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Dies wiederholt sich mehrmals über eine unbestimmte Zeitspanne. Aufwachen, Essen und Ausgeschaltetwerden, selbst wenn ich keine Anstalten mache, aufzustehen. Es ist, als befände ich mich in einem ständigen Dämmerzustand. Nur ein paar Sachen registriere ich. Dass das rothaarige Avoxmädchen nicht wiedergekommen ist, dass meine Narben verschwinden und dass - oder fantasiere ich das? - ein Mann schreit. Nicht mit dem Akzent des Kapitols, sondern im raueren Tonfall meines Heimatdistrikts. Und ich habe unwillkürlich das vage, tröstliche Gefühl, dass jemand über mich wacht.

Schließlich komme ich wieder zu mir und die Kanülen im rechten Arm sind verschwunden. Das Band um meinen Rumpf ist weg, ich kann mich frei bewegen. Ich versuche mich aufzusetzen, als mein Blick auf meine Hände fällt und ich stutze: Die Haut ist vollkommen, zart und schimmernd. Die Narben sind spurlos verschwunden, aber nicht nur die aus der Arena, sondern auch die von den vielen Jahren des Jagens. Meine Stirn fühlt sich an wie Seide und sogar nach der Brandwunde an meiner Wade taste ich vergebens.

Ich strecke die Beine aus dem Bett, ein bisschen nervös, weil ich nicht weiß, ob sie mein Gewicht tragen werden, aber sie sind stark und zuverlässig. Beim Anblick der Kleidungsstücke, die am Fuß des Bettes liegen, zucke ich zusammen. Es ist die Kluft der Tribute, wie ich sie in der Arena getragen habe. Ich starre die Kleider an, als ob sie Zähne hätten, bis mir einfällt, dass ich in dieser Aufmachung meinem Team gegenübertreten muss.

In weniger als einer Minute bin ich angezogen und zappele vor der Wand herum, wo ich die Tür vermute, auch wenn ich sie nicht sehen kann, bis sie sich plötzlich öffnet. Ich betrete einen weiträumigen, verlassenen Flur, der scheinbar keine weiteren Türen besitzt. Doch da müssen welche sein. Und hinter einer davon muss Peeta sein. Jetzt, da ich bei Bewusstsein bin und mich bewege, überwiegt die Sorge um ihn. Er ist ganz sicher wohlauf, sonst hätte das Avoxmädchen es nicht gesagt. Aber ich muss ihn mit eigenen Augen sehen.

»Peeta!«, rufe ich, weil niemand da ist, den ich fragen könnte. Als Antwort höre ich meinen Namen, aber es ist nicht seine Stimme. Die Stimme macht mich erst ärgerlich, dann ungeduldig. Effie.

Ich drehe mich um und sehe, dass sie allesamt in einem großen Raum am Ende des Flurs warten: Effie, Haymitch und Cinna. Da renne ich los. Möglich, dass eine Siegerin mehr Zurückhaltung, mehr Überlegenheit an den Tag legen sollte, besonders wenn sie weiß, dass sie gefilmt wird, aber das ist mir egal. Ich renne los und werfe mich zu meiner eigenen Überraschung zuerst Haymitch in die Arme. »Gute Arbeit, Süße«, flüstert er mir ins Ohr und es klingt nicht mal sarkastisch. Effie ist den Tränen nahe, tätschelt ununterbrochen meinen Kopf und redet davon, dass sie jedem erzählt habe, was für Goldstücke wir sind. Cinna drückt mich nur ganz fest und sagt kein Wort. Dann fällt mir auf, dass Peeta nicht da ist, und ich werde unruhig.

»Wo ist Portia? Bei Peeta? Er ist wohlauf, oder? Er lebt doch, nicht wahr?«, platze ich heraus.

»Es geht ihm gut. Aber sie wollen euer Wiedersehen bei der Siegesfeier live übertragen«, sagt Haymitch.

»Ach so«, sage ich. Der schreckliche Augenblick, als ich Peeta schon wieder für tot hielt, ist vorüber. »Das würde ich selbst gern sehen, glaube ich.«

»Geh jetzt mit Cinna. Er muss dich fertig machen«, sagt Haymitch.

Ich bin erleichtert, dass ich mit Cinna allein sein werde. Ich spüre seinen beschützenden Arm um meine Schultern, als er mich von den Kameras fortgeleitet, ein paar Gänge entlang zu einem Aufzug, der in die Eingangshalle des Trainingscenters führt. Dann befindet sich das Krankenhaus also tief unter der Erde, noch unter der Turnhalle, wo wir Knotenbinden und Speerwerfen geübt haben. Die Fenster der Eingangshalle sind verdunkelt, hier und da stehen Wachen. Sonst sieht uns niemand dabei zu, wie wir zum Aufzug der Tribute hinübergehen. In der Leere hallen unsere Schritte wider. Als wir in den zwölften Stock hinauffahren, kommen mir die Gesichter all der Tribute in den Sinn, die nie mehr zurückkehren werden, und die Brust wird mir eng und schwer.

