«Das verstehe ich nicht», sagte der dicke Graf.
«Du musst dir die Hand abbinden.» Ulenspiegel riss einen Streifen von der Kutte und wand ihn dem dicken Grafen um den Arm.
Schon damals ahnte er, dass das alles in seinem Buch einst anders berichtet werden müsste. Keine Beschreibung würde ihm gelingen, denn alles würde sich entziehen, und die Sätze, die er formen konnte, würden nicht zu den Bildern in seinem Gedächtnis passen.
Und wirklich: Das, was passiert war, tauchte nicht einmal in seinen Träumen auf. Nur manchmal erkannte er da in scheinbar ganz anderen Ereignissen ein fernes Echo jener Momente, als er am Waldrand des Streitheimer Forsts in der Nähe von Zusmarshausen ins Feuer geraten war.
Jahre später befragte er den unglücklichen Grafen Gronsfeld, den der bayerische Kurfürst nach der Niederlage kurzerhand hatte verhaften lassen. Zahnlos, müde und hustend nannte der einstige Befehlshaber der bayerischen Truppen ihm die Namen und Orte, er beschrieb die Stärke der verschiedenen Einheiten und zeichnete Aufmarschpläne, sodass es dem dicken Grafen einigermaßen gelang, sich Rechenschaft abzulegen, wo ungefähr er gewesen und was ihm und seinen Gefährten widerfahren war. Doch die Sätze wollten sich nicht fügen. Und so stahl er andere.
In einem beliebten Roman fand er eine Beschreibung, die ihm gefiel, und wenn Menschen ihn drängten, die letzte Feldschlacht des großen deutschen Krieges zu schildern, so sagte er ihnen das, was er in Grimmelshausens Simplicissimus gelesen hatte. Es passte nicht recht, weil es sich dort um die Schlacht von Wittstock handelte, aber das störte keinen, nie fragte jemand nach. Was der dicke Graf nicht wissen konnte, war aber, dass Grimmelshausen die Schlacht von Wittstock zwar selbst erlebt, aber ebenfalls nicht hatte beschreiben können und stattdessen die Sätze eines von Martin Opitz übersetzten englischen Romans gestohlen hatte, dessen Autor nie im Leben bei einer Schlacht dabei gewesen war.
In seinem Buch berichtete der dicke Graf dann auch knapp von der Nacht im Wald, in der ihm der mit einem Mal gesprächig gewordene Narr von seiner Zeit am Hof des Winterkönigs in Den Haag erzählt hatte und davon, wie er drei Jahre zuvor bei der Belagerung von Brünn verschüttet worden war. Zuerst habe er es sich mit dem Stadtkommandanten verscherzt, wegen einer Bemerkung über dessen Gesicht, sodass der ihn zu den Mineuren gesteckt habe, und dann sei der Schacht über seiner Einheit eingestürzt, hier, die Narbe an der Stirn, die habe er davongetragen. Eingesperrt in der Finsternis sei er gewesen, tief drunten, kein Ausweg, keine Luft, doch dann die wundersame Rettung. Es sei eine unglaubliche und wilde Geschichte gewesen, schrieb der dicke Graf, und der Umstand, dass er danach abrupt das Thema wechselte und nicht darauf einging, wie die Wunderrettung unter Brünn denn eigentlich vonstattengegangen war, sollte später die Ratlosigkeit und Wut so mancher Leser wecken.
Ulenspiegel jedenfalls war ein guter Erzähler, besser als der Abt und besser auch als der dicke Graf, den die Geschichten von den pochenden Schmerzen in seiner Hand ablenkten. Keine Sorge, sagte der Narr, in dieser Nacht würden die Wölfe genug zu fressen finden.
Im ersten Morgenlicht brachen sie auf. Sie umgingen das Schlachtfeld, von dem ein Geruch zu ihnen wehte, den der dicke Graf sich nie hätte vorstellen können, dann wanderten sie über Schlipsheim, Hainhofen und Ottmarshausen. Ulenspiegel kannte sich aus, und er war ruhig und besonnen und beleidigte den dicken Grafen kein einziges Mal mehr.
