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«Und als Eure Majestät ihn gesehen haben?»

«Da wollte ich ihn erst recht», sagte Liz mit gerunzelter Stirn. Dieses Gespräch gefiel ihr nicht mehr.

«Seine Majestät ist ja auch ein sehr majestätischer Herr.»

Liz blickte ihr scharf ins Gesicht.

Nele erwiderte ihren Blick mit weit offenen Augen. Es war nicht zu erkennen, ob sie sich über sie lustig machte.

«Jetzt kannst du tanzen», sagte Liz.

Nele machte einen Knicks, dann begann sie. Ihre Schuhe klickerten auf dem Parkett, ihre Arme schwangen, ihre Schultern drehten sich, ihre Haare flogen. Es war einer der schwierigen Tänze nach neuester Mode, und sie machte es so anmutig, dass Liz bedauerte, keinen Musiker mehr zu haben.

Sie schloss die Augen, hörte dem Klappern von Neles Schuhen zu und überlegte, was sie als Nächstes verkaufen sollte. Ein paar Bilder waren noch da, darunter ihr Porträt, gemalt von jenem freundlichen Mann aus Delft, und das von dem eingebildeten Wicht mit dem großen Schnurrbart, der mit solchem Pomp seine Pinsel geschwungen hatte; sie fand sein Bild etwas unbeholfen, aber es war vermutlich viel wert. Ihren Schmuck hatte sie bereits weggegeben, doch es gab noch ein Diadem und zwei oder drei Ketten, die Lage war nicht aussichtslos.

Das Klappern hatte aufgehört, sie öffnete die Augen. Sie war allein im Raum. Wann war Nele gegangen? Wieso nahm sie sich das heraus? Niemand durfte sich aus der Gegenwart eines Souveräns entfernen, ohne entlassen worden zu sein.

Sie blickte nach draußen. Auf dem Rasen lag bereits eine dicke Schicht Schnee, die Äste der Bäume bogen sich. Aber hatte es nicht gerade erst zu schneien begonnen? Auf einmal

war sie sich nicht mehr sicher, wie lange sie schon hier saß, in diesem Stuhl beim Fenster neben dem kalten Kamin, die geflickte Decke auf den Knien. War Nele eben noch da gewesen, oder war das eine Weile her? Und wie viele Leute hatte Friedrich nach Mainz mitgenommen, wer war ihr geblieben?

Sie versuchte nachzuzählen: Der Koch war bei ihm, der Narr auch, die zweite Zofe hatte um eine Woche Urlaub gebeten, um ihre kranken Eltern aufzusuchen, wahrscheinlich würde sie nicht zurückkommen. Vielleicht gab es in der Küche noch jemanden, vielleicht nicht, wie sollte man das wissen, sie war noch nie in der Küche gewesen. Einen Nachtwächter gab es auch - so vermutete sie, aber da sie nachts nicht aus dem Schlafzimmer ging, hatte sie ihn nie gesehen. Der Mundschenk? Er war ein feiner älterer Herr, sehr distinguiert, aber jetzt kam es ihr auf einmal so vor, als wäre er seit langer Zeit schon nicht mehr aufgetaucht, entweder war er in Prag geblieben oder irgendwo auf ihrem Weg von Exil zu Exil gestorben - wie ja auch Papa gestorben war, ohne dass sie ihn noch einmal gesehen hatte, und plötzlich regierte in London ihr Bruder, den sie kaum kannte und von dem erst recht nichts zu erwarten war.

Sie horchte. Nebenan knisterte und klickte etwas, aber als sie die Luft anhielt, um besser zu hören, konnte sie es nicht mehr ausmachen. Es war ganz still.

«Ist jemand da?»

Keiner antwortete.

Irgendwo gab es eine Glocke. Wenn sie die läutete, tauchte jemand auf, so war es immer, so gehörte es sich, ihr ganzes Leben war es so gewesen. Aber wo war sie, diese Glocke?

Vielleicht würde sich alles bald ändern. Wenn Gustav Adolf und Friedrich, also der Mann, den sie fast, und der, den sie dann wirklich geheiratet hatte, sich einigen würden, dann würde es wieder Feste in Prag geben, dann könnten sie zurückkehren ins hohe Schloss, am Ende des Winters, wenn der Krieg wieder begann. Denn so war es jedes Jahr: Wenn Schnee fiel, machte der Krieg Pause, und wenn die Vögel zurückkamen und die Blumen sprossen und das Eis die Bäche freigab, ging auch der Krieg wieder los.

Ein Mann stand im Zimmer.

Das war merkwürdig - zum einen, weil sie nicht geläutet, und zum anderen, weil sie diesen Mann noch nie gesehen hatte. Einen Augenblick fragte sie sich, ob sie sich fürchten sollte. Meuchelmörder waren durchtrieben, überall konnten sie sich einschleichen, nirgendwo war man sicher. Aber dieser Mann sah nicht gefährlich aus, und er verbeugte sich, wie es sich gehörte, und dann sagte er etwas, das allzu befremdlich war für einen Mörder.

