtenleuten schwebte.
»Bringt das Ding zu uns herunter. Ich habe etwas zu sagen.«
Flynn rief die Kamera über das Komm-Implantat herbei und richtete sie auf Owen. Der Todtsteltzer nickte Tobias und Flynn zu, dann drehte er sich zum Objektiv.
»Ich grüße Euch, Löwenstein, falls Ihr die Übertragung seht.
Ich bin der rechtmäßige Lord Todtsteltzer, und ich komme live aus der Rebellenstadt Nebelhafen zu Euch. Ich dachte, ich sollte Euch wissen lassen, daß Eure Invasion den Bach runtergegangen ist. Sie hatte von Anfang an keine Chance. Eure Bande von berufsmäßigen Mördern hat den freien Männern und Frauen der Nebelwelt nichts entgegenzusetzen. Sobald wir hier mit Aufräumen fertig sind und das Durcheinander beseitigt haben, das Ihr angerichtet habt, werden wir kommen und Euch einen Besuch abstatten. Merkt Euch mein Gesicht, Löwenstein.
Schon bald werdet Ihr erleben, wie Eure Streitkräfte aufgerieben werden und Euer Reich zerfällt und wie ich in Euren Thronsaal komme und Euch die Krone vom Kopf schlage und Euch so lange in Euren häßlichen Hintern trete, bis Ihr den Eisernen Thron freiwillig räumt. Ihr wart ein unglücklicher Fehler der Natur – eigentlich hättet Ihr niemals existieren dürfen. Ein Irrtum der Geschichte, was auch immer. Ich werde diesen Fehler bei der ersten sich bietenden Gelegenheit korri-gieren, meine Liebe. Wir sehen uns noch, Durchlauchtigste.«
Er sah zu Flynn. »Das war alles. Ihr könnt jetzt gehen.«
»Ich nehme nicht an, daß Ihr uns ein Exklusivinterview zu geben gedenkt?« erkundigte sich Tobias Shreck. Owen sah ihm in die Augen, und der Shreck setzte sich hastig in Bewegung.
»Nein, ich habe es nicht wirklich geglaubt. Komm, Flynn, es wird Zeit, daß wir von hier verschwinden. Schließlich wollen wir die Geduld unserer Gastgeber nicht über Gebühr strapazieren.«
Sie drehten sich um und rannten los. Die Kamera hüpfte hinter ihnen her. Owen grinste müde. Woher sollten die beiden auch wissen, daß er lediglich den starken Mann markiert und daß er dazu seine allerletzten Kräfte verbraucht hatte? Er wandte sich unsicher um und kehrte zur Mauer zurück, wo er sich erneut neben Hazel zu Boden sinken ließ. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Atem ging extrem flach; doch sie spürte Owen neben sich und schlug die Augen halb auf.
»Ja. Genau wie du gesagt hast, mein Hengst. Ich hab’ ja schon immer gewußt, daß dein Talent als Redner sich eines Tages für uns auszahlen würde.«
»Wie fühlst du dich?« fragte Owen besorgt.
»Müde. Aber zufrieden . Was zur Hölle haben wir da schon wieder heraufbeschworen? Eine Macht, die das Labyrinth uns geschenkt hat?«
»Ich glaube eher nicht. Es fühlte sich mehr nach etwas an, das schon die ganze Zeit über in uns war. Das Labyrinth des Wahnsinns hat uns nur den Zugang dazu verschafft. Vielleicht lernt eines Tages die gesamte Menschheit, so etwas zu tun.«
»Ja«, erwiderte Hazel. »Vielleicht. Aber ich bezweifle, daß wir dann noch da sind. Dieser Energiestoß hat uns völlig aus-gepumpt. Ich bin am Ende.«
»Ich ebenfalls«, sagte Owen. »Schätze, unsere Zeit ist abgelaufen. Was jetzt kommt, kann nur noch schlimmer werden.
Wenigstens hatten wir die Gelegenheit, der Eisernen Hexe einen Schrecken einzujagen. Hazel, da ist etwas… Etwas, das ich dir schon lange habe sagen wollen…«
»Ich muß dir auch etwas sagen«, unterbrach sie ihn. »Meine Blutsucht… ist verschwunden. Ich kann es spüren. Dieser Energiestoß hat sie einfach aus meinem Kreislauf gespült. Ich bin am Ende also doch noch trocken geworden.«
»Das freut mich zu hören. Hazel, was ich dir sagen wollte …«
Und dann gingen seine Worte im Dröhnen von Antigravmo-toren über ihren Köpfen unter. Owen blickte nach oben und zwang sich wieder auf die Beine. Sechs Antigravbarken schwebten über dem kleinen Hinterhof, und ihre Disruptorkanonen waren auf ihn und Hazel gerichtet. Owen umklammerte den Griff seines Schwerts; doch er wußte, daß es diesmal keine Rettung mehr geben würde.
Selbst ausgeruht und im Vollbesitz seiner Kräfte hätte er gegen die schweren Disruptorkanonen von sechs Barken wahrscheinlich keine Chance gehabt. Ein trotziges Grinsen erschien auf seinem Gesicht.