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An Bord der Herausforderung hatte man Hazel und Owen in Ketten gelegt. Sie waren in den Raum gebracht worden, in dem Legion in seinem Tank schwamm. Investigator Razor war ebenfalls dort, zusammen mit der Typhus-Marie, um sicherzustellen, daß Owen und Hazel sich anständig benahmen. Kapitän Bartek war gekommen , um die Gesichter der beiden Gefangenen zu sehen, wenn sie erst erkannten, daß sie gegen ein Wesen wie Legion nicht den Hauch einer Chance hatten. Der große gläserne Tank, übersät mit Kabeln, Drähten und fremdartiger , unvertrauter Technik, war noch immer der einzige Gegenstand in der Halle. Legion schwebte friedlich in der dicken gelblichen Flüssigkeit – eine gewaltige fleischiggraue Masse ohne feste Gestalt oder erkennbaren Sinn. Die Gehirne Tausender toter Esper, mit Hilfe von fremdrassiger Technologie ineinander verwoben und kontrolliert – oder besser gesagt: beherrscht – von dem Kollektivbewußtsein, das die Würmer des Wurmwächters bildeten. Es stank entsetzlich in der Halle, und Owen verzog angewidert das Gesicht, während er aus zusammengekniffenen Augen auf das Ding im Tank spähte. Er wollte sich ein paar Schritte nähern, um einen genaueren Blick auf das Wesen zu werfen, doch Razor packte ihn am Arm und zog ihn zurück. Owen drohte, unter dem Gewicht seiner Ketten zu stürzen und stieß heftige Verwünschungen gegen Razor aus.

Der Investigator schlug ihm leidenschaftslos in die Nieren, und Owen wäre um ein Haar erneut in die Knie gegangen; doch irgendwie gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben.

Das Imperium hatte sein Versprechen gehalten. Man hatte Hazel in die Regenerationsmaschine gelegt, und sie war gesund und mit verheilten Wunden wieder herausgestiegen. Aber die Maschine hatte nichts an Hazels fast ätherischer Erschöpfung ändern können, die sie mit dem Todtsteltzer teilte, seit der Ausbruch mentaler Energie ihrer beider Leben gerettet hatte.

Physisch waren sie so schwach und hilflos wie neugeborene Katzen. Das hatte Bartek jedoch nicht daran hindern können, ihnen sämtliche Waffen wegzunehmen und sie in so viele Ketten legen zu lassen, bis sie kaum noch stehen konnten. Sie hatten sogar Owens goldene Hadenmann-Hand entfernen wollen; doch sie hatten keinen Weg gefunden, wie das zu bewerkstelligen war. Sie hatten darüber gesprochen, ihm die Hand einfach abzuschneiden – nur für den Fall –, doch Bartek war begierig gewesen, den illustren Gefangenen seine Geheimwaffe zu zeigen. Außerdem konnten sie dem Todtsteltzer später immer noch die Hand abschneiden.

Die Typhus-Marie trug keine Ketten. Die Kontrollworte in ihrem Gehirn hielten sie sicherer fest, als es jede Fessel vermocht hätte. Sie hatte noch kein Dutzend Worte von sich gegeben, seit sie an Bord der Herausforderung gekommen war.

Sowohl Owen als auch Hazel hatten versucht, ein Gespräch mit ihr zu beginnen; doch Marie reagierte nur auf Imperiale Befehle und auf sonst gar nichts. Sie starrte mit leerem Blick auf das Ding im Tank und schien weder von seiner Erscheinung noch von dem widerlichen Gestank beeindruckt .

»Also schön«, begann Kapitän Bartek und wandte sich an Owen und Hazel. »Was haltet Ihr von unserer wunderbaren Schöpfung?«

Owen rümpfte die Nase. »Sieht aus wie eins der eher enttäu-schenden Erzeugnisse aus Gottes Enddarm. Riecht auch genauso, wenn Ihr mich fragt. Habt Ihr noch nie etwas von Luftreini-gern gehört?«

