Wrschwitschky, Prtschkatrt und Tschrrkattrr, die ihr der für die tschechische Sprache zuständige Hofmeister bei jedem Empfang ins Ohr geflüstert hatte, ohne dass sie sie je hätte wiederholen können, würden den Anbruch des neuen Jahres nicht mehr erleben. Der Kaiser verstand keinen Spaß.
«Ist schon gut», flüsterte sie in der Kutsche, ohne es zu meinen, denn es war nicht gut. «Ist schon gut, ist gut, es ist schon gut!»
«Ich hätte die verfluchte Krone nicht annehmen dürfen!»
«Ist schon gut.»
«Auf die Falschen hab ich gehört.»
«Es ist schon gut!»
«Kann man noch zurück?», flüsterte er. «Es irgendwie ändern, kann man das? Ein Astrologe? Es müsste doch gehen, mit Hilfe der Sterne, was denkst du?»
«Ja, vielleicht», antwortete sie, ohne zu wissen, was er sagen wollte. Und als sie ihm übers tränennasse Gesicht strich, fiel ihr seltsamerweise ihre Hochzeitsnacht ein. Nichts hatte sie gewusst, niemand hatte es für nötig erachtet, einer Prinzessin so etwas zu erklären, während ihm offenbar irgendwer gesagt hatte, dass es doch ganz einfach sei, man müsse die Frau nur nehmen, sie werde erst scheu sein, aber dann begreife sie; mit Kraft und Bestimmtheit müsse man ihr kommen wie dem Gegner in der Schlacht. An diesen Rat hatte er sich wohl halten wollen. Aber als er sie plötzlich packte, dachte sie, er wäre verrückt geworden, und da er einen Kopf kleiner war als sie, schüttelte sie ihn ab und sagte: «Lass den Unsinn!» Er
versuchte es wieder, und sie stieß ihn so heftig weg, dass er gegen die Anrichte taumelte: Eine Karaffe zerbrach, und zeit ihres Lebens erinnerte sie sich an die Pfütze auf den steinernen Intarsien, auf der drei Rosenblätter schwammen wie kleine Schiffchen. Es waren drei gewesen, das wusste sie noch genau.
Er richtete sich auf und versuchte es wieder.
Und da sie gemerkt hatte, dass sie stärker war, rief sie nicht um Hilfe, sondern hielt nur seine Handgelenke fest. Er konnte sich nicht befreien. Keuchend zerrte er, keuchend hielt sie ihn, mit vor Schreck geweiteten Augen starrten sie einander an.
«Lass es», sagte sie.
Er begann zu weinen.
Und wie später in der Kutsche flüsterte sie: «Ist schon gut, ist gut, es ist schon gut!», und setzte sich auf den Bettrand und strich ihm über den Kopf.
Er fasste sich, probierte es ein letztes Mal und griff an ihre Brust. Sie gab ihm eine Ohrfeige, fast erleichtert ließ er ab. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er seufzte. Dann rollte er sich zusammen, schlüpfte so tief unter die Decke, dass auch sein Kopf nicht mehr zu sehen war, und schlief sofort ein.
Nur ein paar Wochen später zeugten sie ihren ersten Sohn.
Er war ein freundliches Kind, wach und wie durchstrahlt, er hatte helle Augen und eine klare Stimme, und er war schön wie sein Vater und klug wie Liz, und sie erinnerte sich deutlich an sein Schaukelpferd und an ein kleines Schloss, das er aus hölzernen Klötzchen errichtet hatte, und daran, wie er mit hoher fester Stimme englische Lieder sang, angeleitet von ihr.
Mit fünfzehn Jahren ertrank er unter einem gekenterten Fährschiff. Ihr waren schon vorher Kinder gestorben, aber noch keines so spät. Wenn sie klein waren, erwartete man es fast täglich, aber an dieses hatte sie sich fünfzehn Jahre lang gewöhnt, er war vor ihren Augen herangewachsen, und dann, auf einmal, war er dahin. Immer musste sie an ihn denken, immer an die Momente, in denen er unter dem umgedrehten Kahn gefangen gewesen war, doch wenn sie es fertigbrachte, eine kurze Weile nicht an ihn zu denken, dann träumte sie nur umso deutlicher von ihm.
Aber davon wusste sie noch nichts in der Hochzeitsnacht, und sie wusste es auch nicht später in der Kutsche, als sie aus Prag flohen; erst jetzt wusste sie es, in dem Haus bei Den Haag, das sie ihre Residenz nannten, obwohl es nur eine Villa mit zwei Stockwerken war: unten das Wohnzimmer, das sie den Empfangs- und manchmal auch Thronsaal nannten, und eine Küche, die sie den Gesindetrakt nannten, und den kleinen Anbau, den sie die Stallungen nannten, und ihr Schlafzimmer im ersten Stock, das sie die Wohnräume nannten. Davor war ein Garten, den sie den Park nannten, umgeben von einer zu selten geschnittenen Hecke.
