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«Gott, wie das stinkt», hatte der König gesagt.

«Schlimm», hatte der Narr geantwortet. «Schlimm, schlimm, schlimm. Solltest dich waschen, Winterkönig.»

Der Koch und die vier Soldaten, die ihm die holländischen Generalstände widerstrebend zum Schutz mitgegeben hatten, hatten dumm gelacht, und der König hatte für einen Moment überlegt, ob er sich das bieten lassen durfte, aber dafür waren Narren schließlich da, so gehörte es sich, wenn man König war. Die Welt behandelte einen mit Respekt, aber dieser eine durfte alles sagen.

«Waschen soll sich der König», sagte der Koch.

«An den Füßen», rief ein Soldat.

Der König sah den neben ihm reitenden Grafen Hudenitz an, aber da dessen Gesicht unbewegt blieb, konnte er so tun, als hätte er es nicht gehört.

«Auch hinter den Ohren», sagte ein anderer Soldat, und wieder lachten alle außer dem Grafen und dem Narren.

Der König wusste nicht, was er tun sollte. Richtig wäre es gewesen, nach dem unverschämten Kerl zu schlagen, aber er fühlte sich nicht gut, seit Tagen hatte er Husten, und was, wenn dieser Mensch zurückschlug? Der Soldat unterstand schließlich den Generalständen, nicht ihm. Andererseits konnte er sich doch nicht von Leuten beleidigen lassen, die nicht seine Hofnarren waren.

Dann hatten sie von einer Hügelkuppe aus das Lager gesehen, und der König hatte seine Wut vergessen, und die Soldaten hatten nicht mehr daran gedacht, ihn zu verspotten. Wie eine weiße, im Wind wabernde Stadt hatte es zu ihren Füßen gelegen - eine Stadt, durch deren Häuser eine sanfte Bewegung ging, ein Hin und Her, ein Gleiten und Wogen. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte man, dass die Stadt aus Zelten bestand.

Der Geruch wurde stärker, je näher sie kamen. Er biss in die Augen, er stach in der Brust, und wenn man sich ein Tuch vors Gesicht hielt, drang er durch das Gewebe. Der König kniff die Augen zusammen, es würgte ihn. Er versuchte, flach zu atmen, aber umsonst, man entkam dem Geruch nicht, es würgte ihn stärker. Er bemerkte, dass es Graf Hudenitz ebenso ging, und auch die Soldaten pressten die Hände vor die Gesichter. Der Koch war leichenblass. Selbst der Narr hatte nicht mehr seinen üblichen frechen Ausdruck.

Das Erdreich war aufgewühlt, die Pferde sanken ein, sie stapften wie durch tiefen Morast. Unrat häufte sich dunkelbraun am Wegesrand, der König versuchte, sich zu sagen, dass es wohl nicht das sei, was er vermutete, aber er wusste, es war genau das: der Kot von hunderttausend

Menschen.

Nicht nur danach stank es. Es stank auch nach Wunden und Geschwüren, nach Schweiß und nach allen Krankheiten, welche die Menschheit kannte. Der König blinzelte. Ihm schien, als könnte man den Geruch sogar sehen, eine giftige gelbe Verdichtung der Luft.

«Wohin?»

Ein Dutzend Kürassiere versperrte ihnen den Weg - große, beherrscht wirkende Männer mit Helmen und Brustharnisch, wie der König sie seit seinen Tagen in Prag nicht gesehen hatte. Er sah Graf Hudenitz an. Graf Hudenitz sah die Soldaten an. Die Soldaten sahen den König an. Irgendwer musste sprechen, musste ihn ankündigen.

«Seine böhmische Majestät und Kurfürstlich-Pfalzgräfische Durchlaucht», sagte der König schließlich selbst. «Auf dem Weg zu eurem obersten Herrn.»

«Wo ist Seine böhmische Majestät?», fragte einer der Kürassiere. Er sprach sächsischen Dialekt, und der König musste sich in Erinnerung rufen, dass auf schwedischer Seite nur wenige Schweden kämpften - wie auch im dänischen Heer kaum Dänen waren und damals vor Prag bloß ein paar hundert Tschechen gestanden hatten.

«Hier», sagte der König.

Der Kürassier sah ihn belustigt an.

«Ich bin es. Seine Majestät. Das bin ich.»

Auch die anderen Kürassiere grinsten.

«Was gibt's zu lachen?», fragte der König. «Wir haben einen

Geleitbrief, eine Einladung des Königs von Schweden. Bringt mich sofort zu ihm.»

«Ist ja schon gut», sagte der Kürassier.

«Ich dulde keine Respektlosigkeit», sagte der König.

