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Nach der Vertragsunterzeichnung war Friedrich selbst angereist, ganz starr vor Unsicherheit. Er hatte sich bei seiner Begrüßungsrede sofort verhaspelt; man merkte, wie erbärmlich sein Französisch war, und bevor die Peinlichkeit noch größer werden konnte, war Papa kurzerhand auf ihn zugetreten und hatte ihn umarmt. Dann hatte der arme Kerl ihr mit spitzen, trockenen Lippen den vom Protokoll vorgeschriebenen Begrüßungskuss gegeben.

Am nächsten Tag hatten sie eine Bootsfahrt mit der größten Barke des Hofes gemacht, nur Mama hatte nicht mitkommen wollen, weil sie einen pfälzischen Prinzen nicht standesgemäß fand. Zwar hatte der pfälzische Kanzler mit Hilfe läppischer Gutachten seiner Hofjuristen behauptet, dass ein Kurfürst im Rang eines Königs stand, aber jeder wusste, dass das blanker Unsinn war. Nur ein König war ein König.

Auf der Bootsfahrt hatte Friedrich an der Reling gelehnt und versucht, sich die Seekrankheit nicht anmerken zu lassen. Ganz kindliche Augen hatte er gehabt, aber er hatte so aufrecht gestanden, wie nur die besten Hofmeister es einem beibringen

können. Du bist sicher ein guter Fechter, hatte sie gedacht, und: Du bist nicht hässlich. Mach dir keine Sorgen, hätte sie ihm am liebsten zugeflüstert, ich bin jetzt bei dir.

Und jetzt, so viele Jahre später, konnte er noch immer perfekt dastehen. Was auch geschehen war, wie sehr man ihn erniedrigt und zum Gespött Europas gemacht hatte - aufrecht zu stehen, das vermochte er noch wie zuvor, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, das Kinn erhoben, die Arme auf dem Rücken verschränkt, und auch seine schönen Kälberaugen hatte er noch.

Sie mochte ihren armen König gern. Sie konnte gar nicht anders. All die Jahre hatte sie mit ihm verbracht, ihm mehr Kinder geboren, als sie zählen konnte. Ihn nannte man den Winterkönig, sie die Winterkönigin, ihrer beider Schicksale waren unauflöslich verbunden. Damals auf der Themse hatte sie davon nichts geahnt, da hatte sie bloß gedacht, dass sie dem armen Jungen ein paar Dinge beibringen müsse, denn wenn man miteinander vermählt war, musste man auch miteinander sprechen. Mit dem da konnte das schwierig werden, der hatte von gar nichts eine Ahnung.

Ganz überwältigt musste er gewesen sein, so weit weg von seinem Heidelberger Schloss, fern von den Kühen der Heimat, von den spitzen Häusern und deutschen Leutchen, zum ersten Mal in einer Stadt. Und da stand er gleich vor all den schlauen, furchteinflößenden Herren und Damen und zu allem Überfluss vor Papa, der ohnehin jedem Angst machte.

Am Abend nach der Bootsfahrt hatten Papa und sie die

längste Unterredung ihres Lebens gehabt. Sie kannte ihren Vater kaum. Sie war nicht bei ihm, sondern bei Lord Harington auf Combe Abbey aufgewachsen, Familien von Rang erzogen ihre Kinder nicht selbst. Ihr Vater war ein Schatten in ihren Träumen gewesen, eine Gestalt auf Gemälden, eine Figur, die in Märchen vorkam - der Herr der zwei Königreiche England und Schottland, der Verfolger der gottlosen Hexer, der Schrecken Spaniens, der protestantische Sohn der hingerichteten katholischen Königin. Wenn man ihn traf, war man jedes Mal überrascht davon, dass er eine so lange Nase hatte und so geschwollene Tränensäcke. Seine Augen sahen immer aus, als blickte er nach innen und dächte nach, stets gab er einem das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben. Aber das machte er absichtlich, das hatte er sich angewöhnt.

Es war ihr erstes richtiges Gespräch gewesen. Wie geht es dir, liebe Tochter? So war es sonst gegangen, wenn sie nach Whitehall gekommen war. Danke, mir geht es vortrefflich, lieber Vater. Deine Mutter und ich freuen uns, dich wohl zu sehen. Schwerlich so sehr, wie es mich freut, Euch, Vater, gesund zu sehen. Im Geist nannte sie ihn Papa, aber ihn so anzusprechen hätte sie sich nie getraut.

An diesem Abend waren sie zum ersten Mal miteinander allein gewesen. Papa stand am Fenster, die Arme auf dem Rücken. Eine ganze Weile sagte er kein Wort. Und weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, schwieg auch sie.

«Der Tölpel hat eine große Zukunft», sagte er schließlich.

