Investigator Razor erkannte augenblicklich die drohende Gefahr. Er riß das Schwert mit unglaublicher Geschwindigkeit hoch; doch eine unsichtbare Macht packte ihn und schleuderte ihn lässig zur Seite wie ein lästiges Insekt. Legion jagte in seinem Tank vor und zurück. Die gewaltige Macht, die sich in der Halle aufbaute, versetzte es in Angst und Schrecken. Die Mater Mundi streckte ihre geistigen Fühler aus, und alle überlebenden Esper Nebelhafens wurden auf einen Schlag zum Werkzeug ihres Willens . In diesem Augenblick kamen Tausende von Be-wußtseinen zusammen und waren eins, geführt von der Mater Mundi, fokussiert durch die Typhus-Marie. Marie richtete ihren gnadenlosen Blick auf Legion, und Legion fühlte nichts als Furcht.
Psionische Energie knisterte in der Luft und raste durch sämtliche Korridore und Abteile der Herausforderung. Maschinen überluden und explodierten; Arbeitsstationen versagten ihren Dienst und schalteten sich ab, und im gesamten Schiff sanken Besatzungsmitglieder auf die Knie und packten sich an die Köpfe, als unvertraute Gedanken durch ihre Bewußtseine rasten. Ein heilloses Chaos brach aus. Kapitän Bartek in Legions Halle erkannte, was geschah, und schrie auf.
Unten auf dem Planeten und in den Straßen Nebelhafens kam alles zum Erliegen. Psionische Energie hämmerte durch die Luft wie die Rache Gottes, und die angreifenden Truppen brachen bewußtlos zusammen und fielen an Ort und Stelle zu Boden. Ihr Geist schaltete sich lieber ab, als ins Angesicht der Mater Mundi zu blicken. Die Esper Nebelhafens standen wie versteinert da und sahen nichts von alledem. Sie waren ganz in dem kollektiven Wesen aufgegangen, das die Mater Mundi beschworen hatte. Ihre gesamte Macht und ihr gesamter Wille waren in einer einzigen Person fokussiert, die sich gegen das Ding namens Legion aufbäumte. Doch all die tausend Rebelle-nesper der Nebelwelt reichten nicht. Legion und die Mater Mundi standen sich gegenüber, ein jeder konzentriert auf die Zerstörung des anderen, und weder Legion noch die Mater Mundi waren imstande, die Oberhand zu gewinnen. Sie waren sich ebenbürtig.
Patt.
Owen und Hazel waren in dem Zusammenprall unheimlicher Energien völlig in Vergessenheit geraten. Plötzlich spürten sie, wie in ihnen eine neue Vitalität erwachte. Irgend etwas in ihnen zog Kraft aus den psionischen Energiestürmen, die durch das Schiff rasten. Sie fühlten sich mit einem Mal wieder stark und gesund. Ihre Ketten rissen und fielen von ihnen ab. Owen drehte sich nach Razor um; doch der Investigator hatte die Halle bereits verlassen.
Hazel schaute zu Kapitän Bartek. Der Kapitän der Herausforderung stand hilflos da, still und regungslos wie eine Statue .
Irgend etwas wollte nicht, daß er sich in die Dinge einmisch-te .
Owens und Hazels Bewußtseine griffen nach draußen. Sie wurden von irgendeiner Art Instinkt auf eine andere Ebene der Realität gezogen, und dort wurden sie Zeugen des Kampfes zwischen der Mater Mundi und Legion. Zwei gewaltige Armeen aus massiertem Willen standen sich gegenüber, verwikkelt in eine Schlacht, die nur einer überleben konnte.
Legion war deutlich kleiner als die Mater Mundi; doch es be-saß keine Schranken oder körperlichen Fesseln, während die Mater Mundi sich in der Typhus-Marie manifestierte, die einen heiligen Eid geschworen hatte, niemals wieder zu töten. Owen und Hazel konzentrierten sich. Im Hintergrund, von den beiden kämpfenden Wesenheiten unbemerkt, vernahmen sie Stimmen, die nach ihrer Freiheit schrien: Tausende toter Esper, aus denen Legions ›Körper‹ bestand. Sie wurden von den Würmern des Wurmwächters kontrolliert. Owen trat näher heran.