Razor schlug zu, und Owen wäre fast gestürzt. Hazel trat den Investigator gegen das Knie – mehr erlaubten ihre Ketten einfach nicht. Razor schlug ihr ins Gesicht, so daß Hazel aus Mund und Nase blutete. Sie lehnte sich gegen Owen, und Owen lehnte sich gegen sie, und gemeinsam funkelten sie den Investigator machtlos an. Er lächelte nicht. Das war auch gar nicht nötig. Marie beobachtete die Szene ungerührt und mit leerem Gesichtsausdruck. Die Kontrollworte summten unablässig in ihrem Unterbewußtsein wie ein Schwarm wütender Bie-nen, und trotzdem war ein Teil von ihr noch in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Sie behielt es für sich, versteckte es so tief in ihrem Innern, daß nicht einmal ein anderer Esper es erkennen konnte. Sie hatte sich selbst wie aus großer Entfernung dabei beobachtet, wie sie Investigator Topas niedergeschlagen hatte. Sie war hilflos in ihrem eigenen Körper gefangen gewesen. Sie ging davon aus, daß Topas tot war, sonst hätte man sie ebenfalls hergeschafft. Marie, die geschworen hatte, nie wieder einen Menschen zu töten, hatte ihre beste Freundin umgebracht. Das Entsetzen und die Gewissensqual bei dem Gedanken daran drohten sie zu überwältigen; doch auch das behielt sie für sich.

Bartek packte ihren Arm und führte sie zum Tank. Sie folgte ihm ohne jeden Widerstand.

»Hallo, Legion«, sagte Bartek. »Ich habe jemanden mitgebracht, den du sicher kennenlernen möchtest. Das hier ist die Typhus-Marie. Sie ist eine Sirene, und obendrein einer der mächtigsten Esper im gesamten Imperium.«

Willkommen, Marie, sagte Legion mit seinen vielen Stimmen. Owen grunzte erschrocken, als der widernatürliche Chor in seinem Kopf ertönte. Das Geräusch war schwer und erstik-kend wie der Gestank von faulendem Obst. Hazel schüttelte den Kopf, als könne sie so die Stimmen vertreiben. Marie zeigte überhaupt keine Reaktion. Legion sprach mit vielen Stimmen zugleich, eine entsetzliche Harmonie aus männlichen und weiblichen Kehlen, aus jungen und alten, lebenden und toten.

Und im Hintergrund hörten sie alle ganz, ganz schwach die Schreie von Tausenden von hilflosen Geistern, die dazu verdammt waren, in einer von Menschenhand erschaffenen, lebenden Hölle dahinzuvegetieren.

I c h bin ja so froh, daß du kommen konntest, Marie, sagte Legion. Sie werden dein Gehirn aus deinem Schädel reißen und es zu einem Teil von mir machen. All deine Macht und deine Lieder werden mir gehören. Ich werde dafür sorgen, daß sie unten in den Straßen von Nebelhafen gehört werden, glaube mir. Schon jetzt jammern und zittern sie beim Klang meiner Stimme, aber mit deinen Liedern werde ich durch ihre Köpfe trampeln und mit meinen schmutzigen Fingern in ihren Seelen rühren. Sie werden alle nach meiner Melodie tanzen, oder sie werden einen schrecklichen Tod sterben.

»Nun?« erkundigte sich Bartek nach einer Weile. »Sprich mit Legion, Marie

»Wer ist das, den ich da höre?« fragte Marie, »Die Gehirne oder die Würmer darin?«

Das wirst du bald selbst herausfinden.

»Warum verletzt und tötest du deine Esperkameraden? Sie sind von deiner Art.«

Weil es Spaß macht. Und weil ich es kann. Ich bin nicht wie sie. Oder wie du. So etwas wie mich hat es noch nie gegeben.

Es gibt keine Grenzen für mein Wachstum, und es gibt keine Grenzen für meine Macht. Nenn mich Legion. Ich bin groß, und ich bin viele. Eines Tages werden alle Esper ein Teil von mir sein. Dieser Tank wird mich nicht für immer festhalten.

Und die Menschheit sollte auf der Hut sein vor dem Tag, an dem ich mich befreie. Alles Leben sollte auf der Hut sein.

Die Typhus-Marie sah ihre Zukunft vor ihrem geistigen Auge und die Zukunft der Menschheit. Wut und Verzweiflung koch-ten in ihr hoch. Die Konditionierung des Imperiums wurde beiseite gefegt, als hätte sie niemals existiert . Neue Macht erstrahlte in ihr, eine wilde, potente Macht, und mit einemmal war in der Halle etwas Wunderbares, hell und strahlend und vollkommen, und Marie war sein Fokus. Die Mater Mundi, Unsere Mutter Aller Seelen. Maries Gesicht war ein einziger Ausdruck der Verzückung, und ihre Augen leuchteten wie die Sonne.