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Als ich beim Bäcker vorbeikam, überwältigte mich der Geruch von frisch gebackenem Brot so sehr, dass mir schwindlig wurde. Die Backöfen befanden sich im hinteren Teil des Hauses und ein goldener Schein strömte durch die offene Küchentür. Gebannt von der Hitze und dem köstlichen Duft stand ich da, bis der Regen dazwischenkam, mit Eisfingern meinen Rücken entlangfuhr und mich ins Leben zurückzwang. Ich hob den Deckel der Bäckersmülltonne und fand sie unbarmherzig leer.

Plötzlich schrie mich jemand an. Ich sah auf und erkannte die Bäckersfrau. Ich solle weitergehen, ob sie die Friedenswächter rufen müsse und überhaupt sei sie es leid, wie diese Gören aus dem Saum ständig in ihrem Müll wühlten. Es waren hässliche Worte und ich konnte mich nicht verteidigen. Als ich vorsichtig den Deckel wieder schloss und zurückwich, sah ich ihn: einen blonden Jungen, der hinter dem Rücken seiner Mutter hervorspähte. Ich kannte ihn aus der Schule. Er war in meinem Jahrgang, aber ich wusste nicht, wie er hieß. Wie auch, er war ja immer mit den Stadtkindern zusammen. Seine Mutter ging grummelnd in die Backstube zurück, er aber muss mich beobachtet haben, wie ich um den Pferch herumging, in dem sie ihr Schwein hielten, und mich an die Rückseite eines alten Apfelbaums lehnte. Mir war auf einmal klar geworden, dass ich nichts mit nach Hause bringen konnte. Meine Knie gaben nach und ich rutschte am Stamm herunter bis zu den Wurzeln. Es war zu viel. Ich war zu krank und schwach und müde, unendlich müde. Sollen sie doch die Friedenswächter rufen und uns ins Gemeindeheim bringen, dachte ich. Oder noch besser, lasst mich gleich hier im Regen sterben.

Aus der Bäckerei drang Geklapper, ich hörte die Frau wieder schreien und dann einen Schlag. Ich fragte mich, was da vorging. Füße stapften durch den Matsch auf mich zu und ich dachte: Das ist sie. Sie kommt, um mich mit dem Stock zu vertreiben. Aber es war nicht sie. Es war der Junge. In den Armen trug er zwei große Laibe Brot, die ins Feuer gefallen sein mussten, denn die Kruste war schwarz verbrannt.

Seine Mutter kreischte: »Gib es den Schweinen, du Dummkopf! Warum nicht? Kein anständiger Mensch wird verbranntes Brot kaufen!«

Er begann, verbrannte Brotstücke abzureißen und sie in den Trog zu werfen, als die Klingel vorn im Bäckerladen ging und die Mutter verschwand, um einen Kunden zu bedienen.

Der Junge beachtete mich nicht, doch ich beobachtete ihn. Wegen des Brots, wegen der roten Strieme, die sich an seinem Wangenknochen abzeichnete. Womit hatte sie ihn geschlagen? Meine Eltern schlugen uns nie. Ich konnte mir das nicht mal vorstellen. Der Junge schaute kurz zurück zur Bäckerei, als wollte er nachsehen, ob die Luft rein war. Dann wandte er sich wieder dem Schwein zu und warf einen Laib Brot in meine Richtung. Der zweite folgte gleich danach, dann stapfte er zurück in die Bäckerei und schloss leise die Küchentür hinter sich.

Ungläubig starrte ich auf die Brotlaibe. Abgesehen von den verbrannten Stellen waren sie vollkommen in Ordnung. Sollten die etwa für mich sein? Mussten sie wohl. Schließlich lagen sie dort zu meinen Füßen. Bevor irgendwer mitbekam, was passiert war, stopfte ich mir die Laibe unter das Hemd, schlang die Jagdjacke fest um meinen Körper und lief schnell davon. Die Hitze des Brots brannte sich in meine Haut, aber ich drückte es nur noch fester, klammerte mich ans Leben.

Als ich zu Hause ankam, waren die Brote ein wenig abgekühlt, doch das Innere war noch warm. Als ich sie auf den Tisch fallen ließ, streckte Prim die Hände aus und wollte sich ein Stück herausreißen, aber ich sagte ihr, sie solle sich hinsetzen, zwang meine Mutter, zu uns an den Tisch zu kommen, und goss heißen Tee ein. Ich kratzte die schwarzen Stellen ab und schnitt das Brot in Scheiben. Wir aßen einen ganzen Laib, Scheibe für Scheibe. Es war gutes, herzhaftes Brot, gefüllt mit Rosinen und Nüssen.