Ihr müßt eure Fesseln abstreifen, sagte er mit einer Stimme, die keine Stimme war. Das Imperium mißbraucht euch, um eure eigenen Artgenossen zu töten.
Das wissen wir, antwortete eine große Ansammlung flüsternder Stimmen. Aber es gibt nichts, das wir dagegen unternehmen könnten. Die Würmer sind in unseren Gehirnen. Legions Technologie gibt ihnen Macht über uns. Befreit uns! Bitte!
Das können wir nicht, antwortete Hazel. Ihr seid bereits tot.
Sie haben eure Gehirne herausgeschnitten und eure toten Körper weggeworfen. Ihr seid nur noch Geister, gefangen in einer Maschine.
Schreie, verzweifeltes Heulen und das Weinen Tausender verlorener Seelen, die keine Augen mehr hatten, mit denen sie weinen konnten. Was können wir tun? Was können wir nur tun?
Es gibt nur noch eins, was ihr tun könnt, antwortete Owen Todtsteltzer. Ihr müßt wirklich sterben. Legion wird euch niemals gehen lassen, und ihr werdet niemals Frieden finden. Ihr habt seine Worte selbst gehört. Legion will alles Leben vernichten oder es zu einem Bestandteil von sich selbst machen.
Denkt an die Millionen gefangener Seelen, die in Legions Griff gefangen sein werden und die dann das gleiche wie ihr ertragen müssen!
Wir wollen aber nicht sterben!
Niemand will sterben, sagte Hazel. Aber manchmal bleibt einem einfach keine andere Wahl, wenn irgend etwas von dem, wofür man gelebt hat, noch eine Bedeutung haben soll.
Nichts kann euch aufhalten, sagte Owen. Aber wollt ihr wirklich bis in alle Ewigkeit als Legions Sklaven leben? Hört endlich auf, unbedingt weiterleben zu wollen. Sterbt endlich. Und nehmt Legion mit euch.
Und vielleicht erinnerten sich die vielen tausend Esper-Gehirne in diesem Augenblick an das, was sie einst gewesen waren, an die Dinge, an die sie geglaubt und für die sie ge-kämpft hatten – an jene Dinge, für die sie jederzeit ihr Leben gegeben hätten, wäre es notwendig gewesen. Vielleicht waren sie ihrer mentalen Versklavung auch einfach nur müde und wollten nun endlich ihre Ruhe. Und vielleicht waren sie in genau diesem Augenblick wieder die Männer und Frauen von einst, fest entschlossen, das Richtige zu hm. Was auch immer der Grund sein mochte, die Gehirne, aus denen Legion bestand, hörten auf, sich an ihr Leben zu klammern und starben. Auf der mentalen Ebene strömte ein grelles Licht aus Legions astralem Leib, als Tausende von Männern und Frauen ausbrachen und sich endlich ihre Freiheit nahmen, indem sie starben. Und hinter ihnen blieb nichts weiter zurück als eine dunkle, wabernde Masse, gebrochen und hilflos: die zitternden, sich windenden Würmer des Wurmwächters. Die Mater Mundi zertrat sie, wie man Würmer zertrat: mit dem Absatz. Und dann war nichts mehr.
Investigator Razor beobachtete von der Brücke aus, wie Legion starb. Jedes der zahlreichen Aufnahmegeräte zeigte, wie die Lebensfunktionen der Kreatur eine nach der anderen auf Null fielen. Die graue Masse in ihrem Tank hatte einfach aufgehört zu leben, ohne daß ein äußerer Grund dafür erkennbar geworden wäre. Der Todtsteltzer. Verdammt soll er sein! Razor wandte sich den restlichen Konsolen zu. Die Hälfte der Instrumente arbeitete nicht, und ständig erreichten ihn neue Hiobs-botschaften. Der größte Teil der Brückenbesatzung war in Katatonie gefallen, und der Rest stand kurz davor. Razor packte den Ersten Offizier an der Schulter und schüttelte ihn, bis der Mann halbwegs wieder zu sich gekommen war.
»Da Kapitän Bartek nicht anwesend ist, übernehme ich hiermit die Befehlsgewalt über dieses Schiff«, sagte Razor langsam und deutlich. »Ich will jeden bewaffneten Mann unten in der Halle, wo Legions Tank steht. Tötet alles, was Ihr dort findet.«