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Garcia schmunzelte. »Mit anderen Worten: Falls du mit deinem Verdacht recht hattest und sie tatsächlich der Totenkünstler war, hattest du ihr damit durch die Blume mitgeteilt, dass sie innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zuschlagen muss, wenn sie ihr letztes Opfer noch erwischen will. Du hast sie unter Zugzwang gesetzt.«

Ein erneutes Nicken von Hunter. »Aber ich hatte keine Zeit, zurück ins PAB zu fahren und einen Antrag auf Observierung zu stellen. Es gab ja nicht mal stichhaltige Gründe dafür. Ein vager Verdacht und ein Kosename – mehr hatte ich nicht in der Hand.«

»Also haben Sie beschlossen, die Dienstvorschrift – wieder mal – Dienstvorschrift sein zu lassen, und sich kurzerhand selbst zum Ein-Mann-Observierungs-Team ernannt«, stellte Captain Blake fest, aber es lag kein Tadel in ihrer Stimme.

»Nur für vierundzwanzig Stunden«, räumte Hunter ein.

»Und was hat sie gemacht?«, wollte Alice wissen.

»Den Großteil des Tages hat sie nicht mal das Haus verlassen.«

»Wahrscheinlich musste sie einen neuen Plan austüfteln«, meinte Captain Blake.

»Als sie dann schließlich doch aufgebrochen ist, ist sie nach Woodland Hills gefahren, wo sie sich auf einem Parkplatz mit Scott Bradley getroffen hat. Er ist von seinem Wagen in ihren umgestiegen.«

Alle runzelten verwirrt die Stirn.

»Meine Vermutung ist, dass Olivia schon seit längerem Kontakt zu Scott hatte. Er ist verheiratet, hat aber eine Schwäche für schöne Frauen, erst recht, wenn sie ihm sagen, dass sie devot sind. Olivia wusste genau, womit sie ihn ködern konnte. Ich bin mir sicher, sie war seit Tagen an ihm dran.«

»Das erklärt auch die veränderte Vorgehensweise«, warf Garcia ein. »Alle vorherigen Morde fanden an Orten statt, an denen sich die Opfer sicher fühlten – bei Nicholson zu Hause, auf Dupeks Boot, in Littlewoods Praxis. Scott Bradley hatte eine Frau und zwei Töchter, das machte es schwierig, ihn zu Hause zu töten. Ein eigenes Büro besaß er auch nicht. Er war Aktienbroker und hat in einem Großraumbüro gearbeitet.«

Hunter nickte zustimmend.

»Also hat sie ihn angerufen und gesagt, dass sie ihn an dem Abend sehen will«, sagte Alice. »Bestimmt hat er sofort alles stehen und liegen lassen.«

»Sie hatte nie vor, lebend aus der Sache rauszukommen, oder? Auch wenn wir sie nicht gefasst hätten.« Diese Feststellung kam von Captain Blake. »Es stand von vorneherein fest, dass sie nicht ins Gefängnis gehen würde. Sie wusste, dass sie die Sache nicht überleben würde.«

Hunter schwieg.

»Indem Derek Nicholson ihr alles gebeichtet hat«, sagte Alice, »hat er sie seelisch vernichtet. So eine Wahrheit – das war mehr, als sie ertragen konnte. Wenn man aus heiterem Himmel erfährt, dass man sein ganzes Leben lang belogen worden ist, dass die eigene Mutter brutal ermordet, zerstückelt und wie Müll entsorgt wurde – und wenn einem dann noch gesagt wird, wer die Täter waren, man aber gleichzeitig weiß, dass sie niemals für ihr Verbrechen bestraft wurden und auch keine Strafe mehr zu erwarten haben, was tut man dann? Wie soll man jemals wieder ein normales Leben führen, wenn man dieses Wissen mit sich rumträgt? Für sie wäre jeder Tag eine Qual gewesen, ganz egal ob im Gefängnis oder in Freiheit.«

»Olivia hat ihr Leben geopfert, damit ihrer Mutter Gerechtigkeit widerfährt«, sagte Hunter. »Eine Gerechtigkeit, die unser Rechtssystem ihr niemals hätte geben können. Letzten Endes haben diese vier Männer die Mutter und die Tochter getötet.«

Ein beklommenes Schweigen senkte sich über sie.