Sie hatte nie den Überblick, wie viele Leute gerade bei ihnen wohnten. Es gab Zofen, es gab einen Koch, es gab den Grafen Hudenitz - ein alter Dummkopf, der mit ihnen aus Prag geflohen war und den Friedrich kurzerhand zum Kanzler ernannt hatte -, es gab einen Gärtner, der auch Stallmeister war, was nicht viel hieß, da sie im Stall kaum Tiere hatten, und
es gab einen Lakaien, der mit lauter Stimme die Gäste ankündigte und danach das Essen servierte. Eines Tages fiel ihr auf, dass der Lakai und der Koch einander nicht etwa ähnelten, wie sie bisher gedacht hatte, sondern ein und derselbe waren, wieso hatte sie das nicht vorher bemerkt? Das Gesinde lebte im Gesindetrakt, außer dem Koch, der in der Halle schlief, und dem Gärtner, der mit seiner Frau im Thronsaal übernachtete, wenn es denn seine Frau war, Liz war sich nicht sicher, es war unter der Würde einer Königin, sich mit derlei Dingen zu befassen, aber die Frau war rundlich und liebenswürdig und eine zuverlässige Aufpasserin für die Kinder. Nele und der Narr wiederum schliefen oben im Korridor, oder vielleicht schliefen sie auch gar nicht, schlafen sah Liz sie nie. Haushaltsführung war nicht ihre Stärke, das überließ sie dem Haushofmeister, der übrigens auch kochte.
«Kann ich den Narren mit nach Mainz nehmen?», fragte Friedrich.
«Was willst du mit dem Narren?»
Er müsse dort wie ein Herrscher auftreten, erklärte er in seiner umständlichen Art. Zu einem Hofstaat gehöre nun mal ein Narr.
«Na, wenn du glaubst, dass das hilft.»
Und so reisten sie ab, ihr Mann und der Narr und Graf Hudenitz und dann auch noch, damit das Gefolge nicht zu klein aussah, der Koch. Sie sah sie davonziehen vor dem grauen Novemberhimmel. Vom Fenster aus sah sie ihnen nach, bis sie außer Sicht waren. Einige Zeit verging, die Bäume bewegten
sich kaum merklich im Wind. Sonst rührte sich nichts.
Sie setzte sich auf ihren alten Lieblingsplatz, den Stuhl zwischen Fenster und Kamin, in dem es schon lang kein Feuer mehr gegeben hatte. Gern hätte sie die Zofe um noch eine Decke gebeten, aber leider war die Zofe vorgestern fortgelaufen. Es würde sich eine neue finden. Immer gab es irgendwelche Bürgerlichen, die wollten, dass ihre Tochter einer Königin diente - sogar wenn es eine Spottkönigin war, von der lustige Bildchen kursierten. In katholischen Landen behauptete man, dass sie mit jedem Edelmann von Prag geschlafen hatte, das wusste sie schon lange, und sie konnte nichts anderes dagegen tun, als besonders würdig und freundlich und königlich zu sein. Sie und Friedrich waren mit der Reichsacht belegt worden, und wer sie töten wollte, durfte das, ohne dass irgendein Priester ihm dafür Segen und Seligkeit versagt hätte.
Es begann zu schneien. Sie schloss die Augen und pfiff leise vor sich hin. Die Leute nannten ihren armen Friedrich den Winterkönig, aber wenn es kalt wurde, fror er ganz fürchterlich. Bald würde der Schnee im Garten kniehoch liegen, und niemand würde den Weg freischaufeln, denn auch ihr Gärtner hatte sich davongemacht. Sie würde Christian von Braunschweig schreiben und pour Dieu et pour elle um ein paar Männer zum Schneeschaufeln bitten.
Sie dachte an den Tag, der alles geändert hatte. Der Tag, an dem der Brief gekommen war und mit ihm das Verhängnis. All die Unterschriften: weit ausschwingend, ein Name so
unaussprechlich wie der andere. Herren, von denen sie nie gehört hatte, boten dem Kurfürsten Friedrich die Krone Böhmens an. Sie wollten ihren alten König nicht mehr, der in Personalunion auch der Kaiser war; ihr neuer Herrscher sollte Protestant sein. Um ihren Entschluss zu besiegeln, hatten sie die kaiserlichen Statthalter aus dem Fenster des Prager Schlosses geworfen.