«Ein paar gibt es noch. Sie verstecken sich. Einer der schlimmsten heißt Tesimond, wir suchen ihn schon lange, aber immer ist er entkommen, und jetzt sucht er Euch.» Lord Harington stand stöhnend auf. Er war nicht mehr der Jüngste, und es fiel ihm schwer, stundenlang zu reiten. «Wir müssen weiter!»
Dann hatten sie sich in einem kleinen Haus bei Coventry versteckt, und Liz hatte das Zimmer nicht verlassen dürfen. Sie hatte nur eine Puppe dabeigehabt, keine Bücher, und vom zweiten Tag an war die Langeweile so quälend gewesen, dass sie sogar den Jesuiten Tesimond der Ödnis des Zimmers vorgezogen hätte: Immer dieselbe Kommode, dieselben Bodenfliesen, die sie so oft schon durchgezählt hatte, die dritte in der zweiten Reihe, vom Fenster aus gezählt, war gesprungen, ebenso wie die siebte in der sechsten Reihe, und dann das Bett und der Nachttopf, den zweimal täglich einer der Männer draußen leerte, und die Kerze, die sie nicht anzünden durfte, damit man das Licht nicht durchs Fenster sah, und auf einem Stuhl neben dem Bett die Zofe, die ihr schon dreimal ihr ganzes Leben erzählt hatte, in dem aber nie etwas Interessantes geschehen war. So schlimm konnte der Jesuit nicht sein. Er wollte ihr doch nichts antun, er wollte sie zur Königin machen!
«Eure Königliche Hoheit verstehen das falsch», sagte Harington. «Ihr wärt nicht frei. Ihr müsstet tun, was der Papst sagt.»
«Und jetzt muss ich tun, was Ihr sagt.»
«Richtig, und später werdet Ihr dankbar sein.»
Zu diesem Zeitpunkt hatte schon keine Gefahr mehr bestanden. Aber das hatte keiner von ihnen gewusst. Das Pulver unter dem Parlament war gefunden worden, bevor die Verschwörer es hatten anzünden können, ihre Eltern hatten unverletzt überlebt, die Katholiken waren gefangen, und die glücklosen Entführer waren nun selbst Gejagte und versteckten sich in den Wäldern. Aber weil sie das nicht wussten, blieb Liz noch sieben unendliche Tage in dem Raum mit den zwei gesprungenen Kacheln, sieben Tage neben der Zofe, die von ihrem uninteressanten Leben erzählte, sieben Tage ohne Bücher, sieben Tage mit nur einer Puppe, die sie schon ab dem dritten Tag mehr hasste, als sie je den Jesuiten hätte hassen können.
Sie hatte nicht gewusst, dass Papa sich unterdessen der Verschwörer annahm. Er ließ nicht nur die besten Folterer seiner zwei Königreiche kommen, sondern auch drei Schmerzexperten aus Persien und den versiertesten Quäler des Kaisers von China. Alle Arten von Pein, von denen bekannt war, dass ein Mensch sie anderen Menschen antun kann, befahl er den Gefangenen anzutun, und dazu ließ er Torturen erfinden, die man bisher nicht erahnt hatte. An alle Fachleute erging die Aufforderung, Foltern zu ersinnen, feiner und fürchterlicher, als die größten Maler des Infernos sie erträumt hatten, Bedingung war bloß, dass das Seelenlicht dabei nicht erlöschen und dass man davon nicht verrückt werden durfte: Die Täter mussten schließlich noch ihre Mitwisser nennen, und sie sollten Zeit haben, Gott um Vergebung zu bitten und zu bereuen. Denn Papa war ein guter Christ.
Inzwischen hatte der Hof eine Hundertschaft Soldaten geschickt, um Liz zu beschützen. Aber ihr Versteck war so gut, dass die Soldaten es ebenso wenig finden konnten, wie die Verschwörer es gefunden hätten. So vergingen die Tage. Und noch mehr Tage vergingen und dann noch mehr, und mit einem Mal hatte die Langeweile nachgelassen, und Liz in ihrem
Zimmer kam es vor, als ob sie nun etwas vom Wesen der Zeit verstehen würde, das sie zuvor nicht begriffen hatte: Es verging ja nichts. Alles war. Alles blieb. Und selbst wenn die Dinge sich änderten, so geschah es immer in dem einen, gleichen, sich nie verändernden Jetzt.
