«All das du hast getan?»
«Habe all das getan.»
«Und wer war der Anführer?»
Sie schweigt.
«Hanna! Wer war dein Anführer? Mit wem seid ihr zum Sabbat, wer hat euch fliegen gelehrt?»
Sie schweigt.
«Hanna?»
Sie hebt die Hand und zeigt auf den Müller.
«Du musst es sagen, Hanna.»
«Er.»
«Lauter!»
«Er war's.»
Doktor Tesimond macht eine Handbewegung, der Wächter stößt den Müller nach vorne. Nun beginnt der Hauptteil des Prozesses. Auf die alte Hanna sind sie nur nebenbei gekommen, ein Hexer hat fast immer ein Gefolge; dennoch hat es eine Weile gedauert, bis Ludwig Stellings Frau unter Strafandrohung zugegeben hat, dass ihr Rheuma sie erst plagt, seitdem sie Streit mit Hanna Krell hatte, und wiederum erst nach einer Woche Befragung ist auch Magda Steger und Maria
Loserin aufgefallen, dass Unwetter stets dann gekommen sind, wenn Hanna angeblich zu krank für den Kirchgang war. Hanna selbst hat nicht lange geleugnet. Schon als Meister Tilman ihr die Instrumente zeigte, hat sie begonnen, ihre Verbrechen zuzugeben, und als er ernsthaft ans Werk gegangen ist, hat sich sehr schnell deren volles Ausmaß erschlossen.
«Claus Ulenspiegel!» Doktor Tesimond hält drei Blätter in die Luft. «Dein Geständnis!»
Doktor Kircher sieht die Blätter in den Händen seines Mentors, und sofort schmerzt sein Kopf. Jeden Satz darauf kann er auswendig, immer wieder hat er es neu geschrieben, vor der verschlossenen Tür des Befragungszimmers, durch die man alles hören konnte.
«Darf ich was sagen?», fragt der Müller.
Doktor Tesimond sieht ihn missbilligend an.
«Bitte», sagt der Müller. Er reibt den roten Abdruck des Lederbandes auf seiner Stirn. Die Ketten klirren.
«Was denn?», fragt Doktor Tesimond.
So ist es die ganze Zeit gegangen. Ein so schwieriger Fall wie dieser Müller, hat Doktor Tesimond immer wieder gesagt, sei ihm noch nie untergekommen! Und so ist es immer noch, trotz aller Mühen Meister Tilmans - trotz Klinge und Nadel, trotz Salz und Feuer, trotz Lederschlinge, nasser Schuhe, Daumenschraube und stählerner Gräfin -, alles unklar. Ein Scharfrichter weiß Zungen zu lösen, aber was tut er mit einem, der redet und redet und dem es nicht das Geringste ausmacht, sich selbst zu widersprechen, als hätte Aristoteles nichts über
Logik verfasst? Zunächst hat Doktor Tesimond es für eine perfide List gehalten, aber dann ist ihm aufgefallen, dass sich in den Konfusionen des Müllers immer auch Bruchstücke von Wahrheiten, ja sogar verwunderliche Einsichten befunden haben.
«Ich hab nachgedacht», sagt Claus. «Ich weiß jetzt Bescheid. Über meine Irrtümer. Ich bitte um Verzeihung. Ich bitte um Gnade.»
«Hast du getan, was diese Frau gesagt hat? Den Hexensabbat angeführt, hast du das?»
«Ich hab mich für klug gehalten», sagt der Müller mit zu Boden gerichtetem Blick. «Ich hab mich überschätzt. Hab dem Kopf zu viel zugemutet, dem blöden Verstand, es tut mir leid. Ich bitte um Gnade.»
«Und der Schadenszauber? Die zu Schanden gewordenen Felder? Die Kälte, der Regen, warst das du?»
«Ich hab den Kranken geholfen nach alter Weise. Manchen hab ich nicht helfen können, die alten Mittel sind nicht so zuverlässig, ich hab immer mein Bestes getan, man hat mich ja nur bezahlt, wenn es geholfen hat. Ich hab die Zukunft derer, die sie kennen wollten, in Wasser und Vogelflug gelesen. Peter Stegers Vetter, nicht der Paul Steger, der andere, der Karl, ich hab ihm gesagt, dass er nicht auf die Buche steigen soll, auch nicht, um Schätze zu finden, tu es nicht, hab ich gesagt, und der Steger-Vetter hat gefragt: Ein Schatz auf meiner Buche? Und ich hab gesagt: Tu es nicht, Steger, und der Karl hat gesagt: Wenn da ein Schatz ist, will ich hinauf, und dann ist er
gefallen und hat sich den Kopf zerschlagen. Und ich komme nicht drauf, obwohl ich immer drüber nachdenke, ob eine Weissagung, die nicht in Erfüllung gegangen wäre, hätte ich sie nicht gemacht, eigentlich eine Weissagung ist oder was anderes.»
