in ihnen sein, es würde verspritzen, verrinnen, schließlich versickern; was machte eigentlich die Erde mit all dem Blut, wusch der Regen es aus, oder war es ein Düngemittel, das besondere Pflanzen wachsen ließ? Ein Arzt hatte ihr gesagt, dass der letzte Samen der Sterbenden kleine Alraunenmännchen zeugte, lebendig zitternde Wurzelwesen, die wie Säuglinge schrien, wenn man sie aus dem Boden zog.
Und plötzlich wusste sie, dass diese Armee verlieren würde. Sie wusste es mit einer Sicherheit, die sie schwindeln machte; noch nie hatte sie in die Zukunft gesehen, und es gelang ihr auch später nicht mehr, aber in diesem Augenblick war es keine Vorahnung, sondern die klarste Gewissheit: Diese Männer würden sterben, fast alle von ihnen, bis auf jene, die verkrüppelt und die, die einfach davonlaufen würden, und dann würden Friedrich und sie und die Kinder nach Westen fliehen, und ein Leben im Exil läge vor ihnen, denn auch nach Heidelberg könnten sie nicht zurück, der Kaiser würde es nicht erlauben.
Und genauso war es gekommen.
Von einem protestantischen Hof zogen sie zum nächsten, mit immer weniger Gefolge und immer weniger Geld, unter dem Schatten der Reichsacht und der aberkannten Kurwürde, denn Friedrichs katholischer Cousin in Bayern war nach des Kaisers Willen nun Kurfürst statt seiner. Das hätte der Kaiser laut der Goldenen Bulle gar nicht anordnen dürfen, aber wer hätte ihn hindern sollen, des Kaisers Feldherren gewannen jede Schlacht. Papa hätte wohl helfen können, und tatsächlich schrieb er voller Wohlwollen und Sorge, regelmäßig und in schönstem Stil. Aber Soldaten schickte er nicht. Auch riet er ihnen, nicht nach England zu kommen, die Lage sei wegen der Verhandlungen mit Spanien gerade nicht günstig, immerhin stünden spanische Truppen jetzt in der Pfalz, um von dort aus den Krieg gegen Holland fortzusetzen - wartet noch zu, meine Kinder, Gott ist mit den Gerechten und das Glück mit den Anständigen, verliert nicht den Mut, kein Tag vergeht, an dem nicht für Euch betet Euer Vater Jakob.
Und weiterhin gewann der Kaiser Schlacht um Schlacht. Er besiegte die Union, er besiegte den König von Dänemark, und zum ersten Mal schien es möglich, dass der Protestantismus wieder verschwinden würde aus Gottes Welt.
Aber dann landete der Schwede Gustav Adolf, der Liz nicht hatte heiraten wollen, und gewann. Jede Schlacht gewann er, und jetzt stand er vor Mainz im Winterquartier, und nach langem Zögern hatte Friedrich ihm geschrieben, in schwungvollen Zügen und mit königlichem Siegel, und nur zwei Monate später war ein Brief mit ebenso großem Siegel zurück nach Den Haag gekommen: Wir freuen uns, Euch wohl zu wissen, und hoffen auf Euren Besuch.
Der Augenblick war nicht der beste. Friedrich war erkältet, sein Rücken schmerzte. Aber es gab nur einen Menschen, der sie zurück in die Pfalz und vielleicht sogar zurück nach Prag bringen konnte, und wenn der einen zu sich beschied, so musste man gehen.
«Muss ich wirklich?»
«Ja, Fritz.»
«Er hat mir aber keine Befehle zu geben.»
«Natürlich nicht.»
«Ich bin König wie er.»
«Natürlich, Fritz.»
«Aber muss ich gehen?»
«Ja, Fritz.»
Und so war er losgezogen, mit dem Narren, dem Koch und Hudenitz. Es war auch wirklich Zeit, dass die Dinge sich änderten, vorgestern hatte es Grütze zu Mittag gegeben und Brot zu Abend und gestern Brot zu Mittag und abends nichts. Die holländischen Generalstaaten waren ihrer so überdrüssig, dass sie ihnen kaum noch genug Geld zum Überleben gaben.
Sie blinzelte ins Schneegestöber. Kalt war es geworden. Da sitze ich, dachte sie, Königin von Böhmen, Kurfürstin der Pfalz, Tochter des Königs von England, Nichte des Königs von Dänemark, Großnichte der jungfräulichen Elisabeth, Enkelin der Maria von Schottland, und kann mir kein Feuerholz leisten.
Sie bemerkte, dass Nele neben ihr stand. Für einen Moment überraschte sie das. Warum war die denn nicht mit ihrem Mann gegangen, falls er überhaupt ihr Mann war?