Auf den Fluchten, die später kamen, dachte sie oft an diese erste Flucht zurück. Nach der Niederlage am Weißen Berg schien es ihr, als hätte sie sich früh darauf vorbereitet und als wäre ihr das Fliehen von alters her vertraut. «Faltet die Seide», rief sie, «lasst das Geschirr liegen, nehmt lieber das Leinen, das ist unterwegs mehr wert. Und was die Bilder angeht, so nehmt die spanischen und lasst die böhmischen da, die Spanier malen besser!» Und zu ihrem armen Friedrich sagte sie: «Mach dir nichts draus. Man läuft weg, man hockt eine Weile im Versteck, und dann kommt man zurück.»
Denn damals in Coventry war es ja so gewesen. Sie hatten irgendwann erfahren, dass die Gefahr gebannt war, und waren gerade rechtzeitig zum großen Dankgottesdienst zurück nach London gekommen. Die Straßen zwischen Westminster und Whitehall waren gefüllt mit Jubelnden. Dann führten die King's Men ein Theaterstück auf, das der Prinzipal eigens für den Anlass geschrieben hatte. Es handelte von einem Schottenkönig, den ein Schurke tötet, ein Mann mit schwarzer Seele, angetrieben von Hexen, die lügen, indem sie die Wahrheit sagen. Ein schwarzes Stück war es, voller Feuer und Blut und Teufelskraft, und als es zu Ende war, wusste sie, dass sie es nie wieder sehen wollte, obgleich es vielleicht das beste
Stück ihres Lebens gewesen war.
Aber ihr armer dummer Mann wollte ihr nicht zuhören, damals auf der Flucht aus Prag. Er war zu entsetzt über den Verlust seiner Armee und seines Thrones und murmelte nur wieder und wieder, dass es ein Fehler gewesen sei, die böhmische Krone anzunehmen. Alle, auf die es ankam, hätten ihm gesagt, dass es ein Fehler sei, alle und immer wieder, aber in seiner Dummheit habe er auf die Falschen gehört.
Damit meinte er natürlich sie.
«Ich habe auf die Falschen gehört!», sagte er wieder, gerade laut genug, dass sie es verstehen konnte, während die Kutsche - die unauffälligste, die sie hatten - die Hauptstadt verließ.
Da begriff sie, dass er ihr das nicht verzeihen würde. Aber er würde sie trotzdem lieben, wie sie ihn ja auch liebte. Das Wesen der Ehe bestand nicht nur darin, dass man Kinder hatte, es bestand auch aus all den Verwundungen, die man einander zugefügt, all den Fehlern, die man miteinander gemacht hatte, all den Dingen, die man einander für immer übel nahm. Er würde ihr nicht verzeihen, dass sie ihn dazu gebracht hatte, die Krone anzunehmen, wie sie ihm nicht verzeihen würde, dass er von Anfang an zu dumm für sie gewesen war. Alles wäre einfacher gewesen, wäre er nur etwas schneller im Kopf gewesen. Am Anfang hatte sie gedacht, sie würde es ändern können, aber dann hatte sie eingesehen, dass da nichts zu machen war. Der Schmerz darüber war nie ganz abgeklungen, und wann immer er mit seinen wohlgelernt festen Schritten
einen Raum betrat oder wenn sie in sein schönes Gesicht blickte, spürte sie zugleich mit der Liebe einen kleinen Stich.
Sie lüftete den Vorhang und sah aus dem Kutschenfenster. Prag: die zweite Hauptstadt der Welt, das Zentrum der Gelehrsamkeit, der alte Kaisersitz, das östliche Venedig. Trotz der Dunkelheit erkannte man die Umrisse des Hradschin, erhellt vom Abglanz unzähliger Feuerzungen.
«Wir werden zurückkommen», sagte sie, obwohl sie es schon jetzt nicht mehr glaubte. Aber sie wusste, dass man eine Flucht nur ertragen konnte, wenn man sich an einem Versprechen festhielt. «Du bist der König von Böhmen, Gott will es so. Du kommst zurück.»
Und so schlimm es auch war, so gab es doch etwas an diesem Moment, das ihr gefiel. Er erinnerte sie ans Theater: Staatsaktionen, eine Krone, die von einem Haupt zum anderen wechselte, eine große verlorene Schlacht. Was fehlte, war ein Monolog.
Denn auch da hatte Friedrich versagt. Als er sich hastig von den vor Sorge bleichen Gefolgsleuten verabschiedet hatte, wäre der Augenblick für eine Ansprache gewesen, da hätte er auf einen Tisch steigen und reden müssen. Irgendwer hätte es sich gemerkt, irgendwer es mitgeschrieben und weitererzählt. Eine große Rede hätte ihn unsterblich gemacht. Aber natürlich war ihm nichts eingefallen, er hatte etwas Unverständliches gemurmelt, und schon waren er und sie zur Tür hinaus, auf dem Weg ins Exil. Und all die edlen böhmischen Herren, deren Namen sie nie hatte aussprechen können, all die