Nur waren die in einen Haufen Scheiße gefallen und hatten überlebt. Unter Schlossfenstern gab es immer viel Scheiße, das lag an all den Nachttöpfen, die täglich geleert wurden. Das Dumme war bloß, dass daraufhin im ganzen Land die Jesuiten predigten, ein Engel habe die Statthalter aufgefangen und sanft zu Boden gesetzt.
Kaum war der Brief gekommen, schrieb Friedrich an Papa.
Liebster Schwiegersohn, antwortete Papa per reitendem Kurier, mach es auf keinen Fall.
Dann fragte Friedrich die Fürsten der Protestantischen Union. Tagelang kamen Boten, atemlose Männer auf dampfenden Pferden, und in jedem Brief stand das Gleiche: Seid nicht dumm, kurfürstliche Durchlaucht, macht es nicht.
Friedrich fragte jeden, den er finden konnte. Man müsse es genau durchdenken, erklärte er immer wieder. Böhmen sei nicht Teil des Reichsgebietes, die Krone anzunehmen sei also nach Meinung maßgeblicher Rechtsgelehrter kein Verstoß wider den Gefolgschaftseid gegenüber der Kaiserlichen Majestät.
Mach es nicht, schrieb Papa wieder.
Jetzt erst fragte er Liz. Sie hatte schon darauf gewartet, sie war vorbereitet.
Es war später Abend, und sie waren im Schlafzimmer, umgeben von reglos in der Luft stehenden Flämmchen - nur die teuersten Wachskerzen brannten so still.
«Sei nicht dumm», sagte auch sie. Dann ließ sie einen langen Augenblick verstreichen und fügte hinzu: «Wie oft wird einem eine Krone angeboten?»
Das war der Moment, der ihr Leben verändert hatte, der Moment, den er ihr nie verzieh. Ein Leben lang sollte sie es vor sich sehen: ihr Himmelbett mit dem Wappen der Wittelsbacher auf dem Baldachin, die Kerzenflammen, die sich in der Karaffe auf dem Nachttisch spiegelten, das gewaltige Gemälde von einer Frau mit kleinem Hund an der Wand. Später wusste sie nicht mehr, wer es gemalt hatte, es war auch egal, sie hatten es nicht mitgenommen nach Prag, es war verloren.
«Wie oft wird einem eine Krone angeboten? Wie oft passiert es, dass es ein gottgefälliges Werk ist, sie anzunehmen? Man hat den böhmischen Protestanten den Toleranzbrief gegeben, dann hat man ihn zurückgenommen, immer enger zieht sich die Schlinge. Nur du kannst ihnen helfen.»
Auf einmal war ihr, als wäre dieses Schlafzimmer mit Himmelbett, Wandgemälde und Karaffe eine Bühne und als spräche sie vor einem Saal voll gebannt schweigender Zuschauer. Der Prinzipal fiel ihr ein, die schwebende Zaubergewalt seiner Sätze; ihr war, als umgäben sie die Schatten künftiger Geschichtsschreiber, als wäre es nicht sie, die sprach, sondern die Schauspielerin, die später, in einem Stück, in dem dieser Moment vorkam, die Aufgabe hatte, Prinzessin Elisabeth Stuart darzustellen. In dem Stück ging es um die Zukunft der Christenheit und um ein Königtum und einen Kaiser. Wenn sie ihren Mann überzeugte, würde der Lauf der Welt eine Richtung nehmen, und wenn sie ihn nicht überzeugte, so würde es eine andere Richtung sein.
Sie stand auf, ging mit gemessenen Schritten auf und ab und hielt ihren Monolog.
Sie sprach von Gott und von Pflichten. Sie sprach vom Glauben der einfachen Menschen und vom Glauben der Weisen. Sie sprach von Calvin, der allen Menschen beigebracht hatte, das Leben nicht leichtzunehmen, sondern als Prüfung, vor der man jeden Tag versagen konnte, und hatte man versagt, so war man ein Versager in Ewigkeit. Sie sprach davon, dass man Wagnisse mit Stolz und Mut eingehen müsse, sie sprach von Julius Cäsar, der mit den Worten, nun seien die Würfel in der Luft, den Rubikon überschritten hatte.
«Cäsar?»
«Lass mich ausreden!»
«Aber ich wäre nicht Cäsar, ich wäre sein Feind. Ich wäre bestenfalls Brutus. Der Kaiser ist Cäsar!»
«In diesem Vergleich bist du Cäsar.»
«Der Kaiser ist Cäsar, Liz. Cäsar heißt Kaiser! Es ist das gleiche Wort.»
Vielleicht sei es das gleiche Wort, rief sie, aber das ändere nichts daran, dass in diesem Vergleich Cäsar nicht der Kaiser
sei, auch wenn Cäsar Kaiser heiße, sondern es sei der Mann, der den Rubikon überschritten und die Würfel geworfen habe, und wenn man das so sehe, dann sei Cäsar er, Friedrich, weil er seine Feinde besiegen werde, und nicht der Kaiser in Wien, auch wenn der den Titel Cäsar trage!