Wieder schwieg er. Er nahm irgendein Marmording vom

Regal, betrachtete es und stellte es zurück.

«Drei protestantische Kurfürsten gibt es», sagte er so leise, dass sie sich vorbeugen musste, «und der pfälzische, also deiner, ist der höchste im Rang, das Haupt der Protestantischen Union im Reich. Der Kaiser ist krank, bald gibt es in Frankfurt eine neue Kaiserwahl. Wenn unsere Seite bis dahin noch stärker wird ...» Er musterte sie. Seine Augen waren so klein und lagen so tief in ihren Höhlen, dass es einem vorkam, als blickte er einen gar nicht an.

«Ein calvinistischer Kaiser?», fragte sie.

«Nie. Undenkbar. Aber ein ehemals calvinistischer Kurfürst, der zum katholischen Glauben gefunden hat. So wie Frankreichs Heinrich einst katholisch geworden ist oder» - er tippte sich mit sanfter Geste an die Brust - «wie wir zu Protestanten. Das Haus Habsburg verliert an Einfluss. Spanien hat Holland fast schon eingebüßt, der böhmische Adel hat dem Kaiser die Religionstoleranz abgepresst.» Er schwieg erneut, dann fragte er: «Gefällt er dir denn?»

Die Frage kam so überraschend, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Mit feinem Lächeln neigte sie den Kopf. Diese Geste funktionierte meist, die Leute waren dann zufrieden, ohne dass man sich auf etwas hätte festlegen müssen. Aber bei Papa verfing das nicht.

«Es ist ein Risiko», sagte er. «Du hast sie nicht gekannt, meine Tante, die Jungfrau, den alten Lindwurm. Als ich jung war, dachte niemand, dass ich ihr Nachfolger werden würde. Meine Mutter hatte sie köpfen lassen, und mich mochte sie

nicht sehr. Man dachte, dass sie auch mich umbringen lassen würde, aber es ist nicht passiert. Sie war deine Taufpatin, du trägst ihren Namen, aber zur Taufe ist sie nicht gekommen, ein Zeichen ihrer Abneigung gegen uns. Und trotzdem kam ich nach ihr in der Thronfolge. Niemand dachte, dass sie einen Stuart-König zulassen würde. Auch ich habe es nicht gedacht. Ich sterbe, bevor das Jahr vorbei ist, das dachte ich jedes Jahr, aber dann, am Ende jedes Jahres, war ich noch am Leben. Und hier bin ich, und sie fault im Grab. Also, scheu nicht das Risiko, Liz. Und vergiss nie, dass der arme Kerl tun wird, was du ihm sagst. Er ist dir nicht gewachsen.» Er überlegte, dann fügte er wie aus dem Nichts hinzu: «Das Schießpulver unterm Parlament, Liz. Wir könnten alle tot sein. Aber wir sind noch hier.»

Das war die längste Rede, die sie ihn je hatte halten hören. Sie wartete, doch anstatt weiterzusprechen, verschränkte er die Hände wieder auf dem Rücken und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Und sie blieb allein zurück. Sie blickte aus dem Fenster, aus dem eben noch er geblickt hatte, als könnte sie ihren Vater auf diese Art besser verstehen, und dachte ans Schießpulver. Es war erst acht Jahre her, dass die Meuchelmörder versucht hatten, Papa und Mama zu töten und das Land wieder katholisch zu machen. Tief in der Nacht hatte Lord Harington sie wach gerüttelt und gerufen: «Sie kommen!»

Sie hatte erst nicht gewusst, wo sie war und wovon er sprach, und als ihr Bewusstsein sich langsam aus den Nebeln

des Schlafs gelöst hatte, fiel ihr nur ein, wie ungehörig es war, dass dieser erwachsene Mann in ihrem Schlafzimmer stand. So etwas war noch nie passiert.

«Wollen sie mich töten?»

«Schlimmer. Erst müsst Ihr konvertieren, und dann setzen sie Euch auf den Thron.»

Dann waren sie gereist, eine Nacht, einen Tag, noch eine Nacht. Liz hatte neben ihrer Zofe in einer Kutsche gesessen, die so geruckelt hatte, dass sie sich mehrmals aus dem Fenster übergeben musste. Hinter der Kutsche ritt ein halbes Dutzend bewaffneter Männer, Lord Harington ritt vorneweg. Als sie in den frühen Morgenstunden rasteten, erklärte er ihr flüsternd, dass er selbst fast nichts wisse. Ein Bote sei gekommen und habe berichtet, dass eine Mörderbande, die ein Jesuit befehlige, nach Maria Stuarts Enkelin suche. Man wolle sie entführen und zur Königin machen. Ihr Vater sei wahrscheinlich tot, ihre Mutter ebenso.

«Es gibt doch keine Jesuiten in England. Meine Großtante hat sie fortgejagt!»