«Nicht die Augen schließen», sagte der Narr.
«Mach ich nicht», sagte der König.
«Sei still», sagte der Narr, und der König fragte sich, ob er es durchgehen lassen durfte, Narrenfreiheit hin oder her, das ging zu weit.
«Was ist eigentlich mit dem Esel», fragte er, um den Narren zu ärgern. «Kann der schon was?»
«Der spricht bald wie ein Prediger», sagte der Narr.
«Und was sagt er?», fragte der König. «Was kann er schon?»
Vor zwei Monaten hatte er in Gegenwart des Narren über die
wundersamen Vögel des Orients gesprochen, die ganze Sätze bilden könnten, sodass man vermeine, Menschen redeten zu einem. Er hatte davon in Athanasius Kirchers Buch über die Tierwelt Gottes gelesen, und seither ließ der Gedanke an sprechende Vögel ihn nicht los.
Aber der Narr hatte gesagt, dass nichts dazugehöre, einen Vogel das Reden zu lehren; wenn man nur ein wenig geschickt sei, könne man jedes Tier zum Schwatzen bringen. Tiere seien klüger als Menschen, deswegen verhielten sie sich still, sie seien darauf bedacht, nicht wegen jedem Unsinn in Schwierigkeiten zu geraten. Sobald man einem Vieh aber gute Gründe biete, gebe es die Stille auf, das könne er jederzeit beweisen im Austausch gegen gute Speise.
«Gute Speise?»
Nicht für sich selbst, hatte der Narr beteuert, sondern für das Tier. So mache man es, man stecke Essen in ein Buch, und das lege man dem Tier wieder und wieder und wieder vor, mit Geduld und Stärke. Aus Gier blättere es die Seiten um und bekomme dabei mehr und mehr von der Menschensprache mit, nach zwei Monaten habe man Resultate.
«Welchem Tier denn?»
«Es lässt sich mit jedem machen. Nur zu klein darf es nicht sein, sonst hört man seine Stimme nicht. Mit Würmern kommt man nicht weit. Auch Insekten sind nicht gut, sie fliegen immer weg, bevor sie einen Satz zu Ende haben. Katzen widersprechen immer, und bunte Orientvögel, wie der weise Herr Jesuit sie beschreibt, gibt es hier nicht. Bleiben also
Hunde, Pferde und Esel.»
«Wir haben kein Pferd mehr, und der Hund ist weggelaufen.»
«Ist nicht schade um ihn. Aber der Esel im Stall. Ich brauche ein Jahr, dann kann ich ihm -»
«Zwei Monate!»
«Das ist nicht viel.»
Nicht ohne Häme hatte der König den Narren daran erinnert, dass er selbst gerade von zwei Monaten gesprochen habe. Das sei die Zeit, die er bekomme, mehr nicht, und wenn in zwei Monaten kein Resultat zu sehen sei, so könne er sich auf eine Tracht Prügel von biblischem Ausmaß gefasst machen.
«Ich brauche aber Essen, um es ins Buch zu legen», hatte der Narr fast kleinlaut geantwortet. «Und zwar nicht wenig.»
Zwar wusste der König, dass sie immer zu wenig Essen hatten. Aber er hatte die elende weiße Leinwand an der Wand betrachtet und seinem Narren, der schon seit einer Weile größeren Raum in seinem Geiste einnahm, als es vernünftig war, mit tückischer Vorfreude zugesagt, dass er so viel Essen haben könne, wie er für das Vorhaben brauche, wenn nur der Esel in zwei Monaten sprechen würde.
Tatsächlich hatte der Narr den Anschein gewahrt. Jeden Tag war er mit Hafer, Butter und einer Schale honiggesüßter Grütze sowie einem Buch im Stall verschwunden. Einmal hatte den König die Neugier überwältigt, und gegen alle Schicklichkeit war er nachsehen gegangen und hatte den Narren auf dem Boden sitzend vorgefunden, das offene Buch auf den Knien, während der Esel gutmütig neben ihm ins
Nichts starrte.
Es gehe ganz fein voran, hatte der Narr sofort beteuert, das I und das A hätten sie schon, und bereits übermorgen sei mit dem nächsten Laut zu rechnen. Dann hatte er meckernd gelacht, und der König, der sich nun doch seines Interesses für diesen ganzen Unsinn geschämt hatte, hatte sich wortlos zurückgezogen, um sich den Staatsgeschäften zu widmen, was in der tristen Wirklichkeit bedeutete, dass er eine erneute Bitte um militärischen Beistand an seinen Schwager in England und eine erneute Bitte um Geld an die holländischen Generalstände aufgesetzt hatte, wie immer ohne Hoffnung.
