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«Geht», sagte Gustav Adolf. «Geht schnell, haut ab, beeilt euch. Ich will euch nicht länger im Lager haben.» Er wich zurück, als hätte er plötzlich Angst bekommen. Die Plane schloss sich flappend, er war verschwunden.

Der König wischte die Tränen weg, die ihm der Husten in die Augen getrieben hatte. Sein Hals tat weh. Er nahm den Hut ab, kratzte sich den Kopf und versuchte zu begreifen, was geschehen war.

Das war geschehen: Es war vorbei. Er würde seine Heimat nicht mehr wiedersehen. Und auch nach Prag würde er nicht mehr kommen. Er würde im Exil sterben.

«Gehen wir», sagte er.

«Was hat sich ergeben?», fragte Graf Hudenitz. «Was ist herausgekommen?»

«Später», sagte der König.

Trotz allem war er erleichtert, als das Heerlager endlich

hinter ihnen lag. Die Luft wurde besser. Der Himmel stand hoch und blau über ihnen, in der Ferne wölbten sich Hügel. Graf Hudenitz fragte ihn noch zweimal, was die Beratung ergeben habe und ob wohl mit einer Rückkehr nach Prag zu rechnen sei, aber als die Antwort ausblieb, gab er auf.

Der König hustete. Er fragte sich, ob das Wirklichkeit gewesen war: dieser feiste Mann mit den fleischigen Händen, die schrecklichen Dinge, die er gesagt hatte, das Angebot, das er hatte annehmen wollen, mit ganzer Kraft, und das er doch hatte ablehnen müssen. Warum eigentlich, fragte er sich plötzlich, warum hatte er es abgelehnt? Er wusste es nicht mehr, die Gründe, eben noch so zwingend, hatten sich in Nebel aufgelöst. Und er konnte diesen Nebel sogar sehen, bläulich füllte er die Luft und ließ die Hügel verschwimmen.

Er hörte den Narren aus seinem Leben erzählen, doch mit einem Mal kam es ihm so vor, als ob der Narr in seinem Inneren spräche, als ob er nicht neben ihm ritte, sondern eine fiebrige Stimme in seinem Kopf wäre, ein Teil seiner selbst, den er nie hatte kennen wollen. Er schloss die Augen.

Der Narr erzählte davon, wie er mit seiner Schwester davongelaufen war: Ihr Vater sei als Hexer verbrannt worden, ihre Mutter sei mit einem Rittersmann ins Morgenland gezogen, nach Jerusalem vielleicht oder ins ferne Persien, wer mochte das wissen.

«Aber sie ist doch gar nicht deine Schwester», hörte der König den Koch sagen.

Er und seine Schwester, sagte der Narr, seien zuerst mit

einem schlechten Moritatensänger herumgezogen, der gut zu ihnen gewesen sei, und dann mit einem Gaukler, von dem er alles gelernt habe, was er könne, einem Spaßmacher von Rang, einem guten Jongleur, einem Schauspieler, der sich vor keinem habe verstecken müssen, aber vor allem sei er ein böser Kerl gewesen, so gemein, dass Nele ihn für den Teufel gehalten habe. Doch dann hätten sie begriffen, dass jeder Gaukler ein wenig Teufel sei und ein wenig Tier und ein wenig harmlos auch, und sobald sie dies begriffen hätten, hätten sie den Pirmin, so habe er geheißen, nicht mehr gebraucht, und als er zu ihnen wieder besonders böse gewesen sei, habe ihm Nele ein Pilzgericht gekocht, das er so schnell nicht vergessen habe, oder vielmehr habe er es sofort vergessen, er sei nämlich dran krepiert, zwei Handvoll Pfifferlinge, ein Fliegenpilz, ein Stück vom schwarzen Knollenblätterling, mehr brauche man nicht. Die Kunst bestehe darin, Fliegen- und Knollenblätterpilz zu nehmen, denn zwar töte jeder der beiden, aber einzeln schmeckten sie bitter und fielen auf. Gemeinsam verkocht, vereinigten ihre Aromen sich zu einer feinen Süße, deren Wohlgeschmack keinen Verdacht aufkommen lasse.

«Heißt das, ihr habt ihn umgebracht?», fragte einer der Soldaten.

Nicht er, sagte der Narr. Die Schwester habe ihn umgebracht, er könne keiner Fliege was. Er lachte hell. Man habe keine Wahl gehabt. Der Mann sei so furchtbar böse gewesen, dass man ihn auch im Tod nicht losgeworden sei. Eine ganze Weile sei sein Geist ihnen hinterhergezogen, habe

ihnen nachts im Wald nachgekichert, sei in ihren Träumen aufgetaucht und habe diesen oder jenen Handel angeboten.

«Was für einen Handel?»

