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dann konnte man sich bei aller Höflichkeit nicht dazu überwinden, so zu tun, als wäre das deutsche Blöken etwas wert.

Sie dachte oft ans Hoftheater in Whitehall zurück. An die kleinen Gesten der Schauspieler dachte sie, an die langen Sätze, deren Rhythmus ständig wechselte wie Musik, mal schnell und klappernd, mal lang ausschwingend, mal fragend, mal scharf befehlend. Wann immer sie an den Hof gekommen war, um die Eltern zu besuchen, hatten dort Theatervorstellungen stattgefunden. Leute standen auf der Bühne und verstellten sich, aber sie hatte sofort begriffen, dass das gar nicht stimmte und dass auch die Verstellung bloß eine Maske war, denn falsch war nicht das Theater, nein, alles andere war Getue, Verkleidung und Firlefanz, alles, was nicht Theater war, war falsch. Auf der Bühne waren die Menschen sie selbst, ganz wahr, völlig durchsichtig.

Im wirklichen Leben sprach keiner Monologe. Da behielt jeder seine Gedanken für sich, da konnte man nicht in Gesichtern lesen, da schleppte jeder das tote Gewicht seiner Geheimnisse. Niemand stand allein in seinem Zimmer und redete laut darüber, was er wollte und fürchtete, aber wenn Burbage das auf der Bühne tat, mit seiner knarrenden Stimme, die sehr dünnen Finger auf Augenhöhe, kam es einem unnatürlich vor, dass alle immerzu versteckten, was in ihnen vorging. Und was für Wörter er gebrauchte! Reiche Wörter, seltene, die schimmerten wie wertvolle Stoffe - Sätze, so perfekt gefügt, wie man es selbst nie fertig gebracht hätte. So sollte es sein, sagte einem das Theater, so solltest du reden, so dich halten, so fühlen, so wäre es, ein wahrer Mensch zu sein.

Wenn die Vorstellung vorbei war und der Applaus verklungen, kehrten die Schauspieler in den Stand der Armseligkeit zurück. In der Verbeugung standen sie wie verloschene Kerzen. Dann kamen sie tief gebückt heran, Alleyn und Kemp und der große Burbage selbst, um Papas Hand zu küssen, und fragte Papa etwas, so antworteten sie wie Leute, denen die Sprache widerstand und keine klaren Sätze einfielen. Burbages Gesicht war wächsern und müde, und an seinen nun eher hässlichen Händen war nichts Besonderes mehr. Kaum zu glauben, wie schnell der Geist der Leichtigkeit ihn verlassen hatte.

Jener Geist war selbst in einem der Stücke vorgekommen, zu Allerheiligen hatten sie es gespielt. Es ging um einen alten Herzog auf einer Zauberinsel, er fing seine Feinde ein, nur um sie dann plötzlich zu verschonen. Damals hatte sie nicht verstehen können, warum er Milde walten ließ, und wenn sie heute darüber nachdachte, verstand sie es immer noch nicht. Würde sie Wallenstein oder den Kaiser in ihre Gewalt bekommen, sie würde das anders halten! Am Schluss des Stücks hatte der Herzog seinen dienstbaren Geist einfach entlassen, auf dass er in die Wolken, die Luft, das Sonnenlicht und die Meeresbläue eingehen konnte, und war zurückgeblieben wie ein alter Mehlsack, ein runzeliger Schauspieler, der sich noch kurz dafür entschuldigte, dass er keinen Text mehr hatte. Der Prinzipal der King's Men hatte die

Rolle damals selbst übernommen. Er war keiner der großen Darsteller, kein Kemp und schon gar kein Burbage, man merkte ihm sogar an, dass es ihm nicht leichtfiel, sich den Text zu merken, den kein anderer als er geschrieben hatte. Nach der Vorstellung hatte er ihr mit weichen Lippen die Hand geküsst, und weil man ihr eingeschärft hatte, dass sie in solchen Momenten immer irgendeine Frage stellen müsse, hatte sie sich erkundigt, ob er Kinder habe.

«Zwei Töchter. Und einen Sohn. Aber der ist gestorben.»