«Alles recht», sagte der Kürassier. «Komm einfach mit, Majestät.»

Und dann hatte er sie durch die äußeren Kreise des Lagers in die inneren geführt. Während der Gestank, der doch schon derart pestilenzhaft gewesen war, dass man hätte glauben mögen, er könne nicht noch stärker werden, immer stärker wurde, kamen sie an den Planwagen des Trosses vorbei: Deichseln ragten in die Luft, kranke Pferde lagen auf dem Boden, Kinder spielten im Dreck, Frauen stillten Säuglinge oder wuschen Kleider in Zubern mit braunem Wasser. Das waren die käuflichen Soldatenbräute, aber es waren auch die Ehefrauen, mit denen so mancher Söldner reiste. Wer eine Familie hatte, brachte sie mit in den Krieg, wo sonst hätte sie bleiben sollen?

Da sah der König etwas Grausiges. Er blickte darauf, erkannte es erst nicht, es widersetzte sich gleichsam, aber wenn man länger darauf blickte, ordnete es sich, und man verstand. Schnell blickte er woandershin. Neben sich hörte er Graf Hudenitz stöhnen.

Es waren tote Kinder. Wohl keines älter als fünf, die meisten noch kein Jahr alt. Da lagen sie aufgehäuft und verfärbt, blonde, braune und rote Haare, und wenn man genau hinsah, stand manches Augenpaar offen, vierzig oder mehr, und die

Luft dunkel von Fliegen. Als sie vorbei waren, verspürte der König den Drang, sich umzudrehen, denn obgleich er das nicht sehen wollte, wollte er es doch sehen, aber er widerstand.

Jetzt waren sie im inneren Lager, bei den Soldaten. Zelte standen neben Zelten, Männer saßen um Feuer, brieten Fleisch, spielten Karten, schliefen auf dem Boden, tranken. Alles wäre normal gewesen, hätte man nicht so viele Kranke gesehen: Kranke im Schlamm, Kranke auf Strohsäcken, Kranke auf Wagen - nicht bloß Verwundete, sondern Männer mit Geschwüren, Männer mit Beulen im Gesicht, Männer mit tränenden Augen und sabbernden Mündern, nicht wenige lagen reglos und verkrümmt da, man hätte nicht sagen können, ob sie schon tot waren oder im Sterben lagen.

Der Gestank war kaum mehr erträglich. Der König und seine Begleiter pressten sich die Hände vor die Nasen; alle versuchten sie, nicht zu atmen, nur wenn es anders nicht ging, schnappten sie hinter den Handflächen Luft. Den König würgte es wieder, er nahm alle Kraft zusammen, aber es würgte ihn noch stärker, und dann musste er sich vom Pferd hinab übergeben. Sofort ging es Graf Hudenitz und dem Koch und dann auch einem der holländischen Soldaten genauso.

«Fertig?», fragte der Kürassier.

«Das heißt, Eure Majestät», sagte der Narr.

«Eure Majestät», sagte der Kürassier.

«Er ist fertig», sagte der Narr.

Als sie weiterritten, schloss der König die Augen. Das half ein wenig, denn tatsächlich roch man weniger, wenn man nichts

sah. Aber man roch noch genug. Er hörte jemanden etwas sagen, dann hörte er Rufe, dann hörte er Lachen von allen Seiten, aber es war ihm egal; mochten sie sich über ihn lustig machen. Er wollte nur diesen Gestank nicht mehr ertragen müssen.

Und so hatte man ihn mit geschlossenen Augen zum königlichen Zelt gebracht, im Zentrum des Lagers, bewacht von einem Dutzend Schweden in voller Montur, der Leibwache des Königs, die hier stand, um unzufriedene Soldaten abzuwehren. Die schwedische Krone kam immer wieder mit dem Sold in Rückstand. Selbst wenn man alle Schlachten gewann und alles nahm, was das gewonnene Land bot, war der Krieg kein Geschäft, das sich trug.

«Ich bring einen König», sagte der Kürassier, der sie geführt hatte.

Die Wächter lachten.

Der König hörte seine eigenen Soldaten in das Lachen einfallen. «Graf Hudenitz!», sagte er mit schärfster Kommandostimme. «Dass das insolente Verhalten ein Ende hat!»

«Zu Befehl, Eure Majestät», murmelte der Graf, und merkwürdigerweise wirkte es, und die dummen Schweine verstummten.

Der König stieg vom Pferd. Ihm war schwindlig, er beugte sich vornüber und hustete eine Weile. Einer der Wächter schlug die Zeltplane zurück, und der König trat mit seinen Begleitern ein.