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«Bitte von allem.»

Meister Tilman geht schweigend hinaus, und Claus macht sich über den Kuchen her. Und während er die warme, weiche, süße Masse zerkaut, wird ihm plötzlich klar, dass er immer Hunger gehabt hat: Tag und Nacht, abends und morgens. Nur hat er nicht mehr gewusst, dass das Hunger ist - dieses Gefühl des Ungenügens, die Hohlheit in allem, die nie nachlassende Schwäche des Körpers, die die Knie und die Hände schlaff macht und den Kopf verwirrt. Das war nicht nötig, das hätte so nicht sein müssen, das war einfach nur der Hunger!

Die Tür geht knarrend auf, und Meister Tilman trägt ein Brett mit Schüsseln herein. Claus seufzt vor Freude. Meister Tilman, der das Seufzen missversteht, stellt das Tablett ab und legt ihm eine Hand auf die Schulter.

«Wird schon», sagt er.

«Ich weiß», sagt Claus.

«Geht ganz schnell. Ich kann das. Ich versprech's dir.»

«Danke», sagt Claus.

«Manchmal ärgern mich die Armesünder. Dann geht es nicht schnell. Das kannst du mir glauben. Aber du hast mich nicht

geärgert.»

Claus nickt dankbar.

«Sind bessere Zeiten jetzt. Früher hat man euch alle verbrannt. Das dauert, das ist nicht schön. Aber Hängen ist nichts. Das geht schnell. Du steigst aufs Gerüst, kaum versiehst du dich, stehst schon vor dem Schöpfer. Verbrannt wirst du erst danach, aber da bist du schon tot, das stört dich gar nicht, wirst sehen.»

«Gut», sagt Claus.

Die beiden blicken einander an. Meister Tilman scheint nicht gehen zu wollen. Man könnte meinen, dass es ihm im Stall gefällt.

«Bist kein übler Kerl», sagt Meister Tilman.

«Danke.»

«Für einen Teufelsbündler.»

Claus zuckt die Achseln.

Meister Tilman geht hinaus und verschließt umständlich die Tür.

Claus isst weiter. Wieder versucht er, es sich vorzustellen: Die Häuser da draußen, die Vögel am Himmel, die Wolken, der braungrüne Erdboden mit Gras und Feldern und all den Maulwurfshügeln im Frühling, denn die Maulwürfe wirst du nicht los, mit keinem Kraut und keinem Spruch, und der Regen natürlich - all das weiterhin, aber er nicht.

Nur kann er sich das nicht vorstellen.

Denn immer wenn er sich eine Welt ohne Claus Ulenspiegel ausmalt, schmuggelt seine Einbildung genau jenen Claus

Ulenspiegel, den sie wegschaffen sollte, wieder hinein - als Unsichtbaren, als Auge ohne Körper, als Gespenst. Wenn er sich aber wirklich ganz und gar wegdenkt, so verschwindet die Welt, die er sich ohne Claus Ulenspiegel vorstellen möchte, mit ihm. So oft er es auch versucht, es ist immer das Gleiche. Darf er daraus schließen, dass er in Sicherheit ist? Dass er gar nicht weg sein kann, weil die Welt ja schließlich nicht verschwinden darf und weil sie aber verschwinden müsste ohne ihn?

Das Schweinefleisch schmeckt immer noch herrlich, aber Kuchen, das fällt ihm jetzt auf, hat Meister Tilman nicht mehr gebracht, und weil der Kuchen das Allerbeste war, versucht es Claus und ruft noch einmal.

Der Scharfrichter kommt herein.

«Kann ich noch Kuchen haben?»

Meister Tilman antwortet nicht und geht hinaus. Claus kaut das Schweinefleisch. Jetzt, wo der Hunger gestillt ist, merkt er erst richtig, wie gut es schmeckt, wie fein und reich, wie warm und salzig und ein bisschen süß. Er betrachtet die Wand des Stalls. Wenn man kurz vor Mitternacht ein Quadrat aufmalt und dazu mit etwas Blut zwei doppelte Kreise auf dem Boden zieht und dreimal den dritten der verborgenen Namen des Allmächtigen anruft, dann erscheint eine Tür, und man kann sich davonmachen. Das Problem wären nur die Ketten, denn um die loszuwerden, bräuchte man den Absud von Zinnkraut; er müsste also mit Ketten fliehen und unterwegs Zinnkraut finden, aber Claus ist müde, und sein Körper schmerzt, und jetzt ist auch nicht die Jahreszeit für Zinnkraut.

Und es ist schwierig, anderswo neu anzufangen. Früher wäre es gegangen, aber jetzt ist er älter und hat nicht mehr die Kraft, wieder ein ehrloser fahrender Geselle zu sein, ein verachteter Taglöhner am Rand irgendeines Dorfes, ein von allen gemiedener Fremder. Man könnte nicht einmal als Heiler arbeiten, weil das auffallen würde.