Der Narr schwieg, und als der König die Augen öffnete, bemerkte er, dass um sie jetzt Schneeflocken fielen. Er atmete tief ein. Schon löste die Erinnerung an den Pestilenzgestank des Heerlagers sich auf. Sinnend leckte er sich die Lippen, dachte an Gustav Adolf und musste wieder husten. Ritten sie etwa rückwärts? Das erschien ihm nicht weiter ungewöhnlich, bloß wollte er nicht zurück in das stinkende Lager, nicht wieder unter diese Soldaten und zu dem Schwedenkönig, der nur darauf wartete, ihn zu verspotten. Die Wiesen um sie waren bereits von dünnem Weiß überzogen, und auf den Baumstümpfen - das vorrückende Heer hatte alle Bäume gefällt - bildeten sich Schneehaufen. Er legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel flimmerte von Flocken. Er dachte an seine Krönung, er dachte an die fünfhundert Sänger und den achtstimmigen Choral, er dachte an Liz im Juwelenmantel.

Stunden waren vergangen, vielleicht auch Tage, als er wieder in die Zeit zurückfand, jedenfalls hatte das Land sich abermals verändert, es lag nun so viel Schnee, dass die Pferde kaum vorankamen: Vorsichtig hoben sie die Hufe, bedächtig setzten sie sie ins hohe Weiß. Kalter Wind peitschte ihm ins Gesicht. Als er sich hustend umsah, fiel ihm auf, dass die holländischen Soldaten nicht mehr da waren. Nur Graf Hudenitz, der Koch und der Narr ritten noch neben ihm.

«Wo sind die Soldaten?», fragte er, aber die anderen

beachteten ihn nicht. Er wiederholte die Frage lauter, nun sah Graf Hudenitz ihn verständnislos an, kniff die Augen zusammen, blickte wieder nach vorne in den Wind.

Sind wohl abgehauen, dachte der König. «Ich habe das Heer, das ich verdiene», sagte er. Dann fügte er hustend hinzu: «Meinen Hofnarren, meinen Koch und meinen Kanzler eines Hofes, den es nicht mehr gibt. Meine Luftarmee, meine letzten Getreuen!»

«Zu Befehl», sagte der Narr, der ihn offenbar trotz des Windes verstanden hatte. «Jetzt und immerdar. Du bist krank, Majestät?»

Dem König wurde beinahe mit Erleichterung klar, dass es stimmte: deshalb also der Husten, deshalb der Schwindel, deshalb seine Schwäche vor dem Schweden, deshalb die Verwirrung. Er war krank! Es ergab so viel Sinn, dass er lachen musste.

«Ja», rief er fröhlich. «Bin krank!»

Während er sich vornüberbeugte, um zu husten, dachte er aus irgendeinem Grund an seine Schwiegereltern. Dass sie ihn nicht mochten, hatte er vom ersten Moment an gewusst. Aber er hatte sie bezwungen, mit seiner Eleganz und seinem ritterlichen Auftreten, mit seiner deutschen Klarheit, seiner inneren Kraft.

Und er dachte an seinen Ältesten. Den schönen Jungen, den alle so sehr geliebt hatten. Wenn ich nicht zurückkehre, hatte er ihm, dem Kind, gesagt, so kehrst doch du zurück ins Fürstentum und in den hohen Stand unserer Familie. Dann war

der Kahn gekentert, und er war ertrunken, und jetzt war er bei Gott, dem Herrn.

Wo ich auch bald bin, dachte der König und berührte seine glühende Stirn. In der ewigen Glorie.

Er drehte den Kopf zur Seite und rückte das Kissen zurecht. Sein Atem fühlte sich heiß an. Er zog die Decke über den Kopf, sie war schmutzig und roch nicht gut. Wie viele Leute hatten wohl schon in diesem Bett geschlafen?

Er strampelte die Decke fort und sah sich um. Offenbar war er in einem Herbergszimmer. Auf dem Tisch stand ein Krug. Auf dem Boden lag Stroh. Es gab nur ein Fenster, dick verglast, draußen wirbelte Schnee. Auf einem Schemel saß der Koch.

«Wir müssen weiter», sagte der König.

«Zu krank», sagte der Koch, «Eure Majestät können nicht, Ihr seid -»

«Papperlapapp», sagte der König. «Unsinn, Blödsinn, Torheit, Gerede. Liz wartet doch auf mich!»

Er hörte den Koch antworten, aber bevor er ihn verstehen konnte, musste er erneut eingeschlafen sein, denn er fand sich im Dom wieder, auf dem Thron, im Angesicht des Hochaltars, und er hörte den Chor und dachte an das Märchen von der Spindel, das ihm seine Mutter einst erzählt hatte. Plötzlich kam es ihm wichtig vor, aber sein Gedächtnis wollte es nicht in die richtige Ordnung bringen: Wenn man die Spindel abwickelte, wickelte sich auch ein Stück des Lebens ab, und je schneller man sie drehte, etwa weil man es eilig hatte oder weil einen etwas schmerzte oder weil die Dinge nicht waren, wie man es wollte, desto schneller verging auch das Leben, und schon war der Mann im Märchen am Ende der Spindel, und alles war vorbei und hatte doch noch kaum begonnen. Aber was in der Mitte geschehen war, daran konnte sich der König nicht mehr erinnern, und darum öffnete er die Augen und gab den Befehl, dass es jetzt weitergehen müsse, weiter nach Holland, wo sein Palast war und seine Frau mit dem Hofstaat wartete, angetan mit Seide und Diadem, wo die Feste kein Ende nahmen, jeden Tag gab es die Theateraufführungen, die sie so mochte, dargeboten von den besten Schauspielern aus aller Herren Länder.