Die leere Landschaft hatte sich mit Menschen gefüllt. Bauern zogen ihre Habe in Leiterwagen, versprengte Soldaten suchten nach ihrer Einheit und Familie, Verletzte hockten am Wegrand, notdürftig verbunden, reglos vor sich hin starrend. Die beiden ließen das brennende Oberhausen westlich liegen und kamen nach Augsburg, wo die verbliebene Armee des Kaisers sich gesammelt hatte. Sie war nach der Niederlage nicht mehr groß.
Das Heerlager vor der Stadt stank noch schlimmer als das Schlachtfeld. Wie Höllenvisionen brannten sich die verformten Leiber, die schwärenden Gesichter, die offenen Wunden, die Kothaufen ins Gedächtnis des dicken Grafen ein. Ich werde nie mehr derselbe sein, dachte er, während sie sich den Weg zum Stadttor bahnten, und: Es sind doch nur Bilder, sie können mir nichts tun, sie fassen mich nicht an, nur Bilder. Und er malte sich aus, er wäre ein anderer, der unsichtbar neben ihnen ging und nicht sehen musste, was er sah.
Am Nachmittag erreichten sie die Tore der Stadt. Besorgt gab sich der dicke Graf den Wächtern zu erkennen, und es überraschte ihn selbst, als sie ihm alles glaubten und sie ohne Zögern einließen.
Könige im Winter
Es war November. Die Weinvorräte waren erschöpft, und weil der Brunnen im Garten verdreckt war, tranken sie nur noch Milch. Da sie sich keine Kerzen mehr leisten konnten, ging der ganze Hofstaat abends mit der Sonne schlafen. Die Dinge standen nicht gut, doch immerhin gab es noch Prinzen, die für Liz sterben wollten. Vor kurzem war einer hier in Den Haag gewesen, Christian von Braunschweig, und hatte ihr versprochen, pour Dieu et pour elle auf seine Feldzeichen sticken zu lassen, und danach, das hatte er mit Inbrunst geschworen, wollte er für sie siegen oder sterben. Er war ein aufgeregter Held, die Ergriffenheit über sich selbst trieb ihm Tränen in die Augen. Friedrich hatte ihm beruhigend auf die Schulter geklopft, und sie hatte ihm ihr Taschentuch gegeben, aber da war er von neuem in Tränen ausgebrochen, so sehr hatte der Gedanke, ein Tuch von ihr zu besitzen, ihn überwältigt. Sie hatte ihn mit königlichem Segen bedacht, und er war aufgewühlt seiner Wege gezogen.
Natürlich würde er es nicht zustande bringen, nicht für Gott und auch nicht für sie. Dieser Prinz hatte wenige Soldaten und kein Geld, und er war auch nicht besonders klug. Es brauchte andere Kaliber, um Wallenstein zu besiegen, etwa jemanden
wie den Schwedenkönig, der vor kurzem wie ein Gewitter über das Reich gekommen war und bisher alle Schlachten gewonnen hatte. Ihn hätte sie einst heiraten sollen, nach Papas Plänen, aber er hatte sie nicht gewollt.
Fast zwanzig Jahre war es her, dass sie stattdessen ihren armen Friedrich geheiratet hatte. Zwanzig deutsche Jahre, ein Wirbel von Ereignissen und Gesichtern und Lärm und schlechtem Wetter und noch schlechterem Essen und ganz miserablem Theater.
Das gute Theater hatte ihr am meisten gefehlt, von Anfang an, mehr noch als das genießbare Essen. In deutschen Landen kannte man kein richtiges Theater, da zogen armselige Komödianten durch den Regen und schrien und hüpften und furzten und prügelten einander. Wahrscheinlich lag es an der klobigen Sprache; das war keine Sprache fürs Theater, ein Gebräu von Stöhnlauten und harten Grunzern war das, es war eine Sprache, die klang, als kämpfte einer gegen das Würgen, als hätte ein Rind einen Hustenanfall, als käme jemandem sein Bier aus der Nase. Was hätte ein Dichter mit dieser Sprache anfangen sollen? Sie hatte es ja versucht mit der deutschen Literatur, einmal mit diesem Opitz und dann noch mit einem anderen, aber sie hatte den Namen vergessen; sie konnte sich diese Leute nicht merken, die immer Krautbacher oder Engelkrämer oder Kargholzsteingrömpl hießen, und wenn man mit Chaucer aufgewachsen war und John Donne einem Verse gewidmet hatte - «fair phoenix bride», hatte er sie genannt, «and from thine eye all lesser birds will take their jollity» -,