«Aber Cäsar hat seine Feinde nicht besiegt. Seine Feinde haben ihn erstochen!»
«Jeder kann jeden erstechen, das heißt nichts! Aber sie sind vergessen, und Cäsars Name lebt fort!»
«Ja, und weißt du, wo? Im Wort Kaiser!»
«Wenn du König von Böhmen bist und ich Königin, schickt Papa uns Hilfe. Und wenn die Union der protestantischen Fürsten sieht, dass die Engländer Prag schützen, werden sie sich um uns sammeln. Die Krone Böhmens ist der Tropfen, der den Ozean -»
«Das Fass! Ein Tropfen lässt das Fass überlaufen. Ein Tropfen im Ozean, das steht für Vergeblichkeit. Du meinst einen Tropfen ins Fass!»
«Herrgott, diese Sprache!»
«Das hat nichts mit Deutsch zu tun, das ist Logik.»
Da hatte sie die Geduld verloren und geschrien, dass er still sein und zuhören solle, und er hatte eine Entschuldigung gemurmelt und war verstummt. Und sie hatte alles noch einmal gesagt: Rubikon, Würfel, Gott mit uns, und sie merkte mit Stolz, dass es beim dritten Mal besser klang, jetzt hatte sie die richtigen Sätze beisammen.
«Dein Vater wird Soldaten schicken?»
Sie sah ihm in die Augen. Das war der Augenblick, jetzt lag alles bei ihr: Alles, was ab jetzt geschehen würde, all die Jahrhunderte, die ganze unermessliche Zukunft, alles hing ab von ihrer Antwort.
«Er ist mein Vater, er lässt mich nicht im Stich.»
Und obwohl sie wusste, dass sie das gleiche Gespräch am nächsten und übernächsten Tag wieder führen würden, so wusste sie doch auch, dass die Entscheidung getroffen war und dass man sie in Prags Kathedrale krönen und dass sie ein Hoftheater haben würde mit den besten Schauspielern der Welt.
Sie seufzte. Dahin hatte sie es leider nie gebracht. Sie hatte die Zeit nicht gehabt, dachte sie zwischen Fenster und kaltem Kamin, während sie die Flocken fallen sah. Der eine Winter hatte nicht genügt. Ein Hoftheater aufzubauen brauchte Jahre. Ihrer beider Krönung immerhin war so erhebend gewesen, wie sie es sich vorgestellt hatte, und danach hatte sie sich von den besten Malern Böhmens, Mährens und Englands ins Bild setzen lassen, und sie hatte von goldenen Tellern gegessen und Umzüge durch die Stadt angeführt, und als Cherubim verkleidete Jungen hatten ihre Schleppe getragen.
Unterdessen hatte Friedrich Briefe an Papa geschickt: Der Kaiser wird kommen, lieber Vater, er wird ohne Zweifel kommen, wir brauchen Schutz.
Papa hatte zurückgeschrieben und ihnen Kraft und Stärke gewünscht, er hatte Gottes Segen auf sie herabbeschworen, er hatte ihnen Ratschläge zur Gesundheit, zur Dekoration des
Thronsaals und zur guten Regentschaft gegeben, er hatte sie seiner ewigen Liebe versichert, er hatte versprochen, immer für sie da zu sein.
Aber Soldaten hatte er keine geschickt.
Und als Friedrich ihm endlich flehend geschrieben hatte, dass er Hilfe brauche, um Gottes und Christi willen, da hatte Papa geantwortet, dass niemals auch nur eine Sekunde vergehen werde, in denen seine liebsten Kinder nicht Inhalt seines ganzen Hoffens und Bangens seien.
Weil er aber keine Soldaten geschickt hatte, hatte auch die Protestantische Union keine geschickt, und so war ihnen nur das Heer Böhmens geblieben, das sich in Prunk und Stahl vor der Stadt gesammelt hatte.
Vom Hradschin aus sah sie es marschieren, und mit kaltem Schrecken wurde ihr klar, dass diese blitzenden Lanzen, diese Schwerter und Hellebarden nicht einfach bloß irgendwelche glänzenden Dinge waren, sondern Klingen. Es waren Messer, geschliffen zu dem einzigen Zweck, Menschenfleisch zu schneiden, Menschenhaut zu durchstoßen und Menschenknochen zu zersplittern. Die Leute, die dort drunten so schön im Gleichschritt gingen, würden diese langen Messer anderen in die Gesichter stoßen, und selbst würden sie Messer in Bäuche und Hälse gestoßen bekommen, und so mancher von ihnen würde von gegossenen Stahlklumpen getroffen werden, die so schnell flogen, dass sie Köpfe abrissen, Glieder zerschmetterten, Bäuche durchschlugen. Und Hunderte Eimer Blut, das noch in diesen Männern floss, würde bald nicht mehr