Nele machte einen Knicks, stellte einen Fuß spitz vor den anderen, breitete die Arme aus und spreizte die Finger.
«Heute wird nicht getanzt», sagte Liz. «Heute reden wir.»
Nele nickte ergeben.
«Wir erzählen. Ich dir, du mir. Was willst du wissen?»
«Madame?»
Sie war etwas ungepflegt, und sie hatte die grobe Statur und das derbe Gesicht ihres niederen Standes, aber sie war doch hübsch: klare, dunkle Augen, seidiges Haar, geschwungene Hüften. Nur ihr Kinn war zu breit, und die Lippen waren ein wenig zu wulstig.
«Was willst du wissen?», wiederholte Liz. Sie spürte ein Stechen in der Brust, halb Furcht, halb Erregung. «Frag, was du willst.»
«Das steht mir nicht zu, Madame.»
«Wenn ich es sage, steht es dir zu.»
«Mich stört es nicht, dass die Leute über mich und den Tyll lachen. Denn das ist unser Beruf.»
«Das ist keine Frage.»
«Die Frage ist, tut es Eurer Majestät weh?»
Liz schwieg.
«Dass alle lachen, Madame, tut das weh?»
«Ich verstehe dich nicht.»
Nele lächelte.
«Du hast dich entschlossen, mich etwas zu fragen, das ich nicht verstehe. Wie du willst, ich habe dir eine Antwort gegeben, jetzt bin ich an der Reihe. Ist der Narr dein Mann?»
«Nein, Madame.»
«Wieso nicht?»
«Braucht es einen Grund?»
«Das braucht tatsächlich einen, ja.»
«Wir sind zusammen weggelaufen. Sein Vater wurde als Hexer verurteilt, und ich wollte nicht bleiben, ich wollte nicht
einen Steger heiraten, drum bin ich mit ihm weg.»
«Warum wolltest du nicht heiraten?»
«Immer Dreck, Madame, und abends kein Licht. Kerzen sind zu teuer. Man sitzt im Dunkeln und isst Grütze. Immer Grütze. Und den Steger-Sohn hab ich auch nicht gemocht.»
«Aber den Tyll?»
«Ich sag doch, er ist nicht mein Mann.»
«Jetzt bist du wieder dran mit Fragen», sagte Liz.
«Ist es schlimm, wenn man nichts hat?»
«Woher soll ich das wissen! Sag du es mir!»
«Es ist nicht leicht», sagte Nele. «Kein Schutz, heimatlos durchs Land, kein Haus gegen den Wind. Jetzt habe ich eines.»
«Wenn ich dich fortschicke, hast du keines mehr. Also, ihr seid zusammen geflohen, aber warum ist er nicht dein Mann?»
«Ein Bänkelsänger hat uns mitgenommen. Auf dem nächsten Marktflecken haben wir einen Gaukler getroffen, den Pirmin. Von ihm haben wir das Geschäft gelernt, aber er war gemein und hat uns nicht genug zu essen gegeben, und geschlagen hat er uns auch. Wir sind nach Norden gezogen, weg vom Krieg, sind fast bis zum Meer gekommen, aber dann sind die Schweden gelandet, und wir sind in den Westen ausgewichen.»
«Du und Tyll und Pirmin?»
«Da waren wir wieder zu zweit.»
«Seid ihr dem Pirmin davongelaufen?»
«Der Tyll hat ihn umgebracht. Darf jetzt wieder ich fragen, Madame?»
Liz schwieg einen Augenblick. Neles Deutsch war bäuerlich
und seltsam, vielleicht hatte sie etwas falsch verstanden. «Ja», sagte sie dann, «jetzt darfst wieder du fragen.»
«Wie viele Dienerinnen hattet Ihr früher?»
«Gemäß meinem Ehevertrag hatte ich dreiundvierzig Bediente nur für mich, darunter sechs adelige Kammerfrauen, von denen jede vier Zofen hatte.»
«Und heute?»
«Jetzt bin ich wieder dran. Warum ist er nicht dein Mann? Magst du ihn nicht?»
«Er ist wie ein Bruder und Eltern. Er ist alles, was ich habe. Und ich bin alles, was er hat.»
«Aber du willst ihn nicht zum Mann?»
«Bin ich wieder dran, Madame?»
«Ja, bist du.»
«Habt Ihr ihn zum Mann gewollt, Madame?»
«Wen?»
«Seine Majestät. Haben Eure Majestät Seine Majestät zum Mann für Eure Majestät gewollt, als Eure Majestät ihn geheiratet haben?»
«Das ist was anderes, Mädchen.»
«Warum?»
«Es war eine Staatsangelegenheit, mein Vater und die beiden Außenminister haben monatelang verhandelt. Und deshalb wollte ich ihn, noch bevor ich ihn gesehen hatte.»