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Langsam senkte Haremhab sein Schwert und bedeutete seinen Männern, ihre Bögen wieder herunterzunehmen.

»Und wie sieht diese Zukunft aus? Wirst du diesen gebrechlichen alten Knochenhaufen ehelichen?«, fragte er und fuchtelte dabei verächtlich mit der Hand in Ejes Richtung.

»Mein König ist tot, aber nur ich kann einen Erben hervorbringen, einen Sohn, der wiederum König sein wird. Das ist meine Bestimmung, und die werde ich erfüllen. Den Vater meines Sohnes werde ich mir sorgfältig aussuchen, er wird der Tauglichste und Beste der Besten sein. Ich werde ihn mir selbst aussuchen, kein Mann wird über mich zu bestimmen haben. Den Mann, der sich als fähig erweist, dieser edle Herr zu sein, werde ich zu meinem Gemahl nehmen. Und er wird König werden, an meiner Seite. Zu gegebener Zeit werden wir gemeinsam die Beiden Länder regieren. Und vielleicht werdet Ihr, mein Herr, Euch als fähig erweisen, dieser mir ebenbürtige Mann zu sein.«

Jetzt meldete Eje sich zu Wort, der bisher während dieses gesamten Wortwechsels den Mund gehalten hatte.

»Das sind die Bedingungen«, erklärte er und fügte hinzu: »Ihr solltet wissen, dass über uns und am Eingang zum Tal eintausend Palastwachen postiert sind. Sie sind darauf eingestellt, alles zu tun, was erforderlich ist, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Wie lautet Eure Antwort?«

Haremhab schaute nach oben, und auf den Steilhängen standen plötzlich zu beiden Seiten neue Reihen dunkler Gestalten, die Bögen in den Händen hielten.

»Habt Ihr Euch eingebildet, ich hätte nicht jeden einzelnen Schritt vorausgesehen, den Ihr Euch möglicherweise hättet einfallen lassen können?«, sprach Eje weiter.

Haremhab betrachtete die beiden. Dann trat er sehr dicht an sie heran.

»Wunderbar: ein alter Mann mit Zahnschmerzen und ein schwaches Mädchen mit Träumen von Glanz und Gloria, die nach den Zügeln der Macht greifen, und ein nutzloser Medjai, der gelernt hat, dass seine Familie niemals in Sicherheit sein wird. Hört zu …«

Und dann breitete er die Arme aus, als wolle er die gewaltige Stille der Nacht und der Wüste umarmen, die uns alle wie Zwerge erscheinen ließ.

»Wisst Ihr, was das ist?«, sprach er. »Das ist der Klang der Zeit. Ihr hört nichts als Stille, und dennoch brüllt sie wie ein Löwe. Es gibt keinen Gott, nur die Zeit, und ich bin ihr General. Ich werde warten. Meine Stunde naht, und wenn sie schlägt, triumphal und glorreich, werdet Ihr zwei nur noch Staub sein, wie auch Eure Namen nur noch Staub sein werden, denn ich werde sie auslöschen, jeden einzelnen von ihren Steinen entfernen. Und Eure Paläste werden meine Paläste werden, und statt Eurer Dynastie wird es eine neue Dynastie geben, die meinen Namen trägt und in der auf jeden starken Vater ein heldenhaft tapferer Sohn folgt, Generation für Generation, hinein in die Zukunft, bis in alle Ewigkeit.«

Und dann lächelte er, als sei der Sieg ihm gewiss, drehte sich um und marschierte, gefolgt von seinen Soldaten, in die Dunkelheit davon.

Mit unheilvoller Miene sah Eje ihm nach.

»Dieser Mann hat nichts als Flausen im Kopf. Komm, es gibt viel zu tun.«

Im nächsten Moment wimmerte er plötzlich auf und griff sich an seinen Kiefer. Wie es schien, konnte keine Macht der Welt die Schmerzen lindern, die seine faulenden Zähne ihm bereiteten.

Bevor sie in ihre ungewisse Zukunft entschwand, sprach Anchesenamun mich leise an.

»Ich habe mich an dich gewandt und um Hilfe gebeten. Du hast alles riskiert, um mir in dieser schweren Zeit zu helfen. Ich habe gehört, wie er deine Familie bedroht hat. Sei also versichert, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht liegt, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Du weißt, ich möchte, dass du mein persönlicher Leibwächter wirst. Dieses Angebot bleibt bestehen. Es würde mich glücklich machen, dich zu sehen.«

Ich nickte. Traurig schaute sie auf den versiegelten Eingang zur Gruft ihres verstorbenen, jungen Gemahls. Dann drehte sie sich um und ging, gefolgt von Khay und den anderen Adligen, und alle bestiegen sie ihre Streitwagen, die sie über die lange gepflasterte Straße zum Palast der Schatten zurückbringen würden, wo sie die gnadenlose Aufgabe erwartete, für eine sichere Zukunft der Beiden Länder zu sorgen. Ich dachte an das, was Haremhab über Macht gesagt hatte, dass sie eine grobschlächtige Bestie sei. Ich hoffte, dass die Königin lernte, sie zu zähmen.