Ich hängte meine Sachen zum Trocknen vors Feuer, krabbelte ins Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf. Erst am nächsten Morgen kam mir der Gedanke, dass der Junge das Brot vielleicht absichtlich zu lange im Ofen gelassen hatte. Die Laibe ins Feuer geworfen hatte, obwohl er wusste, dass er dafür bestraft werden würde, und sie dann mir gegeben hatte. Ich verwarf den Gedanken. Bestimmt war es ein Missgeschick gewesen. Weshalb hätte er das tun sollen? Er kannte mich doch gar nicht. Trotzdem, allein dass er mir das Brot zugeworfen hatte, war ungeheuer freundlich gewesen und hätte ihm sicher eine Tracht Prügel eingebracht, wenn er dabei entdeckt worden wäre. Ich konnte mir sein Tun nicht erklären.

Zum Frühstück aßen wir Brotscheiben und gingen dann in die Schule. Es war, als wäre über Nacht der Frühling ausgebrochen. Warme milde Luft, flauschige Wolken. In der Schule kam ich im Flur an dem Jungen vorbei, seine Wange war geschwollen und er hatte ein blaues Auge. Er war mit seinen Freunden zusammen und ließ sich nicht anmerken, dass er mich kannte. Doch als ich am Nachmittag Prim abholte und mich auf den Heimweg machte, sah ich, dass er mich über den Schulhof hinweg ansah. Eine Sekunde lang trafen sich unsere Blicke, dann wandte er das Gesicht ab. Verlegen senkte ich den Blick und in diesem Augenblick sah ich ihn. Den ersten Löwenzahn des Jahres. In meinem Kopf klingelte es. Ich dachte an die Stunden, die ich mit meinem Vater im Wald verbracht hatte, und ich wusste, wie wir überleben würden.

Bis heute verschmelzen dieser Junge, Peeta Mellark, das Brot, das mir Hoffnung gab, und der Löwenzahn, der mich daran erinnerte, dass ich nicht verloren war, zu einer einzigen Erinnerung. Und mehr als einmal habe ich im Schulflur bemerkt, dass er den Blick auf mich gerichtet hatte, um dann schnell wieder wegzuschauen. Ich habe das Gefühl, ihm etwas zu schulden, und ich hasse es, Leuten etwas schuldig zu sein. Hätte ich ihm irgendwann mal gedankt, dann wäre ich jetzt vielleicht nicht so im Zwiespalt. Mehrmals habe ich daran gedacht, es zu tun, aber irgendwie hat sich nie die richtige Gelegenheit ergeben. Und nun wird sie sich auch nicht mehr ergeben. Denn wir werden in eine Arena gesperrt, um einander bis zum Tod zu bekämpfen. Wie sollte ich da ein Dankeschön anbringen? Es würde wohl nicht sehr aufrichtig klingen, wenn ich gleichzeitig versuchte, ihm die Kehle aufzuschlitzen.

Der Bürgermeister beendet die eintönige Lesung des Hochverratsvertrags und gibt Peeta und mir ein Zeichen, uns die Hand zu reichen. Seine Hände sind so fest und warm wie die Brotlaibe damals. Peeta schaut mir direkt in die Augen und drückt meine Hand auf eine Weise, dass es sich anfühlt wie ein beruhigender Händedruck. Vielleicht ist es auch nur ein nervöses Zucken.

Wir wenden uns wieder der Menge zu, während die Hymne von Panem erschallt.

Na gut, denke ich. Wir sind vierundzwanzig. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ein anderer ihn tötet, bevor ich es tue.

Andererseits war auf die Wahrscheinlichkeit in letzter Zeit nicht besonders viel Verlass.

3

Als der letzte Ton der Hymne verklingt, werden wir verhaftet. Nicht dass wir Handschellen angelegt bekämen oder so, doch eine Schar Friedenswächter nimmt uns in ihre Mitte und fuhrt uns durch das Eingangstor ins Gerichtsgebäude. Möglich, dass früher einmal Tribute versucht haben zu fliehen. Ich habe es noch nie erlebt.

Im Gebäude werde ich in einen Raum geführt und allein gelassen. Es ist der prächtigste Raum, in dem ich je war, mit dicken, breiten Teppichen, einem Sofa und Stühlen, die mit Samt bezogen sind. Dass es Samt ist, weiß ich, weil meine Mutter ein Kleid mit einem Kragen aus diesem Stoff hat. Ich setze mich auf das Sofa und kann nicht anders, als mit den Fingern über den Stoff zu streichen. Es beruhigt mich, während ich versuche, mich auf die folgende Stunde vorzubereiten: So viel Zeit steht den Tributen zur Verfügung, um von ihren Lieben Abschied zu nehmen. Ich darf mich nicht gehen lassen, darf nicht mit verquollenen Augen und einer roten Nase hier heraustreten. Weinen kommt nicht infrage. Am Bahnhof werden weitere Kameras aufgebaut sein.