Nein, gehängt zu werden ist leichter. Und wenn es so sein sollte, dass man sich nach dem Tod an das, was vorher war, erinnert, so könnte einen das im Weltwissen weiter voranbringen als zehn Jahre des Suchens und Forschens. Vielleicht wird er danach die Sache mit der Mondbahn verstehen, vielleicht auch begreifen, bei welchem Korn der Haufen aufhört, ein Haufen zu sein, womöglich sogar sehen, wodurch sich zwei Blätter unterscheiden, zwischen denen es keinen anderen Unterschied gibt als den, dass sie eben zwei sind und nicht eines. Vielleicht liegt es an dem Wein und der warmen Wohligkeit, die Claus zum ersten Mal im Leben erfasst, jedenfalls will er nicht mehr hinaus. Mag die Wand bleiben, wo sie ist.

Der Riegel wird zurückgeschoben, Meister Tilman bringt Kuchen. «Das war's jetzt aber, noch mal komm ich nicht.» Er klopft Claus auf die Schulter, das tut er gern, vermutlich weil er die Menschen draußen nie berühren darf. Dann gähnt er, geht hinaus und schlägt die Tür so laut zu, dass der schlafende Mann erwacht.

Der richtet sich auf, rekelt sich und blickt sich nach allen Seiten um. «Wo ist die alte Frau?»

«Im anderen Stall», sagt Claus. «Das ist ein Glück. Sie jammert dauernd, es ist nicht auszuhalten.»

«Gib mir Wein!»

Claus sieht ihn erschrocken an. Er will antworten, dass das sein Wein ist, ganz allein seiner, dass er ihn redlich verdient hat, weil er dafür sterben muss. Aber dann tut ihm der Mann leid, der es schließlich auch nicht leichthat, also reicht er ihm den Krug. Der Mann nimmt ihn und trinkt mit großen Schlucken. Hör auf, will Claus rufen, ich krieg nicht mehr! Doch er bringt es nicht über sich, denn das ist jemand von Stand, so einem befiehlt man nichts. Der Wein läuft ihm am Kinn herab und macht Flecken auf seinem Samtkragen, aber es scheint ihn nicht zu kümmern, so durstig ist er.

Endlich setzt er den Krug ab und sagt: «Mein Gott, das ist guter Wein!»

«Jaja», sagt Claus, «sehr guter.» Er hofft inständig, dass der Mann den Kuchen nicht auch noch will.

«Jetzt, wo uns keiner hört. Sag mir die Wahrheit. Warst du mit dem Teufel im Bund?»

«Ich weiß nicht, gnädiger Herr.»

«Wie kann man das nicht wissen?»

Claus überlegt. Es ist offensichtlich, dass er etwas falsch gemacht hat in seinem dummen Kopf, sonst wäre er nicht hier. Aber er weiß nicht so recht, was es eigentlich war. So lange ist er befragt worden, immer wieder und wieder, unter so vielen Schmerzen, so oft hat er seine Geschichte neu erzählen müssen, jedes Mal hat noch etwas gefehlt, immer musste er etwas hinzufügen, noch einen Dämon, der beschrieben werden musste, noch eine Beschwörung, noch ein dunkles Buch, noch einen Sabbat, damit Meister Tilman von ihm abließ, und dann musste er auch diese neuen Einzelheiten wieder und wieder erzählen, sodass er nicht mehr so recht weiß, was er hat erfinden müssen und was wirklich passiert ist in seinem kurzen Leben, in dem es ohnehin nicht viel Ordnung gab: Mal ist er hier gewesen, mal dort, dann anderswo, und dann war er plötzlich im Mehlstaub, und die Frau war unzufrieden, und die Knechte hatten keinen Respekt, und jetzt ist er in Ketten, und das ist schon alles gewesen. So, wie der Kuchen gleich aufgegessen sein wird, drei oder vier Bissen noch, vielleicht fünf, wenn man immer nur ganz wenig nimmt.

«Ich weiß es nicht», sagt er noch einmal.

«Verfluchtes Missgeschick», sagt der Mann und blickt auf den Kuchen.

Erschrocken nimmt Claus alles, was noch da ist, und schluckt es hinunter, ohne zu kauen. Der Kuchen füllt seinen Hals, er schluckt, so fest er kann; weg ist er. Das war es also mit dem Essen. Für immer.

«Gnädiger Herr», sagt Claus, um zu zeigen, dass er weiß, was sich gehört. «Was passiert jetzt noch mit Euch?»

«Schwer vorauszusagen. Ist man drin, kommt man nicht gut raus. Sie werden mich in die Stadt bringen, dann werden sie mich verhören. Ich werde irgendwas zugeben müssen.» Seufzend betrachtet er seine Hände. Offensichtlich denkt er an den Scharfrichter; jeder weiß, dass der stets bei den Fingern