Simut und ich standen da und sahen ihnen nach. Rasch wich die Finsternis dem Licht der Morgendämmerung.

»Ich fürchte, Haremhab hat recht. Eje wird nicht mehr lange leben, und ohne einen Erben kann die Königin nicht regieren. Nicht, solange Haremhab darauf wartet, dass seine Stunde schlägt.«

»Richtig. Sie entwickelt sich aber zusehends zu einer mächtigen Frau. Das hat sie von ihrer Mutter. Und das gibt mir Hoffnung«, sagte ich mit einem völlig überraschenden Anflug von Optimismus.

»Komm«, schlug Simut vor, »lass uns auf den Gipfel des Hügels steigen und dabei zusehen, wie an diesem neuen Tag die Sonne aufgeht.«

Also kletterten wir über die Pfade, die sich wie Narben in das unebene, düstere, alte Fell des Hügels gegraben hatten, und schon bald taten sich vor uns in einem gewaltigen Panorama die schemenhaften Umrisse der Welt auf: die fruchtbaren Felder, die es schon seit ewigen Zeiten gab, die endlos dahinströmenden Wasser des Großen Flusses und die schlafende Stadt mit ihren grandiosen Tempeln und Türmen, ihren prächtigen, stillen Palästen, ihren Gefängnissen und Hütten, ihren ruhigen Wohngegenden und den düsteren Armenvierteln in der Ferne. Ich sog tief die kalte, frische Luft ein. Sie erfrischte und stärkte mich. Die letzten Sterne verblassten, und der Horizont hinter der Stadt bekam plötzlich einen rötlichen Glanz. Der König war tot. Ich erinnerte mich an seine Augen und an sein goldenes Gesicht, daran, wie er unten in der Finsternis lag, in der er vielleicht in diesem Moment sah – wer wusste das schon? –, wie das Totenreich sich vor ihm auftat, das Licht der Ewigkeit erstrahlte und seine Seele sich wieder mit seinem Körper vereinte.

Mir reichte völlig, was meine Augen von unserer Welt sahen. Der Rauch der ersten Feuer begann sich in die stille, reine Luft zu winden. In weiter Ferne hörte ich die ersten Vögel singen. Ich legte meine Hand auf Thots Kopf. Mit seinen weisen, alten Augen schaute er zu mir auf. Meine Kinder und meine Frau schliefen sicher noch. Wenn sie aufwachten, wollte ich gern bei ihnen sein, um sie zu begrüßen. Ich musste einen Weg finden, fest daran glauben zu können, dass wir trotz der Gefahren und Bedrohungen der Zukunft, die vor uns lag, ein sicheres Leben führen konnten. Ich schaute hoch in den indigoblauen Himmel und auf den Horizont, der mit jedem Moment lichter wurde. Bald würde es hell sein.

NACHWORT

Seit 1922, als Howard Carter im Tal der Könige seine sensationelle Entdeckung machte, ist Tutanchamun die berühmteste, fesselndste und in mancherlei Hinsicht mysteriöseste Figur des alten Ägyptens. 1972, als ich noch ein Kind war, ging man mit mir ins Britische Museum, damit ich mir dort die große Tutanchamun-Ausstellung ansah. Seine Grabbeigaben – unter anderem der goldene Schrein, vergoldete Statuetten, die ihn in selbstsicherer Pose mit einem Speer darstellten oder mit der Geißel, einem der Insignien der Macht, der »Lotoskelch« aus Alabaster, ein goldenes Zepter, prachtvolle Juwelen, eine große Bronzetrompete, ein Bumerang und ein aufwendig verzierter Pfeil aus seiner Jagdausrüstung – wirkten wie die Schätze einer verlorenen Welt. Vor allem seine aus purem Gold gehämmerte Totenmaske – mit Sicherheit eines der großartigsten Stücke des Kunsthandwerks der Antike – schien ein Sinnbild für das gewaltige Mysterium zu sein, das den sogenannten »Kindkönig« umrankte, der so große Macht innegehabt und inmitten derartiger Wunderwerke gelebt hatte, trotzdem aber unter rätselhaften Umständen gestorben war – jung, aller Wahrscheinlichkeit nach vor seinem zwanzigsten Geburtstag –, und den man hastig bestattet und die nächsten rund 3300 Jahre komplett vergessen hatte.