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Peeta und ich werden sofort zum Präsidentensitz gebracht, wo das Siegerbankett stattfindet. Zum Essen bleibt uns allerdings kaum Zeit, weil die Würdenträger des Kapitols und die besonders großzügigen Sponsoren sich gegenseitig beiseiteschieben, um mit uns aufs Foto zu kommen. Lauter strahlende Gesichter huschen vorüber, die im Laufe des Abends immer berauschter aussehen. Gelegentlich erhasche ich einen Blick auf Haymitch, der mich beruhigt, oder auf Präsident Snow, der mich in Panik versetzt, aber die ganze Zeit über lache ich und bedanke mich bei den Leuten und lächele für die Fotos. Und ich lasse Peetas Hand kein einziges Mal los.

Die Sonne guckt schon über den Horizont, als wir zurück in den zwölften Stock des Trainingscenters fahren. Jetzt kann ich endlich einmal ein Wort allein mit Peeta wechseln, denke ich, aber Haymitch schickt ihn mit Portia fort, damit sie ihn für das Interview ausstaffiert, und begleitet mich bis vor die Tür.

»Warum darf ich nicht mit ihm reden?«, frage ich.

»Dazu habt ihr alle Zeit der Welt, wenn wir zu Hause sind«, sagt Haymitch. »Geh jetzt schlafen, um zwei hast du Sendung.«

Trotz Haymitchs dauernder Einmischung bin ich entschlossen, Peeta unter vier Augen zu treffen. Nachdem ich mich ein paar Stunden lang hin und her gewälzt habe, schlüpfe ich auf den Flur hinaus. Als Erstes schaue ich auf dem Dach nach, aber da ist niemand. Nach der Feier heute Nacht liegen sogar die Straßen der Stadt weit unter mir verlassen da. Ich gehe kurz zurück ins Bett und beschließe dann, an seine Tür zu klopfen. Als ich versuche, die Klinke herunterzudrücken, stelle ich fest, dass meine Tür von außen abgeschlossen wurde. Zunächst verdächtige ich Haymitch, aber dann macht sich die heimtückische Angst breit, dass das Kapitol mich überwacht und einsperrt. Seit die Hungerspiele begonnen haben, war eine Flucht unmöglich. Doch das hier fühlt sich anders an, viel persönlicher. Als wäre ich wegen eines Verbrechens eingesperrt und wartete auf mein Urteil. Rasch gehe ich zurück ins Bett und tue so, als würde ich schlafen, bis Effie Trinket kommt und verkündet, dass ein weiterer »ganz, ganz großer Tag!« angebrochen sei.

Ich habe fünf Minuten, um eine Schale Eintopf mit Reis zu essen, bevor das Vorbereitungsteam hereinplatzt. »Die Leute waren total begeistert von euch!«, sage ich und dann brauche ich in den nächsten Stunden den Mund nicht mehr aufzumachen. Als Cinna hereinkommt, scheucht er sie raus und kleidet mich in ein weißes, hauchdünnes Kleid und rosa Schuhe. Dann kümmert er sich selbst um mein Make-up, bis ich aussehe, als würde ich zartrosa glühen. Wir reden über dies und das, aber ich habe Angst, ihn etwas wirklich Wichtiges zu fragen, denn nach dem Zwischenfall mit der Tür werde ich das Gefühl nicht los, dass ich ständig überwacht werde.

Das Interview findet im Salon am Ende des Flurs statt. Eine Fläche wurde frei geräumt, das kleine Sofa hineingestellt und mit Vasen voller roter und rosa Rosen umgeben. Nur eine Handvoll Kameras wird das Ereignis filmen. Wenigstens kein Livepublikum.

Als ich hereinkomme, umarmt Caesar Flickerman mich herzlich. »Meinen Glückwunsch, Katniss. Wie geht’s uns denn heute?«

»Gut. Nervös wegen des Interviews«, sage ich.

»Brauchst du nicht. Wir werden uns prächtig unterhalten«, sagt er und tätschelt mir beruhigend die Wange.

»Ich kann nicht gut über mich selbst reden«, sage ich.

»Du kannst gar nichts Falsches sagen«, sagt er.

Und ich denke: Ach, Caesar, wenn es doch so wäre. Aber gerade jetzt, während wir uns unterhalten, könnte Präsident Snow irgendeinen »Unfall« arrangieren.

Peeta ist auch da, er sieht sehr gut aus in Rot und Weiß. Er nimmt mich beiseite. »Ich bekomme dich kaum zu sehen. Haymitch scheint darauf aus zu sein, uns voneinander fernzuhalten.«

Richtig ist, dass Haymitch darauf aus ist, uns am Leben zu halten, aber es sind zu viele Ohren um uns herum, deshalb sage ich: »Ja, in letzter Zeit nimmt er seine Verantwortung sehr ernst.«

»Was soll’s, das hier noch, und dann fahren wir nach Hause. Dann kann er uns nicht mehr die ganze Zeit bewachen«, sagt Peeta.

Ein Schauer geht durch meinen Körper, aber es bleibt keine Zeit, zu ergründen, warum, denn alles ist bereit. Wir setzen uns ein wenig steif auf das kleine Sofa, doch Caesar sagt: »Na los, kuschele dich an ihn, wenn du magst. Das hat so süß ausgesehen.« Also ziehe ich die Füße hoch und Peeta drückt mich an sich.

Jemand zählt rückwärts und im Nu sind wir wieder live im ganzen Land zu sehen. Caesar Flickerman ist fantastisch, provozierend, witzig oder gerührt, je nachdem. Er und Peeta haben schon wieder den lockeren Plauderton angeschlagen, wie am Abend des ersten Interviews, deshalb lächele ich nur und versuche so wenig wie möglich zu sagen. Ein bisschen reden muss ich natürlich schon, aber sobald ich kann, überlasse ich Peeta das Wort.

Doch irgendwann beginnt Caesar Fragen zu stellen, die ausführlichere Antworten erfordern. »Peeta, von unseren Tagen in der Höhle wissen wir, dass es für dich Liebe auf den ersten Blick war, als du wie alt warst? Fünf?«, hakt Caesar nach.

»Seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe«, bestätigt Peeta.

»Aber Katniss, da hast du ja wirklich einiges mitgemacht. Das Aufregendste für die Zuschauer war es wohl, mitzuerleben, wie du ihm verfallen bist. Wann hast du gemerkt, dass du in ihn verliebt bist?«, fragt Caesar.

»Oh, das ist schwierig zu beantworten …« Ich lache matt und starre auf meine Hände. Hilfe.

»Also, ich weiß noch, wann ich es kapiert hab. An dem Abend, als du auf dem Baum saßest und seinen Namen gerufen hast«, sagt Caesar.

Danke, Caesar!, denke ich und nehme die Vorlage an. »Ja, ich glaube, das war es. Wissen Sie, bis dahin habe ich mich, ehrlich gesagt, nicht getraut, über meine Gefühle nachzudenken. Es war alles so verwirrend, und wenn ich mir etwas aus ihm gemacht hätte, wäre es nur noch schlimmer geworden. Aber auf diesem Baum war plötzlich alles anders«, sage ich.

»Was glaubst du, wie das kam?«, hakt Caesar nach.

»Vielleicht … weil es da zum ersten Mal … die Chance gab, dass ich ihn behalten darf«, sage ich.

Hinter einem Kameramann sehe ich Haymitch, der erleichtert schnaubt, und da weiß ich, dass ich das Richtige gesagt habe. Caesar zieht ein Taschentuch hervor und muss eine Auszeit nehmen, so gerührt ist er. Ich spüre, wie Peeta die Stirn an meine Schläfe legt und fragt: »Und, was wirst du mit mir machen, jetzt, wo du mich hast?«

Ich wende mich ihm zu. »Dich irgendwo hinbringen, wo dir nichts passieren kann.« Und als er mich küsst, seufzen die Leute im Studio regelrecht.

Das ist für Caesar das Stichwort, um zu all den Verletzungen überzuleiten, die wir in der Arena erlitten haben, von Verbrennungen über Stiche bis hin zu Wunden. Aber erst als wir auf die Mutationen zu sprechen kommen, vergesse ich, dass wir auf Sendung sind. Als Caesar Peeta fragt, wie er mit seinem »neuen Bein« zurechtkomme.

»Neues Bein?«, sage ich und strecke unwillkürlich die Hand aus, um Peetas Hosenbein hochzuziehen. »Oh nein«, flüstere ich und starre auf die Vorrichtung aus Metall und Kunststoff, die nun sein Fleisch ersetzt.

»Hat dir das niemand gesagt?«, fragt Caesar einfühlsam. Ich schüttele den Kopf.

»Ich hatte keine Gelegenheit dazu«, sagt Peeta mit leichtem Schulterzucken.

»Das ist meine Schuld«, sage ich. »Weil ich den Druckverband gemacht habe.«

»Ja, es ist deine Schuld, dass ich am Leben bin«, sagt Peeta.

»Da hat er recht«, sagt Caesar. »Ohne den Druckverband wäre er mit Sicherheit verblutet.«

Wahrscheinlich stimmt das, aber ich bin trotzdem so geschockt, dass ich Angst habe loszuheulen. Doch da fällt mir ein, dass mir das ganze Land zusieht, deshalb vergrabe ich das Gesicht einfach in Peetas Hemd. Es dauert ein paar Minuten, bis sie mich daraus hervorlocken können, denn dort in seinem Hemd ist es viel schöner, keiner kann mich sehen, und als ich wieder auftauche, stellt Caesar mir keine weiteren Fragen, damit ich mich erholen kann. Er lässt mich in Ruhe, bis die Beeren zur Sprache kommen.