«Also, was sagt er jetzt», wiederholte der König, während er in die Augen des Narren sah, «was kann er schon sagen?»
«Der Esel spricht gut, aber er spricht ohne rechten Sinn. Er weiß wenig, er hat nichts gesehen von der Welt, gib ihm noch Zeit.»
«Keinen Tag mehr als ausgemacht!»
Der Narr kicherte. «In die Augen, König, sieh mir in die Augen, und jetzt sag allen, was du siehst!»
Der König räusperte sich, um zu antworten, aber da fiel ihm das Sprechen schwer. Dunkel war es, Farben und Formen setzten sich zusammen, er sah sich wieder vor der englischen Familie stehen: der bleiche Jakob, sein gefürchteter Schwiegervater, die dänische Schwiegermutter Anna, ganz starr vor Dünkel, und seine Braut, die er kaum anzusehen wagte. Dann wurde ein Wirbeln und Schwanken stärker und ließ wieder nach, und er wusste nicht mehr, wo er war.
Er musste husten, und als er wieder Luft bekam, stellte er fest, dass er auf dem Boden lag. Männer umstanden ihn. Er sah sie nur verschwommen. Etwas Weißes war über ihnen, es war die Zeltplane, gehalten von Stangen, die im Wind leichte Wellen schlug. Jetzt erkannte er Graf Hudenitz, den Federhut gegen die Brust gedrückt, das Gesicht faltig vor Sorge, neben ihm der Narr, daneben der Koch, daneben einer der Soldaten, daneben ein grinsender Kerl in schwedischer Uniform. War er ohnmächtig geworden?
Der König streckte die Hand aus, Graf Hudenitz packte zu und half ihm auf die Beine. Er schwankte, seine Beine gaben wieder nach, der Koch hielt ihn von der anderen Seite, bis er stand. Ja, ohnmächtig war er geworden. Im unpassendsten Moment, im Zelt von Gustav Adolf, den er mit Stärke und Schlauheit davon überzeugen musste, dass ihrer beider Geschicke verknüpft waren, war er umgefallen wie eine Frau im engen Mieder.
«Meine Herren!», hörte er sich sagen. «Applaudiert dem Narren!»
Er bemerkte, dass seine Hemdbrust verdreckt war, der Kragen, die Jacke, die Orden an der Brust. Hatte er sich auch noch besudelt?
«Klatscht für Tyll Ulenspiegel!», rief er. «Was für ein Kunststück! Was für ein tolles Ding.» Er fasste dem Narren ans Ohr, es fühlte sich weich und spitz und unangenehm an, er ließ es wieder los. «Aber pass auf, dass wir dich nicht den Jesuiten geben, das grenzt an Hexerei, was für ein Trick!»
Der Narr schwieg. Sein Lächeln stand schief in seinem Gesicht. Wie immer konnte der König den Ausdruck nicht deuten.
«Er ist ein Zauberer, mein Narr. Holt Wasser, säubert mir das Gewand, steht nicht herum.» Der König lachte gequält.
Graf Hudenitz machte sich mit einem Tuch an seiner Hemdbrust zu schaffen; während er wischte und rieb, schwebte sein faltiges Gesicht viel zu nahe vor dem des Königs.
«Man muss sich vorsehen bei dem Kerl», rief der König. «Schneller putzen, Hudenitz. Vorsehen muss man sich! Kaum schaut er mir in die Augen, schon bin ich umgefallen, was für ein Zauberer, was für ein Trick!»
«Du bist von allein umgefallen», sagte der Narr.
«Den Trick musst du mir beibringen!», rief der König. «Gleich wenn der Esel das Reden gelernt hat, will ich auch den Trick lernen.»
«Du bringst einem Esel das Reden bei?», fragte einer der Holländer.
«Wenn einer wie du reden kann und wenn auch der dumme König dauernd redet, warum soll dann ein Esel nicht reden?»
Der König hätte dem Narren gern eine Ohrfeige gegeben, aber er fühlte sich zu schwach, also fiel er ins Gelächter der Soldaten ein, und da wurde ihm wieder schwindlig. Der Koch stützte ihn.
Und genau in diesem gänzlich ungeeigneten Moment schlug jemand die Plane zum angrenzenden Raum zurück, und ein Mann im roten Ornat des Haushofmeisters trat heraus und maß