Die Aufzugtüren öffnen sich und ich werde von Venia, Flavius und Octavia umringt. Sie sprechen so schnell und überschwänglich, dass ich kein Wort verstehe. Aber die Stimmung ist eindeutig. Sie freuen sich wahnsinnig, mich zu sehen, und ich freue mich auch, wenn auch nicht so sehr wie bei Cinna. Eher so, wie man sich freut, wenn man am Ende eines besonders schweren Tages drei anhängliche Haustiere wiedersieht.

Sie nehmen mich mit in ein Esszimmer, wo ich endlich eine richtige Mahlzeit bekomme - Roastbeef, Erbsen und weiche Brötchen -, auch wenn meine Portionen immer noch strikt rationiert werden. Ein Nachschlag wird mir nämlich nicht gewährt.

»Nein, nein, nein. Sie wollen ja nicht, dass das alles auf der Bühne wieder hochkommt«, sagt Octavia. Heimlich unter dem Tisch steckt sie mir aber doch ein Extrabrötchen zu, um mir zu verstehen zu geben, dass sie zu mir hält.

Wir gehen zurück in mein Zimmer und Cinna verschwindet eine Weile, während das Vorbereitungsteam an mir arbeitet.

»Oh, du hast eine Ganzkörperbehandlung bekommen«, sagt Flavius neidisch. »Deine Haut ist makellos.«

Aber als ich meinen nackten Körper im Spiegel betrachte, fällt mir nur auf, wie mager ich bin. Unmittelbar nach der Arena hab ich zwar bestimmt noch schlimmer ausgesehen, doch meine Rippen kann ich immer noch zählen.

Sie stellen mich unter die Dusche, danach nehmen sie sich Haar, Nägel und Make-up vor. Sie plappern in einem fort, sodass ich kaum antworten muss, was mir recht ist, denn mir ist nicht nach Reden zumute. Komisch, obwohl sie ununterbrochen über die Spiele plappern, geht es nur darum, wo sie waren, was sie getan haben oder wie es ihnen ging, während sich dies und das in der Arena ereignete. »Ich hab noch im Bett gelegen!« - »Ich hatte mir gerade die Augenbrauen gefärbt!« - »Ich schwör’s euch, ich war fast in Ohnmacht gefallen!« Es geht nur um sie, nicht um die sterbenden Jungen und Mädchen in der Arena.

So schwelgen wir in Distrikt 12 nicht in den Spielen. Wir beißen die Zähne zusammen und schauen zu, weil wir müssen, aber wenn sie vorbei sind, versuchen wir so schnell wie möglich zum Alltag zurückzukehren. Um das Vorbereitungsteam nicht zu hassen, blende ich das meiste von dem, was sie sagen, einfach aus.

Cinna kommt herein, über dem Arm ein eher bescheidenes gelbes Kleid.

»Machen wir jetzt nicht mehr auf Mädchen in Flammen?«, frage ich.

»Sieh selbst«, sagt er und zieht mir das Kleid über den Kopf. Sofort bemerke ich die Polster über meinen Brüsten, sie täuschen Kurven vor, die der Hunger meinem Körper gestohlen hat. Ich fasse mir an die Brust und runzele die Stirn.

»Ich weiß«, sagt Cinna, bevor ich Einwände erheben kann. »Aber wenn es nach den Spielmachern gegangen wäre, hättest du eine Schönheitsoperation bekommen. Haymitch hatte einen Riesenkrach mit ihnen deswegen. Schließlich haben sie sich darauf geeinigt.« Er hält mich zurück, bevor ich mein Spiegelbild betrachten kann. »Warte, vergiss die Schuhe nicht.« Venia hilft mir in flache Ledersandalen, dann erst wende ich mich dem Spiegel zu.

Ich bin immer noch das »Mädchen in Flammen«. Der hauchdünne Stoff schimmert zart. Bei der kleinsten Luftbewegung geht ein Kräuseln meinen Körper hinauf. Im Vergleich hierzu erscheint das Wagenkostüm aufdringlich, das Interviewkleid zu gekünstelt. In diesem Kleid erwecke ich den Eindruck, als wäre ich in Kerzenlicht gekleidet.

»Was meinst du?«, fragt Cinna.

»Das ist das beste von allen«, sage ich. Als ich mich vom Anblick des flackernden Stoffs losreißen kann, wartet schon der nächste Schock. Mein Haar ist offen und wird nur von einem schlichten Haarband gehalten. Das Make-up macht mein Gesicht weicher und glättet die scharfen Kanten. Die Nägel sind klar lackiert. Das ärmellose Kleid ist unter den Rippen gerafft, nicht in der Taille, wodurch die Polster fast überdeckt werden. Der Saum reicht bis zu den Knien. Ohne Absätze habe ich meine wahre Größe. Ich sehe einfach nur wie ein Mädchen aus. Ein junges Mädchen. Höchstens vierzehn. Unschuldig. Harmlos. Dass Cinna das hinbekommen hat, obwohl ich soeben die Hungerspiele gewonnen habe, ja, das ist schon schockierend.