«Hast du das Geständnis der Hexe gehört? Dass sie dich den Anführer des Sabbats genannt hat, hast du das gehört?»
«Wenn da ein Schatz ist, auf der Buche, dann ist er immer noch dort.»
«Hast du die Hexe gehört?»
«Und die zwei Birkenblätter, die ich gefunden hab.»
«Nicht schon wieder!»
«Die haben ausgesehen wie ein einziges Blatt.»
«Nicht schon wieder die Blätter!»
Claus schwitzt, er atmet schwer. «Die Sache hat mich so verwirrt.» Er denkt nach, schüttelt den Kopf, kratzt sich den geschorenen Kopf, sodass seine Ketten klirren. «Darf ich die Blätter zeigen? Sie müssen noch in der Mühle sein, auf dem Dachboden, wo ich meinen dummen Studien nachgegangen bin.» Er dreht sich um und zeigt mit kettenrasselndem Arm über die Köpfe der Zuschauer. «Mein Sohn kann sie holen!»
«In der Mühle ist kein Zauberzeug mehr», sagt Doktor Tesimond. «Dort ist jetzt ein neuer Müller, und der wird den Krempel nicht aufbewahrt haben.»
«Und die Bücher?», fragt Claus leise.
Beunruhigt sieht Doktor Kircher, dass eine Fliege sich auf dem Papier in seinen Händen niederlässt. Ihre schwarzen
Beinchen folgen dem Lauf der Schriftzeichen. Kann es sein, dass sie ihm etwas sagen will? Aber sie bewegt sich so schnell, dass man das, was sie zeichnet, nicht lesen kann, und er darf sich nicht schon wieder ablenken lassen.
«Wo sind meine Bücher?», fragt Claus.
Doktor Tesimond macht seinem Adlatus ein Zeichen, und Doktor Kircher steht auf und verliest das Geständnis des Müllers.
In Gedanken ist er wieder bei den Ermittlungen. Der Knecht Sepp hat bereitwillig erzählt, wie oft er den Müller tagsüber in tiefem Schlaf vorgefunden hat. Ohne dass jemand solche Ohnmachten bezeugt, kann man keinen der Hexerei überführen, da gibt es strenge Regeln. Die Satansknechte lassen ihre Körper zurück und fliegen mit dem Geist hinaus in ferne Länder. Sogar Schütteln und Anschreien und Treten hätten nichts geholfen, so hat es Sepp zu Protokoll gegeben, und auch der Pfarrer hat den Müller schwer belastet: Ich verfluch dich, habe er gerufen, sobald einer im Dorf ihn verärgert habe, ich verbrenn dich, ich mach dir Schmerzen! Vom ganzen Dorf habe er Gehorsam verlangt, jeder habe seinen Zorn gefürchtet. Und die Frau des Bäckers hat einmal die Dämonen gesehen, die er nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Steger-Feld beschworen hat: Von Schlünden, Zähnen, Klauen und großen Gemächten hat sie gesprochen, schleimigen Gestalten der Mitternacht, Doktor Kircher hat es kaum über sich gebracht, das aufzuschreiben. Und dann haben vier, fünf, sechs Dorfbewohner, und dann noch drei und dann noch zwei, immer mehr und mehr, ausführlich beschrieben, wie oft er schlechtes Wetter über ihre Felder gebracht habe. Schadenszauber ist noch wichtiger als Ohnmacht - wenn er nicht bezeugt ist, kann man einen Angeklagten nur für Ketzerei verurteilen, aber nicht als Hexer. Um sicherzustellen, dass es keinen Irrtum gibt, hat Doktor Kircher den Zeugen tagelang die Gesten und Worte erklärt, die sie bemerkt haben müssen, ihre Köpfe arbeiten langsam, alles muss man wiederholen, die Bannflüche, die alten Formeln, die Satansbeschwörungen, bevor sie sich erinnern. Tatsächlich hat sich hernach herausgestellt, dass sie alle die richtigen Worte gehört und die richtigen Beschwörungsgesten gesehen haben, nur der Bäcker, der auch befragt wurde, war sich plötzlich nicht mehr sicher, aber dann hat Doktor Tesimond ihn zur Seite genommen und gefragt, ob er wirklich einen Hexer schützen wolle und ob sein Leben so rein sei, dass er eine genaue Untersuchung nicht zu fürchten habe. Da hat sich der Bäcker dann doch erinnert, dass er alles gesehen hat, was die anderen gesehen haben, und dann hat nichts mehr gefehlt, um den Müller im scharfen Verhör zum Geständnis zu führen.
«Den Hagel habe ich auf die Felder geschickt», liest Doktor Kircher vor. «In die Erde habe ich meine Kreise geritzt, die Kräfte drunten und die Dämonen droben und den Herrn der Luft angerufen, Schande auf die Äcker, Eis auf die Erde, Tod dem Korn gebracht. Zudem habe ich mich in den Besitz eines verbotenen Buches gesetzt, in lateinischer Sprache ...»