«Madame, der Esel ist weg.»

«Was für ein Esel? Und wer ist Er?»

«Wer der Esel ist?»

«Nein, wer Er ist. Wer ist ... Er.» Sie zeigte auf ihn, aber der Idiot verstand nicht. «Wer bist du?»

Er redete eine Weile. Es fiel ihr schwer, ihn zu verstehen,

denn ihr Deutsch war noch immer nicht gut, und das seine war besonders grob. Erst allmählich kam sie darauf, dass er ihr zu erklären versuchte, dass er für den Stall zuständig sei und dass der Narr den Esel gleich nach seiner Rückkehr mitgenommen habe. Den Esel und Nele, die hatte er auch mitgenommen. Zu dritt seien sie abgereist.

«Nur einen Esel? Die anderen Tiere sind noch da?»

Er antwortete, sie verstand ihn nicht, er antwortete noch einmal, und sie begriff, dass es keine anderen Tiere gab. Der Stall war jetzt leer. Deshalb, erklärte der Mann, stehe er ja vor ihr, er brauche eine neue Aufgabe.

«Aber wieso ist der Narr überhaupt zurückgekommen, was ist mit Seiner Majestät? Ist Seine Majestät auch zurückgekommen?»

Bloß der Narr sei zurückgekommen, sagte der Mann, der des leeren Stalles wegen kein Stallmeister mehr war, und dann sei er wieder gegangen, mit Frau und Esel. Den Brief habe er dagelassen.

«Einen Brief? Zeig her!»

Der Mann griff in die rechte Hosentasche, griff in die linke, kratzte sich, griff wieder in die rechte, fand ein gefaltetes Stück Papier. Um den Esel tue es ihm leid, sagte er. Der sei ein ungewöhnlich kluges Tier gewesen, der Narr habe kein Recht gehabt, ihn mitzunehmen. Er habe ja versucht, ihn daran zu hindern, aber der Kerl habe ihm einen abscheulichen Streich gespielt. Es sei sehr peinlich, und er wolle nicht darüber reden.

Liz entfaltete den Zettel. Er war zerknittert und fleckig, die

Buchstaben waren schwarz verschmiert. Aber sie erkannte die Handschrift auf den ersten Blick.

Für einen Moment, in dem sie ihn mit einem Teil ihres Verstandes schon überflogen hatte und mit einem anderen Teil noch nicht, war ihr danach, den Brief zu zerreißen und einfach zu vergessen, dass sie ihn bekommen hatte. Aber natürlich ging das nicht. Sie nahm ihre Kraft zusammen, ballte die Fäuste und las.

Gustav Adolf hatte kein Recht, ihn warten zu lassen. Nicht nur, weil es nicht die feine Art war. Nein, er durfte es buchstäblich nicht. Wie man sich anderen königlichen Personen gegenüber benahm, stand einem nicht frei, da gab es strenge Regeln. Die Wenzelskrone war älter als die Krone Schwedens, und Böhmen war das ältere und reichere Land, also genoss der Herrscher über Böhmen einem Schwedenkönig gegenüber Seniorität - gar nicht zu reden davon, dass ein Kurfürst ebenfalls Königsrang hatte, darüber hatte der pfälzische Hof einst ein Gutachten erstellen lassen, das war erwiesen. Nun war er zwar mit der Reichsacht belegt, aber der schwedische König hatte dem Kaiser, der die Acht verhängt hatte, den Krieg erklärt, und die Protestantische Union hatte die Aberkennung der Kurwürde nie akzeptiert, daher musste der Schwedenkönig ihn als Kurfürsten behandeln, und als solcher war er ihm gleichgestellt - eine Gleichstellung im allgemeinen Fürstenrang, und wenn man die Anciennität der Familie gelten ließ, war das pfälzische Haus zweifellos mehr wert als das Haus Wasa. Wie man es also wendete, es ging nicht an, dass Gustav Adolf ihn warten ließ.

Dem König schmerzte der Kopf. Ihm fiel das Atmen schwer. Auf den Geruch des Lagers war er nicht vorbereitet gewesen. Er hatte gewusst, dass es nicht sauber zuging, wenn Abertausende Soldaten mitsamt ihrem Tross an einem Ort

lagerten, und er erinnerte sich noch an den Geruch seiner eigenen Armee, die er vor Prag befehligt hatte, bevor sie verschwunden war, versickert im Boden, verflogen wie Rauch, aber so wie das hier war es damals nicht gewesen, so etwas hatte er sich nicht vorgestellt. Man hatte das Lager schon gerochen, als es noch gar nicht in Sichtweite gewesen war, eine Ahnung von Schärfe und Bitternis über der entvölkerten Landschaft.