Sie wartete, denn jetzt wäre es an Papa gewesen, etwas zu sagen. Aber Papa schwieg. Der Prinzipal sah sie an, sie sah ihn an, ihr Herz begann zu klopfen. Alle Menschen im Raum warteten, all die Herren mit ihren Seidenkragen, all die Frauen mit Diademen und Fächern, sie blickten zu ihr. Und sie begriff, dass sie weitersprechen musste. So war Papa eben. Wenn man auf ihn rechnete, ließ er einen allein. Sie räusperte sich, um Zeit zu gewinnen. Aber man gewinnt nur wenig Zeit, indem man sich räuspert. Man kann sich nicht sehr lange räuspern, es hilft kaum weiter.

Also sagte sie, dass es ihr sehr leidtue, vom Tod seines Sohnes zu hören. Gott nehme so unversehens, wie er gebe, seine Prüfungen seien rätselhaft, doch weise, und hätten wir sie würdig überstanden, machten sie uns stärker.

Für die Dauer eines Wimpernschlags war sie stolz auf sich gewesen. So etwas musste man erst einmal zustande bringen vor dem gesamten Hofstaat, da musste man gut erzogen sein und auch schnell im Kopf.

Der Prinzipal hatte gelächelt und das Haupt geneigt, und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie sich auf eine schwer zu beschreibende Weise blamiert hatte. Sie spürte, dass sie rot wurde, und weil sie sich auch dafür schämte, wurde sie noch röter. Sie räusperte sich erneut und fragte ihn nach dem Namen seines Sohnes. Nicht, dass es sie interessiert hätte. Aber ihr fiel sonst nichts ein.

Mit leiser Stimme antwortete er.

«Wirklich?», fragte sie überrascht. «Hamlet?»

«Hamnet.» Er holte Luft, dann sagte er nachdenklich und wie zu sich selbst, dass er zwar nicht wisse, ob er diese Prüfung Gottes so würdig überstanden habe, wie sie es ihm zugutehalte, dass er sich aber in einem Augenblick wie diesem, da er das Glück genieße, der Zukunft ins mädchenhafte Antlitz zu blicken, ganz sicher sei, dass ein Dasein, dessen Strom ihn zur Mündung eines solchen Meeres geführt habe, das schlechteste nicht gewesen sein könne, weshalb er, bestärkt von diesem Moment der Gnade, gesonnen sei, alle Qual und Lebensmüh, die hinter ihm und wohl auch noch vor ihm lägen, mit Dank hinzunehmen.

Da war ihr erst einmal nichts mehr eingefallen.

Schön und gut, sagte Papa endlich. Auf der Zukunft lägen Schatten. Es gebe mehr Hexen denn je. Der Franzose sei tückisch. Die junge Einheit Englands und Schottlands sei noch unerprobt, Verhängnis lauere überall. Aber am schlimmsten seien die Hexen.

Verhängnis lauere immer, antwortete der Prinzipal, das sei

das Wesen des Verhängnisses, doch die Hand eines großen Herrschers halte es zurück, wie die Luft die Schwere der Wolken halte, bevor diese sich in sanften Regen wandle.

Jetzt fiel wiederum Papa nichts ein. Das war lustig, weil das nicht oft passierte. Papa sah den Prinzipal an, alle sahen Papa an, keiner sagte etwas, und die Stille dauerte schon zu lange.

Schließlich wandte Papa sich ab - einfach so, ohne ein Wort. So machte er es oft, das war einer seiner Tricks, um Leute zu verunsichern. Normalerweise überlegten sie danach wochenlang, was sie falsch gemacht hatten und ob sie in Ungnade gefallen waren. Aber der Prinzipal schien es zu durchschauen. Gebeugt rückwärts gehend, entfernte er sich, auf dem Gesicht ein feines Lächeln.

«Glaubst du, du bist was Besseres, Liz?», hatte ihr Narr sie vor kurzem gefragt, als sie davon erzählt hatte. «Hast mehr gesehen, weißt mehr, kommst aus einem bessren Land als wir?»

«Ja», hatte sie gesagt. «Das glaube ich.»

«Und glaubst du, dein Vater wird dich retten? An der Spitze eines Heeres, glaubst du das?»

«Nein, das glaube ich nicht mehr.»

«Doch, das glaubst du. Du meinst immer noch, dass er eines Tages auftauchen wird und dich wieder zur Königin macht.»

«Ich bin eine Königin.»

Da lachte er hämisch, und sie musste schlucken und die Tränen zurückdrängen und sich daran erinnern, dass genau das seine Aufgabe war - ihr zu sagen, was kein anderer zu