»Ich weiß ja, dass wir nur unsere Pflicht getan haben«, meinte Captain Blake schließlich mit einem Kopfschütteln. »Aber vielleicht hätten wir uns damit nicht ganz so beeilen sollen. Ich für meinen Teil hätte nichts dagegen gehabt, wenn es Olivia Nicholson gelungen wäre, alle vier zu beseitigen. Absolut nichts. Scott Bradley, dieses Schwein, ist noch mal mit einem blauen Auge davongekommen – beziehungsweise mit einem abgeschnittenen Finger. Verdient hätte er weit Schlimmeres. Er behauptet übrigens, Sie hätten ihn bewusstlos geschlagen.«

Da Hunter nichts sagte, fuhr Blake fort. »Wenn Sie mich fragen, hat es sich so abgespielt: Er war in einem emotionalen Ausnahmezustand, darunter kann die Realitätswahrnehmung schon mal ein bisschen leiden. In Wirklichkeit hat er sich bloß eingebildet, Sie hätten ihn geschlagen.« Sie hielt inne, und ihr Blick ging durch den Raum. »Ja, die Erklärung klingt für mich absolut plausibel.«

Als Nächstes berichtete Garcia von den Ereignissen in Pomona. Ken Sands befand sich in Polizeigewahrsam, und Garcia würde Detective Ricky Corbí anrufen, der die Ermittlungen im Mordfall Tito leitete, um ihn davon zu unterrichten. Sands war sein Hauptverdächtiger.

119

Es war schon mitten in der Nacht, als Hunter endlich den Papierkram erledigt hatte. Er ging nach unten und legte alles auf Captain Blakes Schreibtisch, damit sie es am nächsten Morgen durchgehen konnte.

Sein Handy klingelte, und er fischte es aus seiner Hosentasche.

»Detective Hunter.«

»Robert. Ich bin’s, Alice.«

Hunter war so sehr mit seinen Berichten beschäftigt gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass Alice schon vor Stunden ihre Sachen zusammengepackt hatte und gegangen war.

»Ich wollte nur anrufen, um zu sagen, wie sehr ich mich über unser Wiedersehen gefreut habe«, sagte sie. »Und dass die Arbeit mit dir ein Erlebnis war.«

»Ja, ich habe mich auch gefreut, dich wiederzusehen.«

»Auch wenn du dich nicht an mich erinnern konntest.«

Hunter zögerte kurz. »Sag mal, du schaust aber ab und zu vorbei, oder? Du arbeitest doch noch für die Staatsanwaltschaft?«

»Ja, ich arbeite noch für die Staatsanwaltschaft.«

Befangenes Schweigen.

Hunter sah auf die Uhr. »Hast du gerade zu tun? Wollen wir vielleicht was trinken gehen?«

»Jetzt?« Das Erstaunen in Alices Stimme war nicht der späten Stunde geschuldet.

»Klar. Ich bin hier so gut wie fertig. Und ich könnte wirklich einen Drink vertragen.«

Zögern.

»Und die Gesellschaft«, fügte er hinzu.

»Klar, wir können gerne was trinken gehen.«

Hunter lächelte. »Wie wär’s, wenn wir uns im Edison treffen, das ist im Higgins Building an der Ecke Second und Main?«

»Ja, das kenne ich. In einer halben Stunde?«

»Bis gleich.« Hunter legte auf.

Draußen auf der Straße blieb er an der Ecke South Broadway und West First Street stehen und beobachtete einen Moment lang den Verkehr. Er berührte die Wunden an seiner Wange, ehe er den Blick senkte und den Umschlag betrachtete, den er in der Hand hielt. Er war an Michelle Howard, die Chefredakteurin der LA Times, adressiert. Sie hatte einige Jahre zuvor selbst für Schlagzeilen gesorgt, als sie öffentlich bekannt hatte, als junges Mädchen Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden zu sein. Die Täter waren nie gefasst worden.

Hunter hatte weder Garcia noch Captain Blake noch Alice oder sonst jemandem von dem digitalen Aufnahmegerät erzählt, das Olivia ihm gegeben hatte. Er holte es aus seiner Tasche und starrte es lange an, bevor er es in den Umschlag fallen ließ, ihn zuklebte und in den Briefkasten steckte, vor dem er stehen geblieben war.

Jetzt war seine Arbeit getan.

Dann ging er weiter